Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
„Kronzeugen decken jedes zweite Kartell auf“
Das Bundeskartellamt will das Datensammeln begrenzen. Auch kleine Internetplattformen könnten schnell zu Monopolisten heranwachsen
Berlin. Vor seinem Votum zittern die größten Konzerne. Er hütet den freien Markt und sorgt für gesunden Wettbewerb im Sinne der Kunden: Andreas Mundt, Präsident des einflussreichen Bundeskartellamtes. In diesem Jahr hat er bereits Millionenbußen gegen mehrere Pflanzenschutzhersteller verhängt. Ein Gespräch über die Macht von Kartellen und echten Wettbewerb.
Herr Mundt, ihr Amt verhängte 2019 mit 848 Millionen Euro mehr als doppelt so hohe Bußgelder als im Vorjahr. Wie hoch sind die wirklichen Schäden, die durch Kartelle entstehen?
Der tatsächliche Schaden lässt sich nur grob schätzen. Das fällt auch von Fall zu Fall sehr unterschiedlich aus. Wissenschaftliche Studien gehen davon aus, dass Kartelle im Durchschnitt zu einer Preiserhöhung von 15 Prozent führen. Klar ist aber, dass am Ende die Leidtragenden immer die Verbraucher sind. Egal, ob sich Hersteller bei Bier, Wurst oder bei Stahl oder Zement absprechen – die Mehrkosten zahlen die Konsumenten an der Ladenkasse.
Bedrohen Kartelle die Marktwirtschaft?
Neben den überhöhten Preisen ist das Schlimmste an Kartellen und Monopolen, dass die Innovationstätigkeit der Unternehmen erschlafft. Ohne Wettbewerb geben sich die Firmen keine Mühe. Ein Beispiel: Als Microsoft seinen „Internet Explorer“an den Markt brachte, erfuhr dieser über fünf Jahre kein einziges Update. Warum? Weil die Konkurrenz fehlte. Dann kam der „Mozilla Firefox“. Heute sind wöchentliche Updates bei vielen Apps die Regel. Wettbewerb ist für Fortschritt wichtig – und Kartelle schalten diesen aus.
Welche Rolle spielen Hinweisgeber für Ihr Eingreifen?
Am wichtigsten ist für uns die Kronzeugenregelung. Jedes zweite Kartell wird durch Unternehmen aufgedeckt, die selbst daran beteiligt waren und aufgrund ihrer Hinweise dann straffrei aus dem Verfahren hervorgehen können. Hinzu kommen sonstige Tippgeber aus der Branche und nicht zuletzt auch anonyme Hinweise. Hinweisgeber sind besonders wichtig, weil sich Kartelle im Verborgenen abspielen. Die Tat ist nicht sichtbar – wie beispielsweise bei Diebstählen oder Sachbeschädigung. Wir prüfen zudem IT-gestützt Ausschreibungen und Bieterverfahren auf mögliche Verstöße.
Auf welchen Branchen liegt 2020 Ihr Fokus?
Ganz oben auf unserer Agenda steht die digitale Wirtschaft, insbesondere Internetplattformen. Wir haben schon in den vergangenen Jahren mehrere Verfahren abgeschlossen – wie zuletzt gegen den Amazon-Marktplatz. Bei Facebook warten wir auf ein höchstrichterliches Urteil. Wir werden sicher auch wieder bedeutende Kartellverfahren und Fusionsprüfungen durchführen. Ich kann Ihnen aber heute noch nicht sagen, welche das sein werden.
Google, Apple, Facebook und Amazon haben weltweit eine riesige Marktmacht. Hinzu kommen die chinesischen Unternehmen Baidu, Alibaba, Tencent. Welche Gefahren sehen Sie?
Die Geschäftsmodelle dieser Unternehmen basieren einzig und allein auf Daten. Der Nutzer bekommt alle Leistungen wie E-Mail-Adressen, Rechercheergebnisse, Routenplanung oder Cloud-Dienste nur, indem er seine persönlichen Daten preisgibt. Die Unternehmen wachsen aus sich heraus durch Netzwerkeffekte und werden immer größer. Jeder schließt sich Netzwerken mit vielen Nutzern an – ein Schneeballeffekt. Diese datengetriebenen Geschäftsmodelle müssen wir in den Griff bekommen.
Welche Hebel können angesetzt werden?
Ich sehe drei Ansatzpunkte. Erstens die Datenportabilität. Als Nutzer muss man seine Daten von einem zum nächsten Anbieter mitnehmen können, wie dies in der Datenschutzgrundverordnung geregelt ist, aber bisher nur selten stattfindet. Zweitens versuchen wir das Datensammeln per Kartellrecht zu begrenzen.
Wie in Ihrem Facebook-Verfahren, in dem Sie das Zusammenführen von Daten von Facebook und WhatsApp verbieten wollen?
Richtig. Der Nutzer muss darüber bestimmen können, wann welche Daten über ihn gesammelt und verwertet werden. Derzeit kann ich
aber nur dann nutzen, wenn ich es dem Konzern erlaube, meine Daten nicht nur auf Facebook, Instagram und WhatsApp, die zu dem Konzern gehören, zu sammeln und zusammenzuführen, sondern sogar auf Drittseiten, auf denen ich gerade surfe. Mit diesem Verfahren behandeln wir ganz grundsätzliche, wichtige Fragen und hoffen auf eine Klärung durch den Bundesgerichtshof. Und drittens: Wir müssen darüber nachdenken, ob und gegebenenfalls wie wir große Plattformen dazu zwingen können, ihren Datenschatz auch anderen Konkurrenten zugänglich zu machen, damit diese überhaupt als Unternehmen eine Chance im Markt erhalten.
Reichen die Eingriffsmöglichkeiten des Kartellamts? Oder muss die Politik eingreifen?
Unsere Macht ist auf die ökonomische Regelung begrenzt, da wir eine Wirtschaftsbehörde sind. Aber selbstverständlich stehen in diesem Bereich viele andere gesellschaftsrelevante Fragen auf dem Spiel – wie Mobbing, Hass im Internet, Jugendschutz, Urheberrechte, Steuerfragen und so weiter. Regulatorisch steckt vieles in den Kinderschuhen. Die Digitalisierung schreitet mit rasender Geschwindigkeit voran – und wir schaffen es bislang nicht, gleichzeitig und damit rechtzeitig die Leitplanken aufzustellen.
Gibt es auch bei kleineren Internetunternehmen verdächtige Konzentrationen?
Auch kleinere Plattformen können heute in ihrem Markt sehr schnell einen Konzentrationsprozess in Gang setzen und zu Monopolen heranwachsen. Beispiel Flixbus. Wir sind einerseits froh, dass der Anbieter den Fernreiseverkehr aufgemischt hat, doch zugleich ist Flixbus in kürzester Zeit zum vorherrschenden Fernbusanbieter aufgestiegen. Eine ähnliche Entwicklung gibt es bei Essenslieferanten. Die Wettbewerbsbehörden konnten hier teilweise gar nicht prüfen, da die Umsätze der Plattformen zu gering waren und für die Fusionskontrolle keine Rolle gespielt haben. Plattformmärkte neigen zur Monopolisierung. Das sind neue Phänomene.
Auch in der Luftfahrt gibt es immer weniger Anbieter. So steht Condor zum Verkauf.
Wir gucken in der Branche sehr genau hin. Bei Air Berlin hat die EUKommission mit unserer Unterstützung sehr großen Wert darauf gelegt, dass nicht alle Teile der Flotte und Start- und Landerechte an den Flughäfen von der Lufthansa-Gruppe übernommen werden konnten. Wir haben uns die Preissteigerungen bei der Lufthansa unmittelbar nach der Insolvenz von Air Berlin genauer angesehen. Im Schnitt hatte die Lufthansa die Preise um 25 bis 30 Prozent erhöht. Wenig später hat sich das aber wieder normalisiert. Auch bei Condor müssen wir aufpassen, dass der Wettbewerb erhalten bleibt.