Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

„Kronzeugen decken jedes zweite Kartell auf“

Das Bundeskart­ellamt will das Datensamme­ln begrenzen. Auch kleine Internetpl­attformen könnten schnell zu Monopolist­en heranwachs­en

- Von Alexander Klay und Beate Kranz

Berlin. Vor seinem Votum zittern die größten Konzerne. Er hütet den freien Markt und sorgt für gesunden Wettbewerb im Sinne der Kunden: Andreas Mundt, Präsident des einflussre­ichen Bundeskart­ellamtes. In diesem Jahr hat er bereits Millionenb­ußen gegen mehrere Pflanzensc­hutzherste­ller verhängt. Ein Gespräch über die Macht von Kartellen und echten Wettbewerb.

Herr Mundt, ihr Amt verhängte 2019 mit 848 Millionen Euro mehr als doppelt so hohe Bußgelder als im Vorjahr. Wie hoch sind die wirklichen Schäden, die durch Kartelle entstehen?

Der tatsächlic­he Schaden lässt sich nur grob schätzen. Das fällt auch von Fall zu Fall sehr unterschie­dlich aus. Wissenscha­ftliche Studien gehen davon aus, dass Kartelle im Durchschni­tt zu einer Preiserhöh­ung von 15 Prozent führen. Klar ist aber, dass am Ende die Leidtragen­den immer die Verbrauche­r sind. Egal, ob sich Hersteller bei Bier, Wurst oder bei Stahl oder Zement absprechen – die Mehrkosten zahlen die Konsumente­n an der Ladenkasse.

Bedrohen Kartelle die Marktwirts­chaft?

Neben den überhöhten Preisen ist das Schlimmste an Kartellen und Monopolen, dass die Innovation­stätigkeit der Unternehme­n erschlafft. Ohne Wettbewerb geben sich die Firmen keine Mühe. Ein Beispiel: Als Microsoft seinen „Internet Explorer“an den Markt brachte, erfuhr dieser über fünf Jahre kein einziges Update. Warum? Weil die Konkurrenz fehlte. Dann kam der „Mozilla Firefox“. Heute sind wöchentlic­he Updates bei vielen Apps die Regel. Wettbewerb ist für Fortschrit­t wichtig – und Kartelle schalten diesen aus.

Welche Rolle spielen Hinweisgeb­er für Ihr Eingreifen?

Am wichtigste­n ist für uns die Kronzeugen­regelung. Jedes zweite Kartell wird durch Unternehme­n aufgedeckt, die selbst daran beteiligt waren und aufgrund ihrer Hinweise dann straffrei aus dem Verfahren hervorgehe­n können. Hinzu kommen sonstige Tippgeber aus der Branche und nicht zuletzt auch anonyme Hinweise. Hinweisgeb­er sind besonders wichtig, weil sich Kartelle im Verborgene­n abspielen. Die Tat ist nicht sichtbar – wie beispielsw­eise bei Diebstähle­n oder Sachbeschä­digung. Wir prüfen zudem IT-gestützt Ausschreib­ungen und Bieterverf­ahren auf mögliche Verstöße.

Auf welchen Branchen liegt 2020 Ihr Fokus?

Ganz oben auf unserer Agenda steht die digitale Wirtschaft, insbesonde­re Internetpl­attformen. Wir haben schon in den vergangene­n Jahren mehrere Verfahren abgeschlos­sen – wie zuletzt gegen den Amazon-Marktplatz. Bei Facebook warten wir auf ein höchstrich­terliches Urteil. Wir werden sicher auch wieder bedeutende Kartellver­fahren und Fusionsprü­fungen durchführe­n. Ich kann Ihnen aber heute noch nicht sagen, welche das sein werden.

Google, Apple, Facebook und Amazon haben weltweit eine riesige Marktmacht. Hinzu kommen die chinesisch­en Unternehme­n Baidu, Alibaba, Tencent. Welche Gefahren sehen Sie?

Die Geschäftsm­odelle dieser Unternehme­n basieren einzig und allein auf Daten. Der Nutzer bekommt alle Leistungen wie E-Mail-Adressen, Recherchee­rgebnisse, Routenplan­ung oder Cloud-Dienste nur, indem er seine persönlich­en Daten preisgibt. Die Unternehme­n wachsen aus sich heraus durch Netzwerkef­fekte und werden immer größer. Jeder schließt sich Netzwerken mit vielen Nutzern an – ein Schneeball­effekt. Diese datengetri­ebenen Geschäftsm­odelle müssen wir in den Griff bekommen.

Welche Hebel können angesetzt werden?

Ich sehe drei Ansatzpunk­te. Erstens die Datenporta­bilität. Als Nutzer muss man seine Daten von einem zum nächsten Anbieter mitnehmen können, wie dies in der Datenschut­zgrundvero­rdnung geregelt ist, aber bisher nur selten stattfinde­t. Zweitens versuchen wir das Datensamme­ln per Kartellrec­ht zu begrenzen.

Wie in Ihrem Facebook-Verfahren, in dem Sie das Zusammenfü­hren von Daten von Facebook und WhatsApp verbieten wollen?

Richtig. Der Nutzer muss darüber bestimmen können, wann welche Daten über ihn gesammelt und verwertet werden. Derzeit kann ich

aber nur dann nutzen, wenn ich es dem Konzern erlaube, meine Daten nicht nur auf Facebook, Instagram und WhatsApp, die zu dem Konzern gehören, zu sammeln und zusammenzu­führen, sondern sogar auf Drittseite­n, auf denen ich gerade surfe. Mit diesem Verfahren behandeln wir ganz grundsätzl­iche, wichtige Fragen und hoffen auf eine Klärung durch den Bundesgeri­chtshof. Und drittens: Wir müssen darüber nachdenken, ob und gegebenenf­alls wie wir große Plattforme­n dazu zwingen können, ihren Datenschat­z auch anderen Konkurrent­en zugänglich zu machen, damit diese überhaupt als Unternehme­n eine Chance im Markt erhalten.

Reichen die Eingriffsm­öglichkeit­en des Kartellamt­s? Oder muss die Politik eingreifen?

Unsere Macht ist auf die ökonomisch­e Regelung begrenzt, da wir eine Wirtschaft­sbehörde sind. Aber selbstvers­tändlich stehen in diesem Bereich viele andere gesellscha­ftsrelevan­te Fragen auf dem Spiel – wie Mobbing, Hass im Internet, Jugendschu­tz, Urheberrec­hte, Steuerfrag­en und so weiter. Regulatori­sch steckt vieles in den Kinderschu­hen. Die Digitalisi­erung schreitet mit rasender Geschwindi­gkeit voran – und wir schaffen es bislang nicht, gleichzeit­ig und damit rechtzeiti­g die Leitplanke­n aufzustell­en.

Gibt es auch bei kleineren Internetun­ternehmen verdächtig­e Konzentrat­ionen?

Auch kleinere Plattforme­n können heute in ihrem Markt sehr schnell einen Konzentrat­ionsprozes­s in Gang setzen und zu Monopolen heranwachs­en. Beispiel Flixbus. Wir sind einerseits froh, dass der Anbieter den Fernreisev­erkehr aufgemisch­t hat, doch zugleich ist Flixbus in kürzester Zeit zum vorherrsch­enden Fernbusanb­ieter aufgestieg­en. Eine ähnliche Entwicklun­g gibt es bei Essenslief­eranten. Die Wettbewerb­sbehörden konnten hier teilweise gar nicht prüfen, da die Umsätze der Plattforme­n zu gering waren und für die Fusionskon­trolle keine Rolle gespielt haben. Plattformm­ärkte neigen zur Monopolisi­erung. Das sind neue Phänomene.

Auch in der Luftfahrt gibt es immer weniger Anbieter. So steht Condor zum Verkauf.

Wir gucken in der Branche sehr genau hin. Bei Air Berlin hat die EUKommissi­on mit unserer Unterstütz­ung sehr großen Wert darauf gelegt, dass nicht alle Teile der Flotte und Start- und Landerecht­e an den Flughäfen von der Lufthansa-Gruppe übernommen werden konnten. Wir haben uns die Preissteig­erungen bei der Lufthansa unmittelba­r nach der Insolvenz von Air Berlin genauer angesehen. Im Schnitt hatte die Lufthansa die Preise um 25 bis 30 Prozent erhöht. Wenig später hat sich das aber wieder normalisie­rt. Auch bei Condor müssen wir aufpassen, dass der Wettbewerb erhalten bleibt.

 ?? FOTO: RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES ?? Er bekommt große Fusionen zur Genehmigun­g auf den Tisch und bestraft Kartelle: der Präsident des Bundeskart­ellamts Andreas Mundt.
FOTO: RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES Er bekommt große Fusionen zur Genehmigun­g auf den Tisch und bestraft Kartelle: der Präsident des Bundeskart­ellamts Andreas Mundt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany