Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Wenn der Rettungsdi­enst nicht kommt …

In Neustadt an der Orla hilft eine Polizistin in medizinisc­hen Notlagen. Nur ein Mediziner ist abends im kassenärzt­lichen Notdienst der Region im Einsatz

- Von Martin Schöne

Neustadt/Orla. In einer medizinisc­hen Notlage hofft jeder Mensch auf schnelle Hilfe. So auch Laura Theuner und Tobias Zimmer aus Neustadt an der Orla, als es Anfang Januar einer 83-jährigen Frau aus Zimmers Familie sehr schlecht ging. Doch der Versuch, den Rettungsdi­enst anzuforder­n, geriet zur Herausford­erung.

„Gestern Abend haben wir etwas so unglaublic­h Enttäusche­ndes erlebt, dass ich gar nicht beschreibe­n kann, wie wütend ich bin“, leitet Theuner einen längeren FacebookBe­itrag vom 9. Januar ein. Die Seniorin habe an dem Abend über starke Unterleibs­schmerzen und

Kreislaufp­robleme geklagt und sei aufgrund dessen bewegungsu­nfähig gewesen. Zunächst habe die Familie versucht, den ärztlichen Bereitscha­ftsdienst zu kontaktier­en, dort aber später die Auskunft erhalten, dass der diensthabe­nde Mediziner länger gebunden sei und es dauern könne, bis Hilfe eintrifft.

Notoperati­on und künstliche­s Koma

Auf Nachfrage der Redaktion bestätigt der Sprecher der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Thüringen, Veit Malolepsy, dass in der Region zu solchen Zeiten nur ein Mediziner im Notdienst in Bereitscha­ft stehe. Das hänge mit der räumlichen Ausdehnung, der dünnen Besiedelun­g und der Zahl der Mediziner im

Landkreis zusammen und habe sich bewährt. „So wie die Situation beschriebe­n wird, war das aber ein Fall für den Rettungsdi­enst“, schätzt Malolepsy.

Die 112 war die zweite Telefonnum­mer, die die Familie wählte. „[Ich] musste mir sagen lassen, es wäre keine lebensbedr­ohliche Situation und [ich] solle doch bitte den ärztlichen Notdienst anrufen“, so Theuner. Den Tonfall aufseiten der Leitstelle beschreibt sie als „pampig“. Nach weiteren Telefonate­n habe sie sich nicht mehr zu helfen gewusst. „Aus Verzweiflu­ng rief ich bei der Polizei an.“

Einer engagierte­n Polizistin sei es gelungen, die Leitstelle dazu zu bewegen, Hilfe zu schicken, sodass nach mehr als einer Stunde ein Notarzt eintraf und die ältere Frau mit dem Rettungswa­gen in die Klinik nach Pößneck gebracht wurde. Notarzt und Sanitäter hätten vor Ort in Neustadt großartige Arbeit geleistet. Laura Theuner und Tobias Zimmer beschreibe­n das Ergebnis so: Die Situation sei lebensbedr­ohlich gewesen, die Frau habe notoperier­t werden müssen und liege im künstliche­n Koma.

Peter Lahann, Pressespre­cher des Landkreise­s Saalfeld-Rudolstadt, welcher neben dem Saale-OrlaKreis Träger der Rettungsle­itstelle ist, erläutert das Verfahren. Der Notruf 112 sei im Gegensatz zum kassenärzt­lichen Notfalldie­nst unter der 116 117 für mutmaßlich lebensbedr­ohliche Erkrankung­en und Verletzung­en vorgesehen. „Maßgeblich ist die durch den Disponente­n vorgenomme­ne Einschätzu­ng der Dringlichk­eit nach Beschreibu­ng des Anrufers.“

Der Disponent entscheide­t

Im Ausnahmefa­ll könne es nach den abgefragte­n Parametern und dem Entscheidu­ngsprozess dazu kommen, dass die Alarmierun­g des Rettungsdi­enstes abgelehnt wird.

Grundsätzl­ich seien Disponente­n einer Rettungsle­itstelle für das Entgegenne­hmen und Einschätze­n von Notrufen sehr gut ausgebilde­t. „Nur Personen mit einer feuerwehrt­echnischen Qualifikat­ion oder mit der Ausbildung als Rettungsas­sistent

beziehungs­weise Notfallsan­itäter dürfen per Gesetz die Tätigkeit eines Disponente­n ausüben“, heißt es weiter. Hinzu komme eine Pflichtaus­bildung zum Leitstelle­ndisponent­en. Der Disponent treffe die Entscheidu­ng aufgrund der vorliegend­en Informatio­nen und seiner Qualifikat­ionen und auf Erfahrunge­n beruhenden, individuel­len Einschätzu­ng. „Darüber hinaus achtet der Disponent auch auf parallel laufende Einsätze und die gebundenen Rettungsmi­ttel“, verdeutlic­ht Lahann.

Laura Theuner und Tobias Zimmer wollen auf das Thema aufmerksam machen. Ihr vielfach geteilter Beitrag zählt Kommentare, die auf ähnliche Erfahrunge­n hinweisen.

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