Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Engelhaftes Schweben verzückt Zuschauer
Das Märchen-Ensemble Stuttgart gastiert zu Eurythmie-Abend in der Waldorf-Schule Eisenach
Eisenach. Was könne es Besseres geben, als den JohanniAbend mit Eurythmie ausklingen zu lassen, sagte Karin JohnSander zum Beginn der Vorstellung des Märchen-Ensembles Stuttgart im Saal der Freien Waldorfschule Eisenach/Wartburgkreis. „Dann wird es auch hell in unseren Seelen“, so die Eurythmie-Lehrerin.
Und tatsächlich ließe sich so ein Effekt des außergewöhnlichen Abends beschreiben. Denn das was die neun Eurythmisten aus den sieben Ländern zeigten, ermöglichte nicht nur genussvolles Schauen sondern auch freudiges Seelenjauchzen.
Eurythmie, diese viel belächelte, aber auch viel bestaunte anthroposophische Bewegungskunst, ist eben nicht nur ein Fach an den Waldorfschulen, es ist auch mehr als ein Tanz-Stil und eine Therapie-Form. Es ist ein Gesamt-Mysterium, das sich nur schwer mit Worten erklären lässt und stattdessen am besten mit solch einem Abend erfasst werden kann. Besonders gut mit jungen, frisch ausgebildeten Eurythmisten – in dem Märchen-Ensemble finden sie sich immer wieder neu für ein Jahr zusammen, um mit Programmen für Kinder und Erwachsene durch die Welt zu touren.
Mit dem ersten Hereinschweben auf die Bühne ziehen die Künstler in den Bann und verzaubern. Das ist den faszinierenden Gewändern zu verdanken, die bei jedem Stück variieren, wobei sie immer wallen und wehen sowie in pastellfarbenen Tönen gehalten sind. Das liegt am Können der Tänzer, die mit fließenden Bewegungen voller Anmut und Grazie tatsächlich den Eindruck erwecken, als schwebten sie über die Bühne, und denen ihre tiefe Ergriffenheit und Ehrfurcht vor der Eurythmie anzumerken ist. Ebenso wie am Können des Pianisten Andreas Merzinger, der souverän und einfühlsam begleitet, sowie der Erzählerin, die Gedichte rezitiert. Aber das hat auch viel mit dem Geheimnis der Bewegungen zu tun, die für Uneingeweihte mysteriös anmuten. Tatsächlich sind sie aber perfekt „durchorganisiert“und stellen anscheinend wirklich so etwas wie die Sprache der Seele dar.
Und so sind die Choreografien von Michael Leber nicht nur schön anzuschauen. Sie lassen vom ersten Moment an das Herz höher schlagen als klares Zeichen von tiefer Seelenberührung, und sie lassen tief eintauchen in Welten, die im Alltag meist komplett „stillgelegt“sind. Hier ist sie plötzlich da, die Ahnung davon, dass unsere Welt viel mehr umfasst als wir normalerweise zu denken gewohnt sind, und auch davon, dass wir viel mehr sind als das was wir glauben sollen. Die Künstler selbst beweisen es: Wie sie sich voller Ästhetik, Perfektion und Schönheit bewegen, lässt klar erspüren, dass wir nicht nur einen Körper besitzen sondern auch Geist und Seele dazu, dass wir über ein ungeahntes seelisches Potential verfügen. Möge es kitschig klingen, aber die Auftritte haben zuweilen etwas ganz engelhaftes, ätherisches, sie erinnern an Ursprung und Urheimat. Dabei geht es nicht nur „himmelhochjauchzend“auf der Bühne zu. So kommen die Tänzer zum Gedicht „Chor der Schatten“von Nelly Sachs tatsächlich schattenhaft und gebeugt daher: Als Schatten von Henkern und Opfern, als Trauerfalter und Höllentänzer, aber es bleibt die Hoffnung auf das Schöne und Gute, auf „eines Kindes jauchzend erhobenen Finger“. Auch ein schmerzvoller Text von Dag Hammarskjöld endet nicht ohne Lichtblick.
Düster-gewaltig folgt Schostakowitschs Prelude, dann das Gedicht „Napoleon im Kreml“über die dunkle Kraft des Willens zur Macht mit einem herum wirbelnden Dämonen auf der Bühne. Rudolf Steiner, der „Erfinder“der Eurythmie, wusste, dass die „Schatten“zu unserem Leben dazugehören, ebenso wie er vom Seelenlicht wusste.
Und so folgen licht- und lebensfreudige Werke wie ein „Ständchen“von Franz Schubert mit ausgelassenem Tanz. Oder das Gedicht von Eduard Mörike, zu dem die Nixe Binsefuß keck und verschmitzt über die Bühne huscht. Die Ballade „Die Heinzelmännchen zu Köln“und die Mär von „LongLeg Lue und Short-Leg Sue“als herzerfrischend-humorvolle Darbietungen. Und als Abschluss ein furios-expressiver Tanz zu Johannes Brahms; dann langer, heftiger Beifall. Und die Vorfreude an der Schule darauf, dass mit Chiara Moora eine der Tänzerinnen bald hier unterrichten wird.
Seelenvolle Darstellungen von Texten und Musik