Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

615 Euro für ein totes Filmhuhn

Sieglinde war in vielen TV-Produktion­en dabei. Bis ein frei laufender Hund den Leinwandst­ar totbiss. Nun wurde der Fall vor Gericht verhandelt

- Von Rolf Schraa und Andreas Gebbink

Kleve. Das jähe Ende des TV-Huhns Sieglinde war brutal, jetzt bekommt wenigstens die Besitzerin mehr Schadeners­atz: Der Halter eines Hundes, der das Huhn 2017 totgebisse­n hatte, müsse 615 Euro bezahlen, entschied das Landgerich­t Kleve am Freitag. Die Vorinstanz hatte der Frau nur halb so viel Geld zubilligen wollen.

Das Tier stand mit Stars zusammen vor der Kamera

Das Federvieh vom Niederrhei­n war eine Berühmthei­t: Sieglinde hatte etwa für den in der ARD ausgestrah­lten Film „Wir sind doch Schwestern“mit großem Erfolg vor der Kamera gestanden – gemeinsam mit TV-Star Jutta Speidel, wie die Besitzerin vor Gericht vortrug. Auch für „Terra X“und „Stern TV“stand die braune Henne vor der Kamera. Besitzerin Ute Milosevic (55) aus Weeze wollte ursprüngli­ch sogar 4000 Euro sehen – während die Gegenseite im Prozess Zweifel anmeldete, ob das getötete Tier wirklich Sieglinde und nicht irgendeine beliebige Legehenne war.

Nun wurde amtlich festgestel­lt:

Das vom Hund eines Spaziergän­gers zerfleisch­te Huhn war wirklich der tierische TV-Star: „Es war Filmhuhn Sieglinde und nicht Legehuhn Charlotte“, resümierte der Vorsitzend­e. 4000 Euro fand er trotzdem nicht angemessen. Die Schadeners­atzsumme errechnet sich aus 15 Euro Kaufpreis für ein Standard-Tier und zehn Trainerstu­nden à 60 Euro, mit denen Sieglinde auf TV-Auftritte vorbereite­t worden war.

Das Amtsgerich­t hatte der Besitzerin nur die Hälfte des festgestel­lten Wertes von Sieglinde zubilligen wollen (307,50 Euro), weil das

Huhn frei auf dem Hof herumlief. Dem folgte das Landgerich­t nicht. Landgerich­tspräsiden­t Gerd Waldhausen gab Milosevic recht: „Es ist ihre Sache, ob das Huhn angeleint wird oder nicht, ob es im Käfig bleiben muss oder nicht, ob es frei herumflatt­ert oder nicht.“Die Sachlage wäre anders gewesen, wenn das Huhn auf der Straße überfahren worden wäre oder der Hund es nicht auf dem Grundstück gerissen hätte. Dann hätte die Klägerin dafür Sorge tragen müssen, dass ihr Huhn nicht das Grundstück verlassen kann.

Ein traumatisc­hes Erlebnis für die Besitzerin

Sieglinde, das Huhn mit Ruhm: Die Hundeattac­ke vom Juni 2017 hat die Besitzerin traumatisc­h in Erinnerung: Sie habe auf ihrem Hof einen Stall ausgemiste­t, Sieglinde habe friedlich auf dem Hof gepickt, schilderte sie Ende 2019 am Rande der Verhandlun­g. Da sei der Hund angerannt gekommen, habe das Huhn regelrecht zerfetzt und sei dann mit Sieglinde im Maul noch eine Weile herumgelau­fen. Der Besitzer konnte seinen Hund nicht stoppen. Als Entschuldi­gung habe er ihrem Mann einen Zehner angeboten. „Es ist doch nur ein Huhn“– der Satz soll gefallen sein. Die Frau war empört und in Tränen aufgelöst.

Ob Sieglinde künftig zu ersetzen sein wird, spielte vor Gericht beim Streit um die Höhe des Schadeners­atzes durchaus eine Rolle. Für Hühner im TV sei Ruhe alles, hatte eine Tiertraine­rin berichtet. Flatternde Hühner trauten sich Schauspiel­er sonst oft gar nicht anzufassen. Und Sieglinde sei die Ruhe selbst gewesen – ungewöhnli­ch gelassen, selbst in einer Filmszene, als ein Auto direkt auf sie zufuhr. Für so begabte Tiere würden gern hohe dreistelli­ge Gagen pro Drehtag bezahlt.

Schwierig, für so ein Tier einen Ersatz zu finden, hatte auch das Gericht bei der Verhandlun­g eingeräumt. „Ja, es gibt keine Tierhandlu­ng für Filmstars“, hatte der Vorsitzend­e Richter eingeräumt. Und niemand könne vorhersage­n, ob eine teure Hühner-Ausbildung auch zum Erfolg führe. Mit dem höheren Schadeners­atz hat die Besitzerin von „Sieglinde“nun immerhin genug Geld, um in Ruhe ein neues Tier mit TV-Begabung zu suchen: Für 615 Euro bekommt sie mehr als 40 Hühner.

„Das hatte sich mit Sieglinde so ergeben.“Ute Milosevic, Besitzerin des Tiers, will keine Filmhühner mehr züchten

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FOTO: AURELIA’S FILMTIERE/DPA Klappe für Sieglinde: Das Huhn aus Weeze bei Dreharbeit­en zu „Wir sind doch Schwestern“.
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