Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
„Die Weltmeisterschaft geht jetzt erst richtig los“
Nationaltorhüter Andreas Wolff und die deutschen Handballer treffen heute in Berlin auf Brasilien
BERLIN. Wenn derzeit die Spiele der Handball-WM in der Arena am Berliner Ostbahnhof ausgetragen werden, sind andere Duelle schon vorbei. Im Einkaufszentrum neben der Arena gibt es eine Videowand, an der virtuelle Aufeinandertreffen mit Andreas Wolff möglich sind. Mit kleinen Sandsäcken können sich die Handballfans dort im Siebenmeterwerfen gegen Deutschlands Nationaltorhüter versuchen. Der virtuelle Wolff zieht dann blitzschnell ein Bein so hoch, dass es bis zur Latte des Tores reicht, an seinen flinken Händen ist kein Vorbeikommen. „Viel Glück beim nächsten Mal“, sagt Computer-Wolff süffisant lächelnd am Ende. So ähnlich muss sich das für die Koreaner am Donnerstag bei der 19:30-Pleite gegen Deutschland angefühlt haben. Wenn sie sich einmal durch die deutsche Abwehr hindurchgekämpft hatten und dann dieser bärtige Hüne vor ihnen auftauchte. Der sein Bein ebenso athletisch nach links und rechts schnellen ließ wie der virtuelle Wolff, der seine Hände in Windeseile nach oben und unten bewegte. 13 hochkarätige Chancen der Koreaner hatte er am Ende vereitelt – viel Glück beim nächsten Mal.
Später folgte einer dieser typischen Wolff-Sätze. Geradeaus und mit einem Schuss Ironie. „Ich freue mich darauf, wenn das Turnier am Samstag richtig losgeht.“Korea war für den Mann mit der Trikotnummer 33 nur die Aufwärmphase dieser WM. Heute (18.15 Uhr/ZDF) geht’s weiter gegen Brasilien. Wolff: „Ich kann es kaum erwarten, wenn wir ein Spiel Spitz auf Knopf erleben werden.“Solch dramatische Spiele haben Andreas Wolff zu dem gemacht, der er heute ist: zu einem der prägenden Köpfe des Nationalteams, zu einem der wenigen Handballer, den auch Sportlaien auf der Straße erkennen würden; zum Europameister 2016. Es war dieses Turnier in Polen, bei dem aus dem noch unbekannten Torhüter jener Sportstar wurde, der im Anschluss durch Fernsehshows tingelte, sich mit Fußball-Weltmeister Manuel Neuer traf und jüngst auch noch Box-Ikone Wladimir Klitschko eines seiner Trikots überreichte. 2016 hatte Wolff die Spanier mit seinen Reflexen im Finale verzweifeln lassen, am Ende hatten die Deutschen 24, die Favoriten gar nur 17 Treffer erzielt – so wenige wie noch nie in einem EM-Endspiel.
Dabei hätte es den Nationalspieler Wolff beinahe nicht gegeben. 450 Euro im Monat für die Unterkunft im Handball-Internat des TV Großwallstadt? Das war seinem Vater, der auf dem Bau in Euskirchen schuftete, eine Nummer zu kostspielig für den damals 16 Jahre alten Sohn. Der hatte im Probetraining des Bundesligaklubs allerdings einen solchen Eindruck hinterlassen, dass einer der Jugendtrainer das Talent einfach bei einem Mitspieler einquartierte. Der Weg war bereitet, und Wolff hatte seinen Kurs gesetzt: Er wollte der beste Torhüter der Welt werden.
27 Jahre ist er mittlerweile alt, den entscheidenden Schritt in diese Richtung hätte eigentlich der Wechsel von der HSG Wetzlar zum THW Kiel bringen sollen. Rekordmeister, ChampionsLeague-Teilnehmer – die perfekte Bühne für den Europameister und Olympia-Bronzegewinner. Richtig glücklich ist Wolff seit dem Sommer 2016 in Kiel aber nie geworden. Weil er das Tor mit dem Dänen Niklas Landin teilen muss, einem Weltklassespieler, Nuancen besser als Wolff. Schon lange steht deshalb der baldige Wechsel nach Polen zum Topklub Kielce fest. Dort gibt es mehr zu verdienen, dort will Wolff die unangefochtene Nummer eins sein
Diesen Vertrauensbeweis brachte ihm Bundestrainer Christian Prokop bereits vor dem WM-Start entgegen, als der sich früh auf Wolff als Nummer eins festgelegt hatte. Heinevetter, Torhüter Nummer zwei, akzeptiert die Rollenverteilung.
Derzeit sind die beiden selbstbewussten Schlussmänner, die in der Vergangenheit ein nicht immer unkompliziertes Verhältnis zueinander pflegten, im Training und vor Spielen bei Späßchen zu beobachten.
Ob dieses Turnier so erfolgreich verlaufen kann wie die letzte WM in Deutschland? Andreas Wolff rollt mit den Augen. „Das dauernde Gerede über 2007 nervt. Wir haben 2019. Wir wollen unsere eigene Geschichte schreiben.“
Die Gegner verzweifeln am Hünen