Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Der Siegeszug der Buttertüch­er

Vortrag im Geschichts­verein zur 1920 gestorbene­n Eisenacher Autorin Marie Rasch

- VON NORMAN MEIßNER FOTO: NORMAN MEIßNER

EISENACH. Geschichts­bücher geben längst vergangene Zeiten meist trocken als wissenscha­ftlich-formale Faktenansa­mmlung aus Jahreszahl­en und Ereignisse­n wieder, aber dies gelingt mit literarisc­h ausgefeilt­er Wortwahl mitunter weitaus intensiver und der Autorin Marie Rasch besonders gut, die Mitte des 19. Jahrhunder­ts in Eisenach zur Welt kam. Sie gewährt der Nachwelt anhand aufmerksam­en Erlebens und einfühlsam­en Schreibens einen Einblick in ihre Welt.

„Es ist eine wunderbare Prosa – schön altmodisch“, schwärmt Hugh-Friedrich Lorenz am Dienstagab­end vor knapp 50 Interessie­rten im Nachbarsch­aftstreff für die über 110 Jahre alten Bändchen „Im Schloss“und „In der Hofapothek­e“. Der Geschichts­verein lud sich zum zweiten Vortrag den Schriftste­ller und seine Frau Gabriele Demmler-Lorenz als Referenten ein, die die antiquaris­ch schwer erhältlich­en Bücher vereint im Buch „Alte Eisenacher Geschichte­n“neu veröffentl­ichten.

Sie selbst fand ihre beiden Bändchen im Nachlass ihres Vaters, dem Eisenacher Reichsbahn­arzt Walter Bingel. Er praktizier­te im historisch­en Apothekeng­ebäude gegenüber dem Rathaus.

Dem Paar gelingt es dennoch, die Bändchen, die ein Leipziger Buchverlag im Jahr 1905 erstmals publiziert­e, noch mal zu erwerben. Hugh-Friedrich Lorenz überreicht diese zu Veranstalt­ungsbeginn mit den Worten „für die Bibliothek des Geschichts­vereins“an den Vereinsvor­sitzenden Michael Kellner.

„Marie Rasch und meine Frau verbindet eine Gemeinsamk­eit – beide verlebten ihre Kindheit und Jugend im ersten Stock der Hofapothek­e, der heutigen Ratsapothe­ke“, verrät der Referent. Für seinen Vortrag setzt er neben historisch­en Fotografie­n der Schauplätz­e auch Passagen der Hörbuchfas­sung ein, deren Einspreche­n mit namhaften deutschen Schauspiel­ern sowie dem Eisenacher Schriftste­ller Alexander Abshagen und Gisela Verges von der Seniorenre­daktion des Wartburgra­dios gelingt.

Marie Rasch nimmt den Leser unterander­em zu einem Bummel über den Marktplatz mit. „Da war nämlich der Eisenacher Jahrmarkt aufgeschla­gen, und es sah sich aus der luftigen Höhe hübsch an, dies bunte Gewimmel von Händlern und Käufern, unter denen viel Landvolk in kleidsamen Trachten; alles drängte sich zwischen Budenreihe­n, Drehorgeln erklangen und die Kinder umstanden den Tisch der dicken Frau aus Langensal- za, die vor dem Rathause Pfefferkuc­hen feilhielt“, schrieb die Autorin, die in der Episode ein ganz besonderes Geheimnis lüftet. „Helene von Orleans hat sicher im Stadtschlo­ss kein Geschirr gespült, aber insgeheim dazu beigetrage­n, dass viele in ganz Deutschlan­d ihr Geschirr lieber spülen“, meint Hugh Lorenz. Helene von Orleans kauft einem Tabarzer Leinweber sämtliche Buttertüch­er ab und gibt sie dem Burgvogt, der anordnet, daraus Vorhänge und Tischtüche­r für die neu eingericht­eten Wartburg-Gemächer zu machen. Durch den repräsenta­tiven Ort und die Erwähnung in Maria Raschs Buch finden diese Tücher in Deutschlan­d schnell weite Verbreitun­g.

Im Anschluss erzählte Gabriele Demmler-Lorenz von ihren eigenen Erlebnisse­n in den Räumlichke­iten im ersten Stock des Apothekenh­auses.

 ??  ?? Beim Vortrag im Geschichts­verein zur Autorin Marie Rasch sprechen Gabriele Demmler-Lorenz und Hugh Lorenz, die die Bändchen neu veröffentl­ichten, über Buttertüch­er, die durch Helene von Orleans weit verbreitet wurden.
Beim Vortrag im Geschichts­verein zur Autorin Marie Rasch sprechen Gabriele Demmler-Lorenz und Hugh Lorenz, die die Bändchen neu veröffentl­ichten, über Buttertüch­er, die durch Helene von Orleans weit verbreitet wurden.

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