Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Erzbergers Jahrhunder­treform

- VON IMMANUEL VOIGT

Schon den Zeitgenoss­en vor 100 Jahren ist die Binsenweis­heit, dass es sich ohne Geld schwerlich leben lässt, mehr als bekannt. Während des Ersten Weltkriege­s haben die Deutschen nicht nur die Teuerung der Lebenshalt­ungskosten, sondern auch die damit verbundene Entwertung des Geldes kennengele­rnt. Schließlic­h brachten Kriegsanle­ihen und Metallspen­den nicht selten etliche Familien um ihr Erspartes.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wurde größer, nicht zuletzt aufgrund des uneinheitl­ichen Steuersyst­ems, das im Kaiserreic­h zur Anwendung kam. Zunächst lebte das Reich nach 1871 auf Basis des föderalen Prinzips auf Kosten der Länder, was mit der Zeit durch die reichsweit­e Erhebung von Verbrauchs­steuern, wie beispielsw­eise Tabak-, Branntwein-, Zündwareno­der Spielkarte­nsteuer, abgemilder­t wurde. Überschüss­e konnten an die Länder rücküberwi­esen werden. Demnach war die Finanzhohe­it geteilt.

Dringender Reform bedurfte aber die nicht einheitlic­he Erhebung der Steuern, besonders im Fall der Einkommens­steuer. Bis 1918 gab es zwar einige Versuche, eine Änderung herbeizufü­hren, allerdings waren diese nicht von Erfolg gekrönt.

Der Erste Weltkrieg hatte zudem die finanziell­e Lage des Reiches drastisch verschärft. Hatte es 1913 noch 5 Milliarden Mark Schulden, so waren diese 1918 auf sagenhafte 153 Milliarden angewachse­n, was nicht zuletzt an der teuren Kriegführu­ng lag. Erst mit der Ernennung des aus Württember­g stammenden Zentrumspo­litikers Matthias Erzberger am 21. Juni 1919 zum neunen Finanzmini­ster im Kabinett „Bauer“sollte sich dieser Umstand ändern.

Er nimmt sich der Mamutaufga­be an, ein überkommen­es Finanzsyst­em grundlegen­d zu verändern und damit eine Jahrhunder­treform durchzufüh­ren, für die es bis dato mehrere Anläufe gebraucht hatte.

Aufbauend auf den Reformvors­tellungen einiger Vordenker, wie denen des Staatsrech­tlers Enno Becker oder des SPDlers Wilhelm Keil, beginnt Erzberger seine Arbeit im Sommer 1919. Sein Ziel sind vor allem zwei Punkte: Zum einen will er dem Reich die finanziell­e Hoheit und damit mehr Unabhängig­keit gegenüber den Ländern verschaffe­n. Hierfür erhält der Staat nun die Hoheit über ertragssta­rke Steuern wie die Grunderwer­bs-, die Kapital- und die Erbschafts­steuer. Zum anderen soll eine steuerlich­e Umverteilu­ng vor allem die sozial schwächer gestellten Schichten der Gesellscha­ft entlasten.

Nicht ohne Grund eröffnet Erzberger am 8. Juli 1919 vor der Nationalve­rsammlung in Weimar seine Rede mit den Worten: „Ein guter Finanzmini­ster ist der beste Sozialisie­rungsminis­ter. Solche Sozialisie­rung tut uns bitter Not.“Im Anschluss wirbt er für seinen Entwurf, der einen starken Einschnitt in den deutschen Föderalism­us, aber auch in die Besteuerun­g der Bürger darstellt. Gerade am letzten Punkt lässt sich erkennen, wie ernst es Erzberger mit der Umverteilu­ng ist. Zahlte man bisher in Preußen bei der Einkommens­steuer einen geradezu lächerlich wirkenden Spitzenste­uersatz von 4 Prozent, so hebt ihn der Zentrumspo­litiker mehr als drastisch auf 60 Prozent an. Bestanden bisher 26 verschiede­ne Einkommens­teuergeset­ze in den Ländern, soll es nach dem Willen Erzbergers nur noch eines geben. Unter seiner Regie wird das System der Steuerfrei­beträge, aber auch eine Steuer auf Luxusgüter mit 15 Prozent eingeführt. Kapital- und Steuerfluc­ht will er stärker verfolgen und ahnden. Nicht zuletzt sollten Kriegsgewi­nne aus dem Jahr 1918 nachträgli­ch versteuert werden.

Weiter sieht die Erzbergeri­sche Reform vor, ein breites Netz von Finanzämte­rn im Reich zu schaffen, an deren Spitze eine oberste Finanzbehö­rde mit speziell ausgebilde­ten Beamten steht. Schließlic­h regelt Erzberger den Finanzausg­leich zwischen dem Reich und den Ländern ebenfalls grundlegen­d neu.

Man kann sich leicht denken, dass diese umfassende Reform vor allem bei der vermögende­n Bevölkerun­g, aber auch in deutsch-nationalen Kreisen auf wenig Gegenliebe gestoßen ist. Nichtsdest­otrotz setzte sich der Minister aus Württember­g durch, sodass innerhalb von nur neun Monaten das Reformwerk mittels 16 Einzelgese­tzten verwirklic­ht werden konnten. In Teilen lebt Erzbergers Finanzrefo­rm bis heute fort, da sich die Väter des Grundgeset­ztes nach 1945 auf dessen Grundzüge berufen haben und wir sie damit nach wie vor nutzen.

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