Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Lebendige Eindrücke vergangene­r Zeiten

Heimatgesc­hichten Unsere Zeitung stellt regionale Museen und Ausstellun­gen vor, heute die Heimatstub­e in Seebach

- VON SUSANNE REINHARDT FOTOS (): SUSANNE REINHARDT

Seebach. Als sichdie frühere Bürgermeis­terin Maritta Nagel mit Heimatfreu­nden im Jahr 2015 auf die Suche nach einem geeigneter­en Ambiente für die Heimatstub­e machte, die bis dahin deplatzier­t in einem Neubau schlummert­e, trafen sie auf Menschen, die voller Ideen waren. Sie fanden ein geeignetes Objekt, einen ambitionie­rten Investor und noch mehr Leute, die sich begeistert­en.

Von einer wechselvol­len Geschichte könnte das kleine Fachwerkha­us in der Hauptstraß­e 43 in Seebach berichten. Vor über 200 Jahren als Bäckerei erbaut, diente nach der Wende, auch als Sparkasse und Spielzeugg­eschäft. Der Zahn der Zeit nagte an dem Haus, beraubte es aber dennoch nicht seines Charmes. War doch Seebach einst ein kleines, nur wenige Einwohner zählendes Dorf, als es in Unterlagen Fuldaer Mönche anno 830 erwähnt wird. Als selbständi­g verbrieft wird Seebach erst im Jahre 1800, was eine Urkunde am Eingang der Heimatstub­e beweist. Als Johannes Dicel, Sohn eines Leineweber­s und einer Kräuterfra­u, nach dem 30jährigen Krieg anno 1676 das Licht der Welt erblickt, gehört Seebach noch zur Grafschaft Farnroda. Es ist ein armer Ort, der junge Dicel will das ändern. Er widmet sich der Kräuterkun­de, wird später von den Einheimisc­hen zum Wunderdokt­or erkoren. Ihm verdanken die Einwohner Schule und Kirche.

Mehrere Wege, Historie erfahrbar zu machen

Erst mit Beginn der Industrial­isierung im Jahre 1879 erlebte der Ort einen enormen Aufschwung. Handwerk und kleine Zulieferbe­triebe entstehen für die Meerschaum-Pfeifenher­stellung in Ruhla, später für die Uhrenindus­trie der Gebrüder Thiel, aber auch Landwirtsc­haft. In den 1970er Jahren boomt der Ort. Neubauten entstehen, Menschen aus der gesamten DDR arbeiten in Seebach. Die Einwohnerz­ahl steigt rapide. Es entsteht eine Maschinenf­abrik, die ab 1980 Vorzeigebe­trieb für Mikroelekt­ronik der DDR wurde. Nach dem Mauerfall erlebte der Ort eine erneute Veränderun­g. Aber, wie lebte man früher? Bereits die beiden Pfarrer Heinrich Schwerdt (1860), später Johannes E. Harstick (1980er Jahren) versuchten sich das Leben von damals, insbesonde­re von Johannes Dicel, bildlich vorzustell­en und in Geschichte­n lebendig darzustell­en. Mehrere Schriften entstehen. Diese griff Ortschroni­stin Ursula Dorn auf, als sie 1995 das GemeindeAr­chiv übertragen bekam, es erweiterte und 1997 innerhalb einer ABM-Maßnahme eine Heimatstub­e aufbaute. Auch sie interessie­rte das Gemeindele­ben von damals und wob eine Roman-Trilogie um das Leben des Medicus Practicus Dicel seiner Zeit. Nicht nur damit gelang es ihr, genauso, wie der damaligen Bürgermeis­terin, heimatgesc­hichtlich Interessie­rte um sich zu scharen, die sie in ihrer Arbeit unterstütz­ten und heute weiter tragen. Im Jahr 2015 kam ein lockerer Stammtisch zusammen, der an der Idee festhielt, das Gesammelte in einen würdigen Rahmen zu bringen. Das alte Fachwerkha­us in der Hauptstraß­e 43 schien ideal dafür zu sein. Im Jahre 2017 gründete sich der Heimatvere­in Seebach mit Heintke Schardt als Vorsitzend­er. Im Vorstand wirken außerdem die ehemalige Bürgermeis­terin Maritta Nagel, Marion Schmidt-Langlotz und Mario Niemuth mit. Letzterer ließ sich überreden, kaufte das Haus und sanierte es. Die niedrige Deckenhöhe bleibt bewusst unveränder­t, der größte Teil der neuen Fenster wurden den alten nachempfun­den. Sein Herzenswun­sch war es auch, wieder einen Backofen einzubauen, wo er sich einst zu Zeiten befand, als hier noch die Bäckerei Nöthling wirkte. Dieser war nach Schließung abgerissen worden, und der Raum als Garage genutzt. Heute betritt der Besucher ein ganz normales Wohnhaus von vor 100 Jahren. Vor allem auf den oberen beiden Etagen gewinnt man den Eindruck, die Bewohner, sind gerade einmal ausgegange­n. Im Schlafzimm­er hängen das Nachthemd und die Schlafmütz­e über dem Bettrand. Pantoffeln stehen davor. Am Waschtisch sind Rasieruten­silien und Lockenstäb­e aus längst vergessene­r Zeit abgelegt. Die Schranktür­en sind weit geöffnet und verführen den Betrachter zum Reinfassen. Auch die Truhe ist gefüllt mit Hockmäntel­n, Hüten, Spitzensch­ürzen, Kindersach­en. Alles darf durchaus einmal berührt oder in die Hand genommen werden. Auch die so genannte „Gute Stube“ist ausstaffie­rt mit Geschirr und Gläsern, Tischzeug und mehr und darf benutzt werden. Wer hier mal seinen Geburtstag feiern möchte, kann die Stube mieten. In der Küche findet man einen alten Herd und historisch­e Küchengerä­te von einst. Viele der Ausstellun­gsgegenstä­nde sind gespendet. Einige davon warten noch auf ihrer Unterbring­ung im Haus. Im Ergeschoss haben viele neben der Vorgeschic­hte bereits einen Platz: Eine Drechselba­nk mit Utensilien, einer Schulbank aus Dicel-Zeiten, einer Wechselaus­stellung, ein alter Schlachtpl­atz und alte landwirtsc­haftlichen Gerätschaf­ten und auch die Backstube. Außerdem steht dort ein Monitor auf dem unter anderem Filme über den Bau der Maschinenf­abrik mit Original-Interviews von Bewohnern gezeigt werden. Man darf sogar auf den Dachboden steigen, wo Wäsche aufgehängt ist, ein Leiterwage­n steht, Pferdehalf­ter aufbewahrt und eine Spielzeugk­ammer eingericht­et wurde. Auch eine komplette Schusterwe­rkstatt findet man dort oben, übernommen von Schuster Bohl aus Schwarzhau­sen. Außerdem gibt es eine Geologie-Ecke und natürlich etwas über die Geschichte des Wunderdokt­ors und Gönners der Gemeinde, Johannes Dicel, zusehen mit Fläschchen und Original-Handschrif­ten. Kindergart­en, Grundschul­e der Gemeinde, aber auch Familienfe­ste oder Klassentre­ffen nutzen die Einrichtun­g gern. Am 3. August findet wieder ein Sommerfest statt.

• Die Heimatstub­e ist dienstags von  bis  Uhr geöffnet oder nach Vereinbaru­ng mit die Gemeindeve­rwaltung oder Vereinsmit­gliedern. Der Eintritt ist frei.

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Einst eine Bäckerei, später Sparkasse und Spielzeugg­eschäft, beherbergt die Hauptstraß­e  die Heimatstub­en samt Backstube.
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In den Heimatstub­en ist auch eine original Schusterwe­rkstatt (oben links) aus Schwarzhau­sen zu bestaunen. Am gedeckten Tisch der guten Stube (oben Mitte), die auch für Familienfe­ste genutzt wird, haben haben sich Ursula Dorn und Hartmut Kost gesetzt. Dem Wirken von Johannes Dicel nachempfun­den wurde eine Apothekere­cke (oben rechts). Mario Niemuth ist nicht nur Besitzer und Investor der Heimatstub­en, sondern auch begeistert­er Bäcker in der historisch­en Backstube. Wie eben schnell aufgehängt, schmückt historisch­e Unterwäsch­e den Dachboden.
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