Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Lebendige Eindrücke vergangener Zeiten
Heimatgeschichten Unsere Zeitung stellt regionale Museen und Ausstellungen vor, heute die Heimatstube in Seebach
Seebach. Als sichdie frühere Bürgermeisterin Maritta Nagel mit Heimatfreunden im Jahr 2015 auf die Suche nach einem geeigneteren Ambiente für die Heimatstube machte, die bis dahin deplatziert in einem Neubau schlummerte, trafen sie auf Menschen, die voller Ideen waren. Sie fanden ein geeignetes Objekt, einen ambitionierten Investor und noch mehr Leute, die sich begeisterten.
Von einer wechselvollen Geschichte könnte das kleine Fachwerkhaus in der Hauptstraße 43 in Seebach berichten. Vor über 200 Jahren als Bäckerei erbaut, diente nach der Wende, auch als Sparkasse und Spielzeuggeschäft. Der Zahn der Zeit nagte an dem Haus, beraubte es aber dennoch nicht seines Charmes. War doch Seebach einst ein kleines, nur wenige Einwohner zählendes Dorf, als es in Unterlagen Fuldaer Mönche anno 830 erwähnt wird. Als selbständig verbrieft wird Seebach erst im Jahre 1800, was eine Urkunde am Eingang der Heimatstube beweist. Als Johannes Dicel, Sohn eines Leinewebers und einer Kräuterfrau, nach dem 30jährigen Krieg anno 1676 das Licht der Welt erblickt, gehört Seebach noch zur Grafschaft Farnroda. Es ist ein armer Ort, der junge Dicel will das ändern. Er widmet sich der Kräuterkunde, wird später von den Einheimischen zum Wunderdoktor erkoren. Ihm verdanken die Einwohner Schule und Kirche.
Mehrere Wege, Historie erfahrbar zu machen
Erst mit Beginn der Industrialisierung im Jahre 1879 erlebte der Ort einen enormen Aufschwung. Handwerk und kleine Zulieferbetriebe entstehen für die Meerschaum-Pfeifenherstellung in Ruhla, später für die Uhrenindustrie der Gebrüder Thiel, aber auch Landwirtschaft. In den 1970er Jahren boomt der Ort. Neubauten entstehen, Menschen aus der gesamten DDR arbeiten in Seebach. Die Einwohnerzahl steigt rapide. Es entsteht eine Maschinenfabrik, die ab 1980 Vorzeigebetrieb für Mikroelektronik der DDR wurde. Nach dem Mauerfall erlebte der Ort eine erneute Veränderung. Aber, wie lebte man früher? Bereits die beiden Pfarrer Heinrich Schwerdt (1860), später Johannes E. Harstick (1980er Jahren) versuchten sich das Leben von damals, insbesondere von Johannes Dicel, bildlich vorzustellen und in Geschichten lebendig darzustellen. Mehrere Schriften entstehen. Diese griff Ortschronistin Ursula Dorn auf, als sie 1995 das GemeindeArchiv übertragen bekam, es erweiterte und 1997 innerhalb einer ABM-Maßnahme eine Heimatstube aufbaute. Auch sie interessierte das Gemeindeleben von damals und wob eine Roman-Trilogie um das Leben des Medicus Practicus Dicel seiner Zeit. Nicht nur damit gelang es ihr, genauso, wie der damaligen Bürgermeisterin, heimatgeschichtlich Interessierte um sich zu scharen, die sie in ihrer Arbeit unterstützten und heute weiter tragen. Im Jahr 2015 kam ein lockerer Stammtisch zusammen, der an der Idee festhielt, das Gesammelte in einen würdigen Rahmen zu bringen. Das alte Fachwerkhaus in der Hauptstraße 43 schien ideal dafür zu sein. Im Jahre 2017 gründete sich der Heimatverein Seebach mit Heintke Schardt als Vorsitzender. Im Vorstand wirken außerdem die ehemalige Bürgermeisterin Maritta Nagel, Marion Schmidt-Langlotz und Mario Niemuth mit. Letzterer ließ sich überreden, kaufte das Haus und sanierte es. Die niedrige Deckenhöhe bleibt bewusst unverändert, der größte Teil der neuen Fenster wurden den alten nachempfunden. Sein Herzenswunsch war es auch, wieder einen Backofen einzubauen, wo er sich einst zu Zeiten befand, als hier noch die Bäckerei Nöthling wirkte. Dieser war nach Schließung abgerissen worden, und der Raum als Garage genutzt. Heute betritt der Besucher ein ganz normales Wohnhaus von vor 100 Jahren. Vor allem auf den oberen beiden Etagen gewinnt man den Eindruck, die Bewohner, sind gerade einmal ausgegangen. Im Schlafzimmer hängen das Nachthemd und die Schlafmütze über dem Bettrand. Pantoffeln stehen davor. Am Waschtisch sind Rasierutensilien und Lockenstäbe aus längst vergessener Zeit abgelegt. Die Schranktüren sind weit geöffnet und verführen den Betrachter zum Reinfassen. Auch die Truhe ist gefüllt mit Hockmänteln, Hüten, Spitzenschürzen, Kindersachen. Alles darf durchaus einmal berührt oder in die Hand genommen werden. Auch die so genannte „Gute Stube“ist ausstaffiert mit Geschirr und Gläsern, Tischzeug und mehr und darf benutzt werden. Wer hier mal seinen Geburtstag feiern möchte, kann die Stube mieten. In der Küche findet man einen alten Herd und historische Küchengeräte von einst. Viele der Ausstellungsgegenstände sind gespendet. Einige davon warten noch auf ihrer Unterbringung im Haus. Im Ergeschoss haben viele neben der Vorgeschichte bereits einen Platz: Eine Drechselbank mit Utensilien, einer Schulbank aus Dicel-Zeiten, einer Wechselausstellung, ein alter Schlachtplatz und alte landwirtschaftlichen Gerätschaften und auch die Backstube. Außerdem steht dort ein Monitor auf dem unter anderem Filme über den Bau der Maschinenfabrik mit Original-Interviews von Bewohnern gezeigt werden. Man darf sogar auf den Dachboden steigen, wo Wäsche aufgehängt ist, ein Leiterwagen steht, Pferdehalfter aufbewahrt und eine Spielzeugkammer eingerichtet wurde. Auch eine komplette Schusterwerkstatt findet man dort oben, übernommen von Schuster Bohl aus Schwarzhausen. Außerdem gibt es eine Geologie-Ecke und natürlich etwas über die Geschichte des Wunderdoktors und Gönners der Gemeinde, Johannes Dicel, zusehen mit Fläschchen und Original-Handschriften. Kindergarten, Grundschule der Gemeinde, aber auch Familienfeste oder Klassentreffen nutzen die Einrichtung gern. Am 3. August findet wieder ein Sommerfest statt.
• Die Heimatstube ist dienstags von bis Uhr geöffnet oder nach Vereinbarung mit die Gemeindeverwaltung oder Vereinsmitgliedern. Der Eintritt ist frei.