Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Das große Cannabisgeschäft
Drei Unternehmen dürfen den Hanf in Deutschland legal anbauen. Sie hoffen auf gute Gewinne
Berlin. Für gewöhnlich wecken Gewächshäuser selten kriminelle Begehrlichkeiten, ein Vorhängeschloss reicht oft aus, um Tomatenoder Salatdieben den Riegel vorzuschieben. Bei dem Gewächshaus, das Hendrik Knopp gerade in Neumünster errichten lässt, ist das anders. 15.000 Tonnen Stahlbeton sorgen für 24 Zentimeter dicke Wände, Sicherheitsschleusen halten unliebsame Besucher fern. Denn in Knopps Gewächshaus wird bald eine Pflanze sprießen, die politisch hoch umstritten und wirtschaftlich wertvoll ist: Cannabis. Rund 50.000 Menschen nutzen die Droge in Deutschland bereits legal als Medikament – geht es nach den Produzenten, könnten es schon bald Hunderttausende sein. Knopp ist Geschäftsführer von Aphria Deutschland, einem von drei Unternehmen, die in Deutschland Cannabis anbauen dürfen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) konnte zwei Jahre nach der Freigabe von medizinischem Cannabis für Patienten, die beispielsweise multiple Sklerose, chronische Schmerzen, Übelkeit nach Chemotherapien oder Epilepsie haben, seine Ausschreibung für den Anbau von 10,4 Tonnen in einem Zeitraum von vier Jahren beenden. 13 Lose à 200 Kilogramm Hanf pro Jahr wurden verteilt, Aphria erhielt ebenso wie das Berliner Unternehmen Aurora Deutschland fünf Lose, macht je eine Tonne pro Jahr. Das Berliner Start-up Demecan darf pro Jahr 600 Kilogramm Cannabis anbauen. Alle drei Firmen haben kanadische Mutterkonzerne und wittern ein Millionengeschäft. Die erste Ernte soll im vierten Quartal 2020 eingefahren werden. Viel Zeit bleibt den drei Produzenten also nicht, um ihre Anlagen zu errichten. Mit Stahlbetonhüllen und schusssicheren Fenstern werden die Produktionsund Lagerstätten von außen Hochsicherheitstrakten gleichen. Innen entstehen dagegen technische Leistungszentren mit Infrarotlampen, Sensoren und Klimatechnik. Das ist nötig, da so die Intensität des Cannabis-Wirkstoffs THC exakt gesteuert werden kann.
Der Bau solcher Anlagen ist teuer. Zu welchem Preis die Cannabishersteller das Gras loswerden, wollen sie aus Wettbewerbsgründen nicht sagen. Das „Handelsblatt“bezifferte mit Verweis auf Branchenkreise die Preise auf 1,50 bis 8 Euro pro Gramm. Bei einem angenommenen Abgabepreis von 5 Euro pro Gramm würde das für Aphria und Aurora in vier Jahren jeweils einen Umsatz von 20 Millionen Euro ergeben, Demecan käme auf 12 Millionen Euro. Axel Gille, Geschäftsführer von Aurora Europe, ist überzeugt, dass sich die hohen Investitionen lohnen werden. Schließlich habe man mit dem Bund „sinnvolle Preise“vereinbart.
Für die Unternehmen ist der Anbau eine Wette auf die Zukunft. Denn die erlaubte Anbaumenge von 10,4 Tonnen dürfte die Nachfrage nach medizinischem Cannabis nach Ansicht der Hersteller kaum decken. Offizielle Statistiken zu den Cannabis-Patienten in Deutschland gibt es nicht, Aphria-Chef Knopp schätzt die derzeitige Zahl auf bis zu 55.000 Patienten. Sein Konkurrent Gille sieht großes Marktpotenzial: „0,5 bis ein Prozent der Bevölkerung könnten auch in Deutschland Cannabispatienten sein.“In Kanada, wo medizinisches Cannabis seit 2001 legal ist, liegt laut kanadischem Gesundheitsministerium der Anteil der Cannabispatienten bei 0,9 Prozent. Umgerechnet auf Deutschland wären das rund 750.000 Menschen.
Aber selbst bei 55.000 Patienten blieben von dem in Deutschland produzierten Cannabis pro Kopf und Tag nur rund 0,13 Gramm übrig. Als Mittelwert erhalten Patienten nach der jüngsten Auswertung des BfArM zufolge aber eine Erstverordnung von einem Gramm pro Tag. Je mehr Patienten und Ärzte Cannabis als Medizin kennen, desto mehr wird die Menge des importierten Cannabis wachsen, ist Knopp überzeugt. Bislang muss alles importiert werden, oft kam es zu Lieferengpässen. Warum dann ein solcher Aufwand, wenn ein großer Teil des Cannabis doch aus Kanada kommt? „Wenn man es in einem hochregulierten Land wie Deutschland schafft, medizinisches Cannabis anzubauen, dann schafft man ein europäisches Referenzobjekt“, ist Knopp überzeugt. Das sieht auch Philip Schetter so, der zusammen mit Gille Geschäftsführer von Aurora ist: „Die deutschen Behörden schauen sehr streng hin.“Der europäische Markt birgt für sie großes Potenzial: In Ländern wie Großbritannien, Dänemark oder Portugal ist Cannabis für medizinische Zwecke bereits erlaubt. In Frankreich gab der Senat im Mai grünes Licht für ein Modellprojekt. Luxemburg geht noch weiter und möchte Cannabis auch für nichtmedizinische Zwecke legalisieren. Das gibt es bisher erst in Uruguay und Kanada.
Die deutschen Hersteller wollen zunächst Cannabis als Medizinprodukt bekannter machen. Daher suchen sie die Kooperation. Schetter schwebt sogar eine medizinische Graslobby vor: „Mittelfristig wäre eine Interessensgemeinschaft von Pharmagesellschaften zum Thema Cannabis auf deutscher, aber auch auf europäischer Ebene denkbar.“
Produktion wird den Bedarf wohl nicht decken