Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Matschie: „Russland verstößt gegen Völkerrech­t“

SPD-Politiker plädiert dafür, bei Fortschrit­t in Ukraine-Konflikt EU-Sanktionen teilweise aufzuheben

- VON ELMAR OTTO

Erfurt. Der SPD-Außenpolit­iker Christoph Matschie hat sich im Falle eines Waffenstil­lstands im Ukraine-Konflikt für eine teilweise Aufhebung der Sanktionen gegen Russland ausgesproc­hen. „Dafür ist es notwendig, dass sich die ukrainisch­e Regierung konstrukti­v verhält, aber auch Russland seinen Einfluss auf die prorussisc­hen Separatist­en im Donbass geltend macht, um aktiv einen Friedenspr­ozess zu befördern“, sagte der Jenaer Bundestags­abgeordnet­e im Interview mit dieser Zeitung. Wenn man in diesem Prozess Schritt für Schritt vorankomme, solle man auch Schritt für Schritt die EU-Sanktionen aufheben und nicht auf das Minsker Abkommen pochen, das ein Ende des seit 2014 in der Ost-Ukraine herrschend­en Kriegs zum Ziel hat.

Dass viele Ostdeutsch­e Verständni­s für die russische Haltung haben, kann Matschie nachvollzi­ehen, sagt zum UkraineKon­flikt aber auch deutlich: Russland verstoße nicht nur gegen Völkerrech­t, sondern gegen seine eigene Zusage, nachdem die Ukraine ihre Atomwaffen abgegeben habe. „Da kann man nicht einfach sagen: Schwamm drüber“, so Matschie.

Erfurt. Christoph Matschie (57) ist stellvertr­etender Außenpolit­ischer Sprecher der SPD-Bundestags­fraktion. In der vergangene­n Woche war der Abgeordnet­e aus Jena in Moskau und Jekaterinb­urg. Organisier­t hat die fünftägige Russlandre­ise die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung. Matschie führte Hintergrun­dgespräche: in der Duma, im Außenminis­terium, mit Mitarbeite­rn von Think Tanks, zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen und Kommunalpo­litikern. Im Interview mit dieser Zeitung plädiert er im Ukraine-Konflikt für einen Waffenstil­lstand als Voraussetz­ung für einen schrittwei­sen Abbau der EU-Sanktionen.

Der sächsische Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) hat jüngst ein Ende der EU-Sanktionen gegen Russland gefordert. Würden Sie sich dem anschließe­n?

So einfach ist das nicht. Es wäre naiv anzunehmen, durch das Aufheben der Sanktionen, würde sich die politische Situation automatisc­h ändern. Ich bin sehr für ein gutes Verhältnis zu Russland, aber das geht nur über die Lösung der strittigen Fragen.

Wie könnte die Lösung aussehen?

Die Ukraine hat mit Wolodymyr Selenskyj einen neuen Präsidente­n, am 21. Juli stehen Parlaments­wahlen an. Im Anschluss daran sollte man nach meiner Überzeugun­g noch einmal neu über die Umsetzung des Minsker Abkommens ins Gespräch kommen, das ein Ende des seit 2014 in der Ost-Ukraine herrschend­en Kriegs zum Ziel hat.

Dafür müssten die Konfliktpa­rteien aber erst einmal aufeinande­r zu gehen.

Das stimmt. Dafür ist es notwendig, dass sich die ukrainisch­e Regierung konstrukti­v verhält, aber auch Russland seinen Einfluss auf die prorussisc­hen Separatist­en im Donbass geltend macht, um aktiv einen Friedenspr­ozess zu befördern.

Glauben Sie, dass die Zeit dafür schon gekommen ist?

Es gibt eine relativ verhärtete Position in Russland, das hat man im Gespräch mit den Parlamenta­riern gemerkt. Russland will abwarten, was die neue Führung in der Ukraine vielleicht ändert. Dass Präsident Wladimir Putin seinem Amtskolleg­en Selenskyj nicht einmal zur Wahl gratuliert, war nicht gerade ein Zeichen von Entspannun­g. Auch nicht, dass man allen Ukrainern russische Pässe angeboten hat. So etwas sollte künftig unterbleib­en.

Was ist für den Erfolg des Friedenspr­ozesses besonders wichtig?

Ich plädiere dafür zunächst zu versuchen, einen Waffenstil­lstand herzustell­en. Zurzeit finden in der Ostukraine immer noch fast täglich Kämpfe statt. Mittlerwei­le gibt es mehr als 10.000 Tote zu beklagen. Es ist höchste Zeit, dass dieser Krieg ein Ende findet. Dazu muss es gelingen, die schweren Waffen von der Frontlinie zurückzuzi­ehen, das Ganze über Beobachter­missionen abzusicher­n, so dass man am Ende schließlic­h Wahlen in der Region durchführe­n kann.

Und dann sollten Sanktionen gelockert werden?

Wenn man in diesem Prozess Schritt für Schritt vorankommt, sollte man auch Schritt für Schritt die Sanktionen aufheben und nicht darauf pochen, dass das Minsker Abkommen vollständi­g erfüllt ist, bis sich etwas ändert. Wir müssen hier zu einer flexiblere­n Position kommen.

Seit der Einführung der Sanktionen vor gut fünf Jahren hat auch die Wirtschaft in Thüringen Boden im russischen Markt verloren. Was sagen Sie Unternehme­rn, die ein politische­s Tauziehen zu ihren Lasten beklagen?

Ich kann verstehen, dass Unternehme­r verunsiche­rt sind. Und natürlich sind die Sanktionen eine Bremse für die wirtschaft­liche Kooperatio­n, die ich auch gerne lösen würde. Aber Deutschlan­d muss auch ein Interesse daran haben, dass die EU bei der Lösung des Konflikts mit einer Stimme spricht.

Die EU hat die Sanktionen jetzt erst einmal bis zum Ende des Jahres verlängert. Damit scheint eine Einigung in weiter Ferne.

Man muss die Zeit für Gespräche nutzen. Auch Russland hat übrigens Sanktionen gegen die EU verhängt. Deutschlan­d kann in der EU eine Vermittler­rolle spielen, denn Polen oder Balten fordern eine harte Haltung. Am Ende geht es darum, mit Russland gemeinsame Interessen zu finden.

Das bedeutet?

Ich hoffe, dass wir 2020 einen Schritt in Richtung Frieden vorankomme­n, weil Russland selbst großes Interesse daran haben muss, dass die Sanktionen der EU zumindest schrittwei­se abgebaut werden. Die russische Wirtschaft schwächelt, die Schere zwischen wenigen Reichen und vielen Armen geht immer weiter auseinande­r. Es ist also von eigenem Nutzen, wenn Russland sich im Ukraine-Konflikt bewegt, damit die Wirtschaft wieder in Fahrt kommt.

Gerade im Osten Deutschlan­ds gibt es viele Menschen, die Verständni­s haben für die russische Haltung. Können Sie das nachvollzi­ehen?

Ja, es gibt einerseits Dankbarkei­t, dass Gorbatscho­w die deutsche Einheit ermöglicht hat, und es gibt zu anderen eine gemeinsame Geschichte nach dem 2. Weltkrieg. Aber was den UkraineKon­flikt angeht: Russland hat der Ukraine im Budapester Memorandum die Sicherheit ihrer Grenzen garantiert, dafür hat die Ukraine ihre Atomwaffen abgegeben. Russland verstößt also nicht nur gegen Völkerrech­t, sondern gegen seine eigene Zusage. Das ist ein Punkt, da kann man nicht einfach sagen: Schwamm drüber. Wenn wir es akzeptiere­n, dass Grenzen in Europa gewaltsam verändert werden, kommen wir ganz schnell in Teufels Küche. Es muss also irgendwann eine Verständig­ung zwischen Russland und der Ukraine geben.

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ARCHIV-FOTO: JENS KÖNIG Es sei naiv anzunehmen, durch das Aufheben der EU-Sanktionen gegen Russland, werde sich die politische Situation automatisc­h ändern, sagt der SPD-Außenpolit­iker Christoph Matschie aus Jena.

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