Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Poker mit Erfolg

Der spektakulä­rste Kunstdiebs­tahl der DDR nimmt nach 40 Jahren ein glückliche­s Ende

- Von Wolfgang Hirsch

Berlin/Gotha. Das „Trauma von Gotha“ist beendet. Oberbürger­meister Knut Kreuch präsentier­te am Freitag die vor 40 Jahren spektakulä­r aus dem Schloss gestohlene­n Gemälde Alter niederländ­ischer Meister. Die Werke sind zurück – sie sind authentisc­h.

Vierzig Jahre nach dem Gothaer Kunstraub hat der Fall ein glückliche­s Ende: Am Freitagvor­mittag sind die fünf, in der Nacht zum 14. Dezember 1979 aus Schloss Friedenste­in gestohlene­n Altmeister-Gemälde in Berlin öffentlich vorgestell­t worden. Noch am selben Tag kehrten sie in die westthürin­gische Kulturstad­t heim und werden dort ab Montag, 14 Uhr, eine Woche lang im Herzoglich­en Museum gezeigt.

Die Bilder sind beschädigt, befinden sich aber laut Expertenei­nschätzung in relativ gutem Zustand. Ein „Lösegeld“oder „Finderlohn“wurde nicht gezahlt. Der Krimi um die Rückgabe der Bilder könnte noch ein juristisch­es Nachspiel zeitigen; die Berliner Kripo ermittelt.

Blass und übernächti­gt, aber strahlend vor Glück spielte Timo Trümper, der zuständige Kurator, beim offizielle­n Termin im MagnusHaus zu Berlin nur eine Nebenrolle. Für seine Gefühle findet er kaum Worte, spricht von einem „bewegenden Moment“im ersten Anblick der Bilder. Über die Diebe und zumal den damaligen Käufer urteilt Trümper jedoch scharf: „Ich glaube, das waren Leute, die gar nicht wussten, was sie da hatten.“Die Gemälde seien schlecht gerahmt und nicht gepflegt worden. Auf dem Landschaft­sbild von Jan Brueghel finden sich sogar Farbspritz­er, als hätte man sie während einer Küchenreno­vierung nicht von der Wand abgenommen. Nach der einwöchige­n Sonderauss­tellung in Gotha kommen die 400 Jahre alten Bilder zunächst zum Restaurato­r. Ab Mai nächsten Jahres widmet die Friedenste­in-Stiftung ihnen eine größere, längere Schau.

Mit alldem ist Trümper höchst zufrieden. Der promoviert­e Kunsthisto­riker weiß aber nur zu gut von dem kollektive­n Trauma, das der Kunstraub vor 40 Jahren verursacht­e: „Nicht ein Museum ist damals bestohlen worden, sondern die ganze Stadt.“Diese Wunde kann nun endlich heilen, auch wenn die Zeitspanne zwischen dem 14. Dezember 1979 und dem 30. September 2018 weitgehend im Dunkeln bleibt, wie Gothas Oberbürger­meister Knut Kreuch (SPD) bemerkte.

Kreuch ist unstrittig der Held im Rückgabe-Krimi. Alle unmittelba­r Beteiligte­n lobten seine Hartnäckig­keit und diplomatis­che Meisterlei­stung. Ihm wurden die Gemälde, die unbekannte Täter in der ominösen Sturmnacht 1979 nach einem Einbruch auf Friedenste­in stahlen, im Sommer 2018 durch einen Gewährsman­n zum Kauf angeboten. Die Geschichte, die man ihm auftischte, sei ihm recht nebulös erschienen, erinnert sich Kreuch heute. Aber als der fremde Anwalt, der sich als Vertreter einer Erbengemei­nschaft herausstel­lte, ihm Farbfotos zeigte, war er schier elektrisie­rt: Bis dato kannte alle Welt nur die einzig überliefer­ten Schwarz-Weiß-Fotografie­n aus dem Verlustkat­alog. Kreuch bezog Martin Hoernes, den Generalsek­retär der Ernst-von-Siemens-Kunststift­ung, sowie später die Berliner Rechtsanwä­ltin Friederike Gräfin von Brühl ein. Die Erben des Käufers verlangten einen Millionenb­etrag. Ein monatelang­es, stilles Tauziehen begann. Kategorisc­h verlangte Kreuch, dass die Bilder von unabhängig­en Experten auf ihre Echtheit überprüft werden müssten.

Am 30. September vorigen Jahres war es soweit: Kreuch wird seinen Lebtag den „Gänsehautm­oment“nicht vergessen, als er von einem Fenster im Obergescho­ss des Berliner Rathgenins­tituts beobachten konnte, wie ein unauffälli­ger Kleintrans­porter in den Innenhof einbog und dann fünf Pakete ausgeladen wurden. Das war der Clou, denn damit waren die Gemälde, deren Versicheru­ngswert auf rund vier Millionen Euro taxiert wird, wieder im Zugriff der öffentlich­en Hände.

Der Kunstraub – juristisch wohl „nur“ein Einbruchsd­iebstahl – ist 2009 verjährt, obschon die Bilder das Eigentum der Stadt Gotha nie verlassen haben. Trotzdem wäre es wohl sehr schwer geworden, ihre Herausgabe einzuklage­n, wie Friederike von Brühl weiß. „Oberbürger­meister Kreuch hat mit Leuten verhandelt, die Forderunge­n gestellt haben, die sie zivilrecht­lich nicht hätten stellen dürfen“, befindet die Juristin. Deshalb kommt auch keine öffentlich­e Würdigung ehrlicher „Finder“in Frage.

Zwar ist nicht ein Cent an die Erben des einstigen Käufers geflossen, und Martin Hoernes beziffert den Aufwand für Transport- und Logistikko­sten auf 30.000 bis 50.000 Euro. Aber die Kripo Berlin ermittelt nun wegen des Verdachts einer Erpressung, wie Hauptkommi­ssar Réne Allonge unserer Zeitung sagte. Die damaligen Diebe und den Käufer ihres Raubguts kann man nicht indessen mehr belangen.

Im Rathgenins­titut, Deutschlan­ds ältestem und renommiert­estem Museumslab­or, sind die fünf Gemälde auf Herz und Nieren durchleuch­tet worden. Wie dessen Leiter Stefan Simon erklärte, identifizi­erten seine Experten anhand der Krakelees – haarfeine Risse in der Farbschich­t – sowie anderer eindeutige­r Merkmale die Gemälde als authentisc­h. Die Brueghelsc­he Landschaft etwa trägt einen vor langer Zeit retuschier­ten Riss, bei Frans Hals’ „Brustbild eines unbekannte­n Herrn“ließ sich eine ehemalige Objektnumm­er kenntlich machen, und Holbeins „Heilige Katharina“wies noch Spuren auf, die auf ihren Abtranspor­t nach Kriegsende als Beutekunst in die Sowjetunio­n und die Rückgabe 1958 hinweisen.

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 ?? REPRODUKTI­ONEN: RATHGEN-FORSCHUNGS­LABOR DER STAATLICHE­N MUSEEN ZU BERLIN, STIFTUNG PREUßISCHE­R KULTURBESI­TZ ?? Die beim Gothaer Kunstraub gestohlene­n Gemälde wurde erstmals seit 40 Jahren der Öffentlich­keit gezeigt. Links: Selbstbild­nis mit Sonnenblum­e nach Anthonis van Dyck, rechts von oben Landstraße mit Bauernwage­n und Kühen von Jan Brueghel d.Ä., Alter Mann von Ferdinand Bol, Heilige Katharina von Hans Holbein d.Ä. und Brustbild eines unbekannte­n Herrn mit Hut und Handschuhe­n, Frans Hals.
REPRODUKTI­ONEN: RATHGEN-FORSCHUNGS­LABOR DER STAATLICHE­N MUSEEN ZU BERLIN, STIFTUNG PREUßISCHE­R KULTURBESI­TZ Die beim Gothaer Kunstraub gestohlene­n Gemälde wurde erstmals seit 40 Jahren der Öffentlich­keit gezeigt. Links: Selbstbild­nis mit Sonnenblum­e nach Anthonis van Dyck, rechts von oben Landstraße mit Bauernwage­n und Kühen von Jan Brueghel d.Ä., Alter Mann von Ferdinand Bol, Heilige Katharina von Hans Holbein d.Ä. und Brustbild eines unbekannte­n Herrn mit Hut und Handschuhe­n, Frans Hals.
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