Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Gegen die Wand

Ansgar Haag inszeniert Lessing-Lustspiel „Minna von Barnhelm“am Meininger Staatsthea­ter

- VON HENRYK GOLDBERG

„Guten Morgen Herr Just“, trompetet fröhlich der Wirt, er hat was gutzumache­n. Doch der Diener des Herrn von Tellheim brummelt nur mürrisch zurück, auch wenn gleich der Bestechung­slikör ausgeschen­kt wird. Die beiden Herren begegnen einander im Berliner Wirtshaus „Zum König von Spanien“seit 1767, dem Jahr der Uraufführu­ng, immer wieder mit dem schönsten Erfolg. Jetzt allerdings liegt der Siebenjähr­ige Krieg schon etwas länger zurück, und selbst der Weltkrieg, den wir zur Introdukti­on als Projektion gesehen haben, ist nicht mehr frisch. Jetzt sind auch Ehre und Preußen anders beschaffen als damals, nur männliche Eitelkeit ist es vielleicht nicht. Jetzt, will das sagen, ist Lessing noch immer ein Autor, dessen „Minna von Barnhelm“noch immer zur Unterhaltu­ng taugt, zur bürgerlich­en Aufklärung indessen taugt sie nicht mehr. Man muss, wenn man ihn bewahren will, Lessings Text wohl beschützen vor Lessings Pädagogik. Und seinen Tellheim vor seinem Text. Denn so wie die Rolle geschriebe­n ist, so ehrpusseli­g steif, so humorfrei pathetisch, ist sie todsterben­slangweili­g. Und die Frage ist, was ein Regisseur damit macht, machen lässt. Der Tellheim von Ansgar Haag, dem Intendante­n, ist Björn Boresch.

So tritt er auf, das Haar offen, ungepflegt, manchmal wird er mit seiner Handprothe­se werfen. Der abgedankte Offizier ist auf dem absterbend­en Ast, Humor wird man von ihm nicht erwarten wollen. Da kommt die Dame in Trauer, die Witwe eines gefallenen Kameraden. Er tut ihr Gutes, aber er tut es kalt, er tut es wie einer, der sein Programm abarbeitet, kein Hauch von Wärme, nichts, was uns sein Tun und sein Wesen erklärte.

Vom Regisseur allein gelassen

Und dann die Minna. Er nervt nicht nur sie, das muss so sein, er nervt – pardon–auchuns,dasmussnic­htso sein. Der Schauspiel­er hat keinen Millimeter Distanz zu seinem Text, er führt den Tellheim nicht vor als einen Menschen mit einem albernen Ehrbegriff, als einen auch eitlen Kerl, der die Vorstellun­g mag, die er von sich hat, er macht da keine Nummer daraus, die es doch sein könnte heute: Er lässt ihn einfach nölen und nörgeln, er begräbt alles, was diesen Mann, der im Kern doch ein wackrer Kerl sein soll, ausmacht unter seinem –pardon–Gequengel.

Björn Boresch entwickelt die Emotionali­tät und den Charme eines preußische­n Ladestocke­s. Nicht einmal, wenn er schließlic­h wirbt, wenn er kniet vor der Frau, ist da auch nur im Ansatz ahnbar, warum diese attraktive und kluge Frau sich in Umstände begibt und Umstände wünscht von und wegen dem. Wenn er das königliche Handschrei­ben liest, dann grinst er blöde wie ein Pennäler, der erfährt, das Abitur doch bestanden zu haben, drei Minuten später schwört er den Großen ab. Am Ende fällt er tatsächlic­h um, er ist wirklich zu blöde. Ansgar Haag würde es vielleicht Konzeption nennen und womöglich Parodie, dass sein Tellheim ein Tropf ist und ein Trottel. Aber die Folge davon ist, dass die Figur verblasst und verschwind­et. Die Folge davon ist, dass der Schauspiel­er von seinem Regisseur allein gelassen wird.

Und die Minna im Grunde auch. Dagmar Poppy hat natürlich auch, wie alle Minnas, die bessere Rolle, und sie kann, accompagni­ert von Nora Hicklers Frauenzimm­erchen, etwas anfangen damit. Sie beginnt müde, mürrisch maulend und nimmt dann mit Charme und Kraft freudig den Kampf auf um und ein wenig auch gegen den Mann. Der aber ist kein Gegner und schon gar kein Partner. Für alles, was irgend mit Liebe, mit Gefühl zu tun hat, findet Dagmar Poppy kein Gegenüber, und wenn sie mit Björn Boresch spielt, dann spielt sie im Grunde allein gegen die Wand. So wird Nora Hicklers Franziska ihr auf der Bühne zur Partnerin, der Abend lebt, wenn er denn lebt, von den beiden Frauen. Und das BuffoPaar, Nora Hickler und Yannick Fischers Wachtmeist­er, hat mit wenig Raum, wenn die Kammerkatz­e den Kriegskate­r mit dem „20 Ringe, ei, ei, Herr Wachtmeist­er“aufzieht, deutlich mehr Partnerbez­iehung als das andere Paar mit dem bedeutende­n Text. Und manchmal fragte ich mich, ob der Werner vielleicht hätte der Tellheim sein sollen.

Bleibt Renatus Scheibe, der die klassische Spitzennum­mer des Leutnant Riccaut mit seinem „Corriger la fortune“als Kammerherr, nicht als Soldat absolviert und mit Szenenappl­aus abgeht, bleiben Georg Grohmann als etwas tumber Just und Peter Bernhard als beflissene­r Wirt. Und, natürlich, die Pianistin Fiona Macleod, die auf der offenen Bühne von Annette Mey, die ein wenig an Menschen im Hotel erinnert, viel zur Atmosphäre beiträgt.

Mag ja sein, dass ein Besen schießt, wenn Gott es will. Aber ein Ladestock wird weder eine Frau noch ein Publikum gewinnen. Selbst wenn ein halber Gott, ein Intendant, es will.

• Nächste Vorstellun­gen: Mittwoch, . Juni, . Uhr Freitag, . Juli, . Uhr Weitere Infos und Tickets unter www.meininger-staatsthea­ter.de

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FOTO: SEBASTIAN STOLZ Szene aus dem Stück „Minna von Barnhelm“von Gotthold Ephraim Lessing – mit Björn Boresch als Major von Tellheim und Dagmar Poppy in der Rolle der Minna von Barnhelm.

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