Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Futtern in der Finsternis
Der Fuchsbau des Hotels „Grüner Baum“in Schmiedefeld am Rennsteig ist Thüringens einziges Dunkelrestaurant, in dem die Gäste von blinden Kellnern bedient und unterhalten werden
Rund 15.000 Gäste haben bisher im Schmiedefelder Fuchsbau gegessen – aber keiner von ihnen weiß, wie es dort eigentlich aussieht. Wo stehen die Tische? Wie viele Stühle gibt es? Welche Farbe haben deren Polster? Sind die Wände gestrichen oder tapeziert? Denn der Keller des Hotels „Grüner Baum“in Schmiedefeld am Rennsteig beherbergt Thüringens einziges Dunkelrestaurant, das regelmäßig geöffnet ist, und in dem blinde Kellner die Gäste bedienen. „Andere Dunkelrestaurants öffnen nur sporadisch“, weiß Hotelbesitzer Thomas Brandt, „oder haben sehende Kellner, die die Gäste im Dunkeln mit Nachtsichtgeräten bedienen – und beim Öffnen der Türen Licht in den Raum lassen.“
Gäste speisen in absoluter Finsternis
Im Schmiedefelder Fuchsbau dagegen müssen sich die Gäste an dem etwa dreistündigen Abend auf ihre Ohren, Nasen und Finger verlassen, denn sehen können sie in der ganzen Zeit – nichts. Gar nichts. Nur undurchdringliches Schwarz. Im Fuchsbau ist es wirklich stockfinster. Weder elektrisches noch natürliches Licht dringt durch Ritzen, Fugen oder Schlüssellöcher, die Türen zum Ausgang und zur Küche sind durch Vorhänge abgedichtet, die Handys und elektrischen Uhren der Gäste sollen ausgeschaltet werden.
In der Schweiz haben die Brandts dieses Konzept kennengelernt und bei der Rückkehr nach Thüringen in der Schmiedefelder Heimat umgesetzt. Mit Erfolg: „Anfangs wurden wir belächelt, ein paar Wochen hat man uns gegeben. Doch im Dezember 2018 haben wir auf unser Zehnjähriges angestoßen“, verrät Thomas Brandt. Dessen Frau Sabine empfängt jede Woche, von Donnerstag bis Sonntag, jeweils um 18 Uhr, die Gäste und fragt nach Unverträglichkeiten und Ängsten und verrät ihnen Regeln und Tipps: „Sie können zwischen zwei Menüs wählen, etwa Hühnchen oder Schwein, mehr wird nicht verraten, alles andere müssen Sie erschmecken. Lange Haare bitte zum Zopf binden, Krawatten, Kordeln und Ketten lieber abnehmen – alles was hängt, hängt irgendwann im Essen.“Langstielige Gläser gibt es nicht, ebenso wenig eine Tisch-Dekoration – „das fällt alles irgendwann nur um oder ‘runter“, weiß Thomas Brandt aus
Erfahrung.
Mit Polonaise zum Dinner
Am Vorhang empfängt Volker Schmidt die Gäste, die im Polonaise-Schritt unsicher in das Dunkel tappen, und führt sie zu ihren Plätzen. Der 58-Jährige, der nach Feierabend abwechselnd mit zwei Damen die hungrigen Besucher im Fuchsbau betreut, ist die Dunkelheit gewohnt – er ist von Geburt an stark sehbehindert und seit seiner Jugend blind. Mit lockeren Sprüchen begleitet er die Gäste durch den Abend, serviert Vorspeise, Hauptgericht und Dessert, führt die Hände der Besucher zu den Tellern, Gläsern und dem Besteck. „Das bleibt aber oft unbenutzt“, weiß er von den Köchen, „die meisten Gästen essen ganz ungeniert mit den Fingern. Es sieht ja keiner.“
(Fast) alles wird zum Fingerfood
Tatsache: Grünen Salat in völliger Finsternis mit der Gabel essen zu wollen, ist – gerade mit leerem Magen – eine äußerst fummelige Angelegenheit, die zu viel Geduld verlangt. Mit den Fingern geht es wesentlich schneller. Und macht mehr Spaß. Und wenn man einmal dabei ist, braucht man auch für Steak, Brokkoli und Bratkartoffeln kein Besteck. Lediglich der kleine Löffel für die Crème brûlée leistet gute Dienste. „Manche Teller kommen blitzblank in die Küche zurück, gründlich abgeleckt.“Dunkelheit ist verschwiegen. Wer die gute Küche trotz Achluophobie, der Angst vor der Dunkelheit, probieren will, kann natürlich auch im HotelRestaurant essen.
Mit Licht und Fenstern.