Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
44 Jahre Lehrerin
Die Kromsdorferin Verena Schweser hat Hunderten Kindern Lesen und Rechnen beigebracht. Nun naht der Ruhestand
Kromsdorf. Es ist sagenhafte 44 Jahre her, dass sie als 20-jährige frisch ausgebildete Lehrerin das erste Mal vor einer Klasse stand. Doch an ihrem Elan hat dieses knappe halbe Jahrhundert kaum etwas zu ändern vermocht: Obwohl nun so langsam der Ruhestand in Sicht kommt, ist Verena Schweser aus Kromsdorf bei Weimar noch immer eine Lehrerin, wie sie sich jedes Kind nur wünschen kann: darauf bedacht, jeden einzelnen Schüler zu fördern und mitzunehmen, weit über das normale Maß hinaus engagiert und in der richtigen Mischung streng und liebevoll. Selbst manch jüngerer Kollege hat bisweilen Mühe, mit ihrem Tempo Schritt zu halten, wenn sie erst eine Idee hat und diese umsetzen will.
Wie vielen Kindern sie in all den Jahren an insgesamt fünf Schulen nicht nur das Lesen, Schreiben und Rechnen beibrachte, sondern auch den Blick für das Leben außerhalb der Schule öffnen half, hat die temperamentvolle 64-Jährige nicht gezählt: „Da hätte ich von Anfang an genau Buch führen müssen.“Doch da sie bis auf die Zeit nach der Geburt ihrer beiden Söhne immer gearbeitet hat, dürften es etliche Hundert gewesen sein. Und bei den allermeisten weiß sie, wenn sie sie heute auf der Straße trifft, zumindest noch, in welcher Schule sie sie unterrichtet hat.
Verena Schweser hatte nie einen anderen Wunsch als den, Lehrerin zu werden. Dabei war sie familiär gar nicht vorbelastet. „Ich war einfach von Frau Sauerbaum, meiner eigenen Klassenlehrerin, begeistert“, sagt sie rückblickend. Schon früh habe sie sich deshalb auf ihren Berufswunsch festgelegt – und bis zum Abschluss der 10. Klasse auch nicht mehr daran gerüttelt. Mit 16 begann sie die vierjährige Ausbildung am Institut für Lehrerbildung (IfL) in Weimar, zu DDR-Zeiten eine Fachschule zur Ausbildung von Unterstufenlehrern, Pionierleitern und Heimerziehern. Eigentlich hatte sie zum IfL nach Nordhausen gehen wollen. Doch weil sie nach dem Tod ihres Vaters für ihre Mutter da sein und sie nicht allein lassen wollte, entschied sie sich für Weimar als Studienort – ohne zu ahnen, dass sie dort zugleich Pionierleiterin werden musste. „Dabei bin ich sehr unpolitisch erzogen worden“, sagt sie rückblickend. Die Karten offen auf den Tisch zu legen, damit sei sie bis heute gut gefahren, sagt Verena Schweser. Bei ihren Schülern genauso wie bei den Kollegen und den Eltern. Als Lehrer, findet die 64-Jährige, müsse man vor allem authentisch und glaubwürdig sein. Deshalb habe sie sich auch nie verbiegen lassen und immer gesagt, was sie denkt – Autoritäten hin, Autoritäten her. Verena Schweser erinnert sich zum Beispiel daran, wie sie einmal als blutjunge Lehrerin erst kurz vor Unterrichtsbeginn in die Schule stürzte, nachdem sie vorher noch ihre Söhne in den Kindergarten gebracht hatte: „Der Schulleiter stand da und meinte, dass ich vier Minuten zu spät käme. Darauf ich: Stimmt, Ihre Uhr geht richtig.“Später hat sie auch beim damaligen Schulrat nicht eher locker gelassen, bis sie endlich als Lehrerin vor einer eigenen Klasse stehen und nicht mehr nur als Erzieherin und Sportlehrerin hin- und herpendeln musste.
Verena Schweser ist es wichtig, dass sich die Kinder möglichst viel Wissen aneignen und nach Lehrplan gearbeitet wird. Aber genauso wichtig ist ihr, das Miteinander in der Klasse zu stärken und ihre Schüler anders als nur im Unterricht zu erleben. Sie gibt unumwunden zu, dass sie Klassenfahrten liebt. Und dabei auch relativ schmerzfrei ist: Erst im Februar teilte sie mit den Jungs ihrer derzeitigen Klasse an der Grundschule Kromsdorf/ Oßmannstedt das Zimmer, weil sie damit Stress vermeiden wollte. „Mein Zimmer war dann das ruhigste“, erzählt sie schmunzelnd. Doch genauso mutig ging sie – von einem Tag auf den anderen–eineMehrtagesfahrtmit mehr als 40 Grundschülern an, nachdem zwei Kollegen kurzfristig erkrankt und deren Schüler ohne Betreuung waren. Für unkonventionelle Lösungen bekannt, organisierte Verena Schweser zwei Mütter und eine Horterzieherin als Begleiter – und erlebte mit den Kindern eine wunderbare Auszeit im Ferienpark Feuerkuppe bei Sondershausen. „Nicht einer hat quergeschossen“, sagt sie. Abends saßen die Betreuer draußen vor den Bungalows, so dass sie ihre Schützlinge immer in Hörweite hatten und im Bedarfsfall für sie ansprechbar waren. Doch auch Kontakte zu Menschen außerhalb der Schule zu knüpfen, war und ist Verena Schweser wichtig: Der frühere RTL-Star Geert Müller-Gerbes etwa hat ihren Schülern zweimal aus seinen Büchern vorgelesen, Hans-Helmut Münchberg, inzwischen Ex-Landrat im Weimarer Land, war schon unzählige Male als Vorleser an ihrer Schule zu Gast. Mit einer Klasse ist Verena Schweser einmal sogar spontan ins Flugzeug gestiegen und von Erfurt nach München und wieder zurück geflogen, als diese Zeitung vor Jahren ungewöhnliche Wünsche im Advent erfüllen half. Viele solcher Momente hat sie mit dem Fotoapparat festgehalten, von den jüngsten Klassenausflügen gibt es sogar Fotobücher. Verena Schweser verhehlt nicht, dass sich Schule in all diesen Jahren sehr verändert hat, Kinder zum Beispiel noch nie mit so unterschiedlichen Voraussetzungen eingeschult wurden wie heute, Eltern viel mehr Mitsprache einfordern als früher. Doch die Kromsdorferin hat sich darauf eingestellt, dazugelernt und neue Herausforderungen nicht gescheut. Dass Thüringen Ende der 90er Jahre glaubte, zu viele Lehrer zu haben und etliche Pädagogen, sollten sie nicht auf das FloatingModell und die Teilzeitbeschäftigung eingehen, kündigen zu müssen, hat sie geschmerzt, aber nicht verbittern lassen. „Mädchen, vertrau Dir selbst und dem, was Du kannst“– das war es, was ihr lebenskluger Vater ihr als Jugendlicher mit auf den Weg gab und woran sie sich immer orientiert hat. Und das ist es auch, was sie als Lehrerin ihren Schützlingen und nun auch den beiden Enkeltöchtern mit auf den Weg geben will: Immer an sich selbst zu glauben, weil darin der Schlüssel zum Erfolg liegt.