Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Kundenhilfe im Internet ist legal
Verbraucher können weiterhin über Portale wie wenigermiete.de oder myright.de ihr Recht durchsetzen
Berlin. Wenn der Vermieter zu hohe Mietpreise verlangt und gegen die Mietpreisbremse verstößt, steckt der Mieter oft in einem Dilemma. Eigentlich fühlt er sich um seine zu viel gezahlte Miete betrogen. Aber soll er wirklich einen Anwalt nehmen? Verliert er den Fall, würde er auf den Kosten sitzen bleiben. Abhilfe schaffen Rechtsdienstleister wie wenigermiete.de. Die Firmen treten nicht als Anwaltskanzleien auf, sondern als Inkassofirmen, die Forderungen ihrer Klienten durchsetzen. „Das tun sie, um das Verbot von Erfolgshonoraren zu umgehen“, erläutert Martin Huff, Geschäftsführer der Kölner Rechtsanwaltskammer. Konkret heißt das: Klagt ein Mieter über wenigermiete.de und verliert, zahlt er nichts. Gewinnt er, behält das Portal die Ersparnisse der ersten vier Monatsmieten.
Rechtsanwälte geraten unter Reformdruck
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun in einem wegweisenden Urteil das Angebot solcher Rechtsdienstleister gestärkt. Entscheidender Streitpunkt war die Frage, ob die als Inkassounternehmen eingetragenen Anbieter auch in begrenztem Umfang Rechtsberatung leisten dürfen. Das ist eigentlich allein Sache von Anwälten. Wenn die Beratung sachkundig und in Zusammenhang mit der Durchsetzung einer Forderung erfolge, sei das Gesetz so auszulegen, „dass der Begriff der Inkassodienstleistung nicht in einem so engen Sinne verstanden werden darf“, heißt es im Urteil.
Die Entscheidung betrifft auch eine Reihe anderer Rechtsdienstleister wie das Portal MyRight, das VW-Kunden im Dieselskandal vertritt, oder Flightright, über das Fluggastrechte einklagbar sind. „Ich finde das Urteil gut“, sagt Hermann Tenhagen vom Verbraucherportal Finanztip. Die Verbraucher könnten so ihr Recht ohne eigenes Kostenrisiko durchsetzen. „In vielen Fällen würde niemand wegen 20 Euro einen Anwalt beschäftigen“, sagt Tenhagen. Auch die Verbraucherzentralen sehen das Urteil positiv, jedoch nur eingeschränkt. „Jetzt sollte die Politik Regeln für die Branche aufstellen, um einen fairen Wettbewerb zwischen den Anbietern
von Rechtsberatungen und einen Markt mit vertrauenswürdigen Anbietern zu sichern“, fordert Florian Stößel, Rechtsreferent beim Verbraucherzentrale Bundesverband.
Es gäbe für die Inkassobranche zum Beispiel keine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht und auch keine Verpflichtung zur Unabhängigkeit.
Daher könne es zu Interessenkonflikten zwischen Anbietern und Verbrauchern kommen.
Jurist Huff sieht auf die Rechtsanwälte schwere Zeiten zukommen, wenn sie sich nicht auf den Wettbewerb mit den Online-Unternehmen einstellen. „Die Anwaltschaft wird ganze Bereiche verlieren“, warnt der Jurist. Er fordert eine Öffnung der Branche für die erfolgsabhängige Vergütung. „Viele Verbraucher sind bereit, ein Erfolgshonorar zu bezahlen“, sagt Huff mit Blick auf die Rechtsdienstleister. Das sei nicht verwerflich.
„Jetzt sollte die Politik Regeln aufstellen, um einen fairen Wettbewerb zu sichern.“Florian Stößel, Rechtsreferent beim Verbraucherzentrale Bundesverband
Nachdem der BGH diese Praxis nun bestätigt hat, sieht Huff die Anwälte aufgerufen, sich über Reformen des bisherigen Regelwerks zu verständigen. Doch darüber seien die Freiberufler zerstritten, wie er bedauert. Gefahr für die Kanzleien droht seiner Beobachtung nach nicht nur durch MyRight und Co. Der Einsatz künstlicher Intelligenz könne zum Beispiel in den kommenden zehn Jahren dazu führen, dass Versicherungen Streit um Unfallschäden nur noch untereinander aushandeln statt wie bisher oft mithilfe von Anwälten vor Gericht.