Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Kampf gegen Kindesmissbrauch
Der Polizei sind oft die Hände gebunden, doch jetzt erhalten Ermittler neue Befugnisse
Berlin. Die Täter sind in scheinbar harmlosen Chaträumen für Kinder unterwegs wie in Tauschbörsen im Darknet. Sie erschleichen sich das Vertrauen kleiner Mädchen und Jungen, bahnen sexuelle Kontakte an und versuchen, an Fotos und Videos mit Missbrauchsszenen zu kommen. Schlimmste Sexualverbrechen passieren so versteckt vor den Augen der Eltern. Auch der Polizei sind bisher oft die Hände gebunden, selbst verdeckte Ermittlungen bringen sie nicht weiter. Ein neues Gesetz soll das ändern – doch es gibt moralische Bedenken.
Die Reform, die am Freitag im Bundestag beschlossen wurde, greift an zwei Stellen an: in den sozialen Medien und im Darknet. Schon jetzt schleichen sich Ermittler verdeckt und als Kinder getarnt in solche Chats ein – doch sie konnten zuletzt wenig tun, wenn jemand versuchte, mit ihnen anzubandeln. Denn bisher war das nicht strafbar, weil der Täter tatsächlich mit einem Erwachsenen kommunizierte. Dass er eigentlich davon ausging, einem Kind zu schreiben, spielte keine Rolle. Künftig ist das anders: Bereits der Versuch eines sexuellen Kontakts wird strafbar. Die Täter handelten schließlich „in der gleichen schrecklichen Absicht, das Vertrauen eines Kindes für eine spätere
Missbrauchstat zu gewinnen“, sagte Justizministerin Christine Lambrecht (SPD). Auch in Tauschbörsen, wo grausamste Videos von Missbrauchsszenen tausendfach geteilt werden, bekommen Ermittler neue Möglichkeiten.
Fotos sind wie Eintrittskarten für Kinderporno-Foren im Darknet
Wie diese Internetseiten funktionieren, erklärte der Chef der Freiburger Kriminalpolizei vor Kurzem im Bundestag mit einem einfachen Bild: „Ein Forum für kinderpornografisches Material im Darknet kann man sich wie ein Gebäude vorstellen, an dessen Eingang Sie als Eintrittskarte ein kinderpornografisches Foto oder einen Film vorzeigen müssen“, sagte Peter Egetemaier den Abgeordneten.
Bisher kamen die Ermittler nicht in die Hinterzimmer, weil sie selbst keine Missbrauchsvideos hochladen durften. Das hält Lambrecht auch für gerechtfertigt: „Wir dürfen nie vergessen, dass hinter kinderpornografischen Bildern schreckliche Missbrauchstaten an Kindern stehen“, mahnte sie. Doch ohne Eintrittskarte bekamen die Ermittler auch keinen Zugang. Künftig sollen sie sich – streng kontrolliert – mit künstlichen Missbrauchsvideos in die Foren einschleichen. „Diese computergenerierten Bilder sehen echten Bildern täuschend ähnlich, zeigen aber niemals echte Kinder“, sagte Lambrecht.
Experten halten die Ausweitung der Ermittlungsmöglichkeiten für enorm wichtig – so wichtig, dass einige Bedenken vom Tisch gewischt wurden. Bundestagsabgeordnete mehrerer Fraktionen beschrieben das Problem, durch die künstlichen Videos werde noch mehr Missbrauchsmaterial in Umlauf gebracht. Schwerer als diese Bedenken wiege aber, dass man endlich eine Chance bekomme, an die Täter ranzukommen, war der Tenor im Bundestag.