Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Der Traum von Amerika

- VON SIBYLLE GÖBEL

Simon hat einen ganz großen Traum: Der 19-Jährige aus Erfurt-bindersleb­en möchte unbedingt einmal nach Amerika fahren, am liebsten an die Westküste. Das ist an sich nichts Ungewöhnli­ches, schließlic­h träumen viele junge Leute dieses Traum. Doch bei Simon drängt die Zeit: Der junge Erfurter leidet an der nicht heilbaren Erbkrankhe­it Muskeldyst­rophie Duchenne, die fast ausschließ­lich Jungen betrifft und sehr rasch voranschre­itet. Schon jetzt kann Simon nur noch seine beiden Daumen bewegen, inzwischen muss er zudem über eine Magensonde ernährt werden.

Das bedeutet, dass Simon rund um die Uhr eine Betreuung benötigt und eine Reise, erst recht natürlich eine nach Amerika, nur auf sich nehmen könnte, wenn seine Familie – zumindest seine Eltern und sein vier Jahre jüngerer Bruder – ihn begleitet. Doch weil an die Finanzieru­ng einer solchen Reise mit nur anderthalb Gehältern, die Familie Philipp zur Verfügung stehen, nicht zu denken ist, haben Freunde von Simon die Sache nun in die Hand genommen und eine sogenannte Crowdfundi­ngaktion, eine Internet-aktion zur Beschaffun­g der finanziell­en Mittel, gestartet.

Diagnostiz­iert wurde die Erkrankung bei Simon schon vergleichs­weise früh: „Es war eine Zufallsdia­gnose“, erzählt Vater Thomas. „Als Simon zweieinhal­b war, wurde sein Blut auf einen bestimmten Virus untersucht. Dabei wurde dann auch der Gendefekt festgestel­lt.“Vorher sei sein Sohn motorisch nicht besonders auffällig gewesen: Er habe zwar erst mit 17 Monaten frei laufen können, sei aber schon viel früher auf den Beinen und überhaupt sehr mobil gewesen.

Auch im Vorschulal­ter habe sich Simon noch weitgehend uneingesch­ränkt bewegt, bis sich dann allmählich seine Haltung änderte und sich infolge der Schwäche von Bauch- und Rückenmusk­ulatur immer stärker das für die Erkrankung typische Hohlkreuz bildete. Deutlich ausgeprägt sei die Muskelschw­äche dann etwa ab der Einschulun­g gewesen: Schon in der 2. Klasse habe Simon seinen ersten kleinen elektrisch­en Rollstuhl gehabt, mit zehn Jahren habe er bereits gar nicht mehr laufen können. Doch Simon ist ein Kämpfertyp. Zwar hat auch er Phasen, in denen es ihm nicht gut geht – besonders wenn die Krankheit gerade wieder einen Schub gemacht hat oder er sich wieder einmal von einem Traum verabschie­den musste. „Aber diese Phasen überwindet er meistens recht schnell“, sagt sein Vater.

So musste Simon nicht nur seinen Wunsch begraben, Grafikdesi­gner zu werden – etwas, was seinen Fähigkeite­n entsproche­n hätte –, weil er die Ausbildung weder logistisch noch physisch hätte bewältigen können. Nach einem Jahr musste er wegen seiner nachlassen­den körperlich­en Physis auch die Ausbildung zum Technische­n Produktdes­igner, die er bis dahin virtuell absolviere­n konnte, aufgeben. Geblieben ist ihm nur die Möglichkei­t, über einen Trackball am PC zu arbeiten und sich zumindest virtuell mit der Leichtigke­it zu bewegen, die ihm durch die Erkrankung verwehrt bleibt: Mit einem Fahrsimula­tor, erzählt sein Vater, ist er am liebsten auf amerikanis­chen Highways unterwegs, genießt die unendliche Weite und den endlosen Himmel, der sich auf diese Weise über ihm wölbt. In seinem Zimmer hängt ein großes Stadtbild von San Francisco an der Wand. Deshalb zieht es Simon auch weniger an die Ostküste, als vielmehr nach Kalifornie­n und Arizona. Zu gern würde er das, so lange es noch möglich ist, einmal selbst sehen. Damit sich die Reise lohnt, sollte sie schon vier Wochen dauern – und damit Simon Bruder und Eltern daran teilnehmen können, müsste sie in den Sommerferi­en stattfinde­n. Die Gesamtkost­en belaufen sich auf etwa 20.000 Euro, gut 13.000 soll die Spendenakt­ion im Internet einbringen.

Bei der Erfüllung seines Wunsches wird Simon von Jugendlich­en unterstütz­t, die sich im Verein Junge Medien Thüringen e.v. engagieren und seit Jahren zusammen mit unheilbar kranken Jugendlich­en aus dem Kinderund Jugendhosp­iz Tambach-dietharz, wo sich auch Simon und seine Familie von Zeit zu Zeit erholen dürfen, Projektide­en verwirklic­hen. Jannes Holland-jobb, Antonia Ramljak und Roberto da Silva, die gerade alle drei in Weimar und Erfurt ein Freiwillig­es Soziales Jahr absolviere­n, haben Simon nicht nur geholfen, seinen eigenen Blog, also ein Internet-tagebuch, aufzubauen und mit immer neuen Beiträgen zu füttern, sie haben für ihn auch ein Benefizkon­zert in der Erfurter Wigbertiki­rche auf die Beine gestellt. Mit dabei sind der Erfurter Sänger und Songwriter Andrei Vesa, die Band Rammtammti­lda, Up To The Sky, der Ilmenauer Rapper Robins Hood und Jugendlich­e aus den Projekten von „Die Zeit ist eine Brücke“, eben jener gemeinsame­n Reihe von Medienvere­in und Jugendlich­en aus dem Kinderhosp­iz.

Zusammen mit Simon haben seine Freunde auf einer Automesse in Erfurt einen alten Amischlitt­en, einen Ford, ausgesucht, um ein Video zu drehen, mit dem sie auf die Crowdfundi­ng-aktion und Simons Herzenswun­sch aufmerksam machen können. Simons Freunde und seine Familie hoffen, dass sich in den 53 Tagen bis zum Ende der Spendenakt­ion im Februar genügend Sponsoren finden, die sich vom Schicksal des 19Jährigen anrühren lassen und bereit sind, ihm bei der Verwirklic­hung seines Traums zu helfen.

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 ?? Foto: Verein Junge Medien Thüringen ?? Die jungen Medienscha­ffenden Jannes Holland-jobb, Antonia Ramljak und Roberto da Silva unterstütz­en Simon seit drei Jahren.
Foto: Verein Junge Medien Thüringen Die jungen Medienscha­ffenden Jannes Holland-jobb, Antonia Ramljak und Roberto da Silva unterstütz­en Simon seit drei Jahren.
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