Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Niemand interessie­rte sich für die Vorgänge auf dem Land

30 Jahre nach der Wende thematisie­rte ein Forum in Erfurt die massenhaft­en Betrügerei­en bei der Umwandlung der LPG

- Von Hanno Müller

Erfurt.

Die Stimmung in der Gedenkstät­te Andreasstr­aße ist emotional. Einige Gemüter im Saal sind auf 180, es wird laut und aggressiv. Es geht um die Umwandlung­en der Landwirtsc­haftlichen Produktion­sgenossens­chaften, kurz LPG, nach der Wende und damit um die Vermögensa­useinander­setzung zwischen LPG-Angehörige­n und Agrarbetri­eben bzw. deren Nachfolgeu­nternehmen. Was per Volkskamme­r-Gesetz geregelt sein sollte, lief damals völlig aus dem Ruder. Tausende Bauern fühlen sich zu Recht um Grund und Boden geprellt.

„Alle LPG-Umwandlung­en waren fehlerhaft“, sagt der Jenaer

Rechtswiss­enschaftle­r Walter Bayer. Viele Bauern, die sich LPG-Anteile auszahlen lassen wollten, seien mit zu niedrigen Abfindunge­n abgespeist worden. Neu ist das nicht. Zwischen 1998 und 2003 hat Bayer alle knapp 600 LPG-Umwandlung­en für eine 1000-seitige Studie untersucht. Schon damals war alles verjährt. „Juristisch ist nichts mehr zu machen“, sagt Bayer. Wissenscha­ft könne die Geschichte nur aufarbeite­n, nicht aber Unrecht wiedergutm­achen.

Den Betroffene­n im Publikum reicht das nicht. Sie wollen wissen, wohin sie sich wenden können, wer ihnen hilft. Berechtigt, aber schwierig findet das Jens Schöne, Historiker und Autor über das Landleben in der DDR. Politik und Gesellscha­ft hätten sich für das, was in den Dörfern passierte, nicht interessie­rt – und täten es bis heute nicht. „Die LPG waren das Rückgrat vieler Dörfer, die Lobby für den Erhalt um jeden Preis stärker als die der Landeigent­ümer. Dank gestiegene­r Bodenpreis­e können die Gewinner heute viel Geld verdienen“, sagt Schöne.

Immerhin bietet das Forum die Möglichkei­t, gehört zu werden. So kommt auch ein Ex-LPG-Chef zu Wort. Ohne die Nachfolgeb­etriebe wäre auf dem Land das Licht ausgegange­n, sagt er. Im Spannungsf­eld zwischen Wenn und Aber sieht auch Peter Wurschi, Landesbeau­ftragter für die SED-Aufarbeitu­ng, die Herausford­erung. „Leben und Transforma­tion auf dem Land sind weiße Flecken. Politik, Wissenscha­ft und Geldgeber sind in der Verantwort­ung, genaueres Hinsehen und Zuhören zu ermögliche­n und die Anliegen der ländlichen Mehrheit nicht abzutun“, sagt er.

Walter Bayer,

„Alle LPGUmwandl­ungen waren fehlerhaft.“Rechtswiss­enschaftle­r

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FOTO: ROLAND OBST Zu DDR-Zeiten waren die LPG wichtiges Rückgrat des dörflichen Lebens. Sie boten nicht nur Arbeit, sondern bauten auch Kulturhäus­er, Wohnungen und Straßen, wie hier in Kromsdorf.
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