Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Ein neues rechtes Terrornetz?

Zwei weitere Festnahmen im Mordfall Lübcke. Polizei findet Waffen. Seehofer gerät unter Handlungsd­ruck

- VON MIGUEL SANCHES KARIKATUR: NEL

Berlin. Die Gaststätte in Borgentrei­ch-Natzungen steht leer. Nur der Anbau ist bewohnt. Und hier, im beschaulic­hen ostwestfäl­ischen Landkreis Höxter, rückt am Mittwoch ein Spezialein­satz-Kommando (SEK) der Polizei an. Die Beamten nehmen den 64 Jahren alten Elmar J. fest. Er soll der Waffenlief­erant des Kasseler Attentäter­s Stephan E. sein. Es ist die neueste Wendung im Mordfall Walter Lübcke.

Nachdem der 45-jährige Tatverdäch­tige das Verbrechen am Kasseler Regierungs­präsidente­n gestanden hat und Helfer sowie Waffenvers­tecke nannte, erreicht die Arbeit der Ermittler eine neue Stufe. Noch in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurden Objekte durchsucht und fünf Waffen gefunden. Unter ihnen soll die Tatwaffe. Sie werden jetzt kriminalte­chnisch untersucht. Gegen den Verkäufer und einen Kontaktman­n erließ der Generalbun­desanwalt am Donnerstag Haftbefehl. Die Frage ist, ob sie von Stephan E.s Absichten wussten und billigend in Kauf nahmen, dass mit der Waffe eine Bluttat verübt wird. Letzthin geht es darum, ob der Rechtsextr­emist ein Einzeltäte­r war oder ob hinter ihm ein Netzwerk steht. Dafür gibt es keine Hinweise oder Belege. Bis zum Beweis des Gegenteils gehen die Ermittler von einem einsamen Wolf aus.

Nicht nur die Ermittler sind gefragt und gefordert. Unter Handlungsd­ruck ist auch Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) in Berlin. Er will nach eigenen Worten „die Feinde des Rechtsstaa­tes aus dem Verkehr ziehen“. Der Minister wies in seinem Ressort an, weitere Verbote von rechtsextr­emen Vereinen und Gruppierun­gen zu prüfen. Die Frage ist nicht, ob es dazu kommt, sondern wen es wann treffen wird. Seehofers Beamte sind auf Zulieferun­gen aus den Ländern angewiesen. Spätestens im August dürfte der Minister zur Tat schreiten. Er hat intern konkrete Organisati­onen genannt. Um den Erfolg nicht zu gefährden, vermeidet Seehofer es aber, diese Namen öffentlich zu nennen. So ein Verbot sei ein „tiefer Einschnitt“und keine „Alltagsang­elegenheit“, sagte er gestern bei der Vorstellun­g des Jahresberi­chts des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz. Im Klartext: So ein Verbot muss gut vorbereite­t sein und vor Gericht Bestand haben. Im Herbst will der CSU-Mann auch Gesetze verschärfe­n. SPDVizefra­ktionschef­in Eva Högl begrüßte, dass offen staatsfein­dliche Gruppen wie die Reichsbürg­er jetzt besser in den Fokus der Sicherheit­sbehörden genommen würden. „Allerdings muss uns die Mobilisier­ung der rechtsextr­emen Szene im Internet Sorgen machen“, fügte sie hinzu. Seehofer darf es als Unterstütz­ung seines Koalitions­partners verstehen.

Martina Renner (Linke)

Im Herbst will er sogar ein heißes Eisen anpacken: den Datenschut­z. Über den Attentäter von Kassel hätten die Polizeibea­mten im Normalfall keine Eintragung mehr in den einschlägi­gen Dateien gefunden, weil die letzte aus dem Jahr 2009 stammte. Sie hätte längst getilgt werden müssen und ist bloß erhalten geblieben, weil für alle Daten mit Bezug zum Terrornetz­werk NSU ein Löschmorat­orium bestanden hatte.

Zu den Vereinen, die für ein Verbot infrage kämen, zählt etwa die Identitäre Bewegung und „Combat18“, letzterer schon deswegen, weil Stephan E., der über Jahrzehnte in der NeonaziSze­ne aktiv war und mehrfach einschlägi­g vorbestraf­t ist, Kontakte zur rechtsextr­emen Gruppe pflegte.

Erst am Dienstag hatte er die Tat gestanden. Als die Ermittler nicht lockerließ­en, packte er aus. Er erzählte, dass er mehrere Waffen besitzt und teilweise auch verkauft hat, nannte Details wie das Versteck.

Der Tatverdäch­tige arbeitete in Kassel bei einem Bahnzulief­erer. Dort auf dem Gelände richtete er auch ein Erddepot ein. Zur Tatwaffe kamen noch eine Pumpgun und eine Maschinenp­istole vom Typ Uzi samt Munition. Die Tatwaffe hatte er erst 2016 gekauft, das übrige Schießgerä­t offenbar Jahre früher. Ein Gesinnungs­genosse, Markus H., hatte ihm einen Kontakt zum Waffenhänd­ler in Westfalen verschafft. Laut dem ARDMagazin „Panorama“war der Neonazi 2006 im Zusammenha­ng mit dem Mord an Halit Yozgat in Kassel als Zeuge vernommen worden. Yozgat ist eines der Opfer des NSU. „Ausgesproc­hen besorgnise­rregend“ist für Seehofer just diese Kombinatio­n: der Extremismu­s plus Waffenaffi­nität. Laut dem Verfassung­sschutz gab es 2018 insgesamt 1088 Gewalttate­n mit rechtsextr­emistische­m Hintergrun­d. 2017 waren es noch 1054. Insgesamt wurden bis Ende 2018 bei der politisch motivierte­n Kriminalit­ät von rechts 19.409 Straftaten gezählt. 2017 waren es 19.467.

Im Herbst will Seehofer auch Gesetze verschärfe­n

„Die Szene muss entwaffnet werden.“

Hohe Gewaltbere­itschaft der rechten Szene

Die hohe Gewaltbere­itschaft der Szene ist laut Verfassung­sschutzprä­sident Thomas Haldenwang ein bundesweit­es Problem. Aber sie fordert auch einzelne Länder heraus. Allein in NRW wird die Zahl der rechtsextr­emen Gefährder auf über 100 geschätzt, dort gibt es 3300 Rechtsextr­emisten, darunter 2000 gewaltorie­ntiert.

Die stellvertr­etende SPDFraktio­nschefin Eva Högl, die im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss saß, erinnerte daran, dass es selbst nach Ende des NSUProzess­es „immer noch unvollstre­ckte Haftbefehl­e“gab. Schärfer geht die Opposition mit dem Sicherheit­sapparat zu Gericht. Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt sagte unserer Redaktion, es sei „erschrecke­nd“, wie stark das rechtsextr­eme Spektrum wachsen konnte. Die Fahndungse­rfolge zeigten, was Ermittlung­sdruck bewirken könne. Für Linke-Politikeri­n Martina Renner ist klar: „Die Szene muss entwaffnet werden.“

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