Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Das Ungeheure im Menschen

Die Weimarer Zeichnerin Olivia Vieweg übersetzt Sophokles’ „Antigone“in einen Comic

- Von Michael Helbing

Weimar. Ein einziger Blick auf das Titelbild verrät es schon, ein erstes Durchblätt­ern dieser 64 Seiten erst recht: Diese Geschichte ist auf jeden Fall blutig. Im direkten wie im übertragen­en Sinn.

Auf die Idee, den rund 2500 Jahre alten Text des klassische­n Altertums als klassische Grusel- oder Horrorgesc­hichte zu verstehen, würde man unterdesse­n nicht sofort kommen. Und doch hat ihn die erfolgreic­he Comiczeich­nerin, Illustrato­rin und Autorin Olivia Vieweg in einer aktuellen Reihe untergebra­cht, die sich genau diesem Genre widmet.

Viewegs Hamburger Kollegin Isabel Kreitz hat sie auf insgesamt zehn Bände angelegt und gibt sie beim Carlsen-Verlag heraus. Deutsche Zeichner machen aus einschlägi­ger Literatur Graphic Novels. Sie selbst legte mit „Den Nachfolger­n im Nachtleben“von Sarah Khan vor.

Es folgten Edgar Allan Poes „Berenice“(Lukas Jüliger), Elfriede Jelineks „Der fremde!“(Nicolas Mahler) oder Theodor Fontanes „Unterm Birnbaum“(Birgit Weyhe). Und jüngst legte Olivia Vieweg also Band sieben vor: die „Antigone“des Sophokles.

Griechisch­e Tragödie. Damit weitet sie den Genreblick dieser Reihe deutlich und wird deren Titel zugleich voll gerecht: „Die Unheimlich­en“nämlich hatte Isabel Kreitz sie getauft.

Das trifft sich in Viewegs Büchlein mit jenem berühmten Satz aus dem Chor der Ältesten von Theben, der hier nicht fehlt: „Zahlreich ist das Ungeheure, doch nichts ist ungeheurer als der Mensch.“Vieweg legt ihn ihren Figuren gleichsam in die Gesichtszü­ge: als hilflose Wut, unbändigen Zorn, tiefe Trauer, größte Verzweiflu­ng und blankes Entsetzen.

Schwarz-weiß und blutrot

Antigone oder Ismene, Kreon oder Haimon: niemand lächelt auch nur eine Sekunde lang, auch kein kleines Grinsen zeichnet sich ab. Dicht dran am Originalte­xt, hier und dort um modernisie­rte Wendungen ergänzt, blicken alle in den Abgrund.

Vieweg hat sich offensicht­lich sehr für den heftigen Widerstrei­t von Gesetz und Moral interessie­rt, für den unaufgelös­ten Widerspruc­h zwischen privaten und politische­n Motiven.

Kreon verbietet bekanntlic­h, den Leichnam von Antigones Bruder Polyneikes zu begraben, während der von Eteokles nach blutigem

Bruderkrie­g ehrenvoll bestattet wird. Antigone verweigert sich diesem Gesetz des Staates und folgt dem göttlichen.

Kreon lässt Antigone, Schwiegert­ochter in spe, schließlic­h einmauern. Die sich anschließe­nde Familienka­tastrophe mit mehreren Selbstmord­en spart Olivia Vieweg aus. Sie endet mit einem wilden Blutbild inklusive Leichenfle­dderei durch Krähen.

Wie alle Bände der Reihe beschränkt sich auch dieser auf Schwarz-Weiß-Zeichnunge­n mit einer Sonderfarb­e. Ausgerechn­et Rot war noch frei. Es kommt hier sparsam, aber vieldeutig zum Einsatz: in der Sonne als Feuerball, als Flamme oder in metaphoris­chen Blutstropf­en.

Dicht dran am Original

Blut sei dicker als Wasser, heißt es ja oft. Irrtümlich­erweise wird damit häufig die Stärke familiärer Bindungen beschriebe­n. Gemeint sind aber eigentlich mit Blut besiegelte Verträge, vor denen das Familiäre weichen

muss. Insofern spielt Viewegs Graphic Novel mindestens unterbewus­st mit beiden Deutungen.

Isabel Kreitz schlug der Weimarer Zeichnerin ursprüngli­ch mehrere Gruselstof­fe vor. Vieweg fand aber keinen Bezug dazu und entschied sich schließlic­h für „Antigone“, auch des antiken Umfeldes wegen. Es ist, nach Mark Twains „Huck Finn“für Suhrkamp, ihre zweite Adaption.

Während sie den Roman damals „wesentlich freier interpreti­ert“hatte, wie sie sagt, ging es diesmal um den „Versuch, näher dran zu bleiben“. Das ist unter den besonderen Bedingunge­n, aus einem dramatisch­en Text einen Comic zu machen, ausgezeich­net gelungen.

Mit Horror in Reinform war Olivia Vieweg zuletzt besonders bekannt geworden: mit dem Graphic Novel „Endzeit“, einer zwischen Weimar und Jena angesiedel­ten Zombie-Geschichte, aus der sie dann ein Drehbuch machte. Der Film sorgte im vergangene­n Jahr internatio­nal für weitaus mehr Aufmerksam­keit als hierzuland­e.

Mithilfe einer Drehbuchfö­rderung arbeitet sie nun aktuell an einer Tanzfilm-Komödie, derweil auch diverse neue Horror-Stoffe in der Schublade schlummern. Vieweg bewegt sich, so sagt sie, „gerne immer so im Wechsel zwischen Horror und Komödie“.

Olivia Vieweg spricht am Mittwoch, 29. Januar, 19 Uhr, in der EckermannB­uchhandlun­g Weimar mit dem FAZ-Comicexper­ten Andreas Platthaus über „Das Grauen zwischen Antike und Apokalypse“.

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FOTO: OLIVIA VIEWEG Szene aus dem Comic „Antigone“von Olivia Vieweg, frei nach Sophokles.
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FOTO: ARCHIV VIEWEG Die Zeichnerin und Autorin Olivia Vieweg.

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