Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Ganz ohne Alkohol ist auch blöd
Na, auch schon gesündigt? Die gefühlte Mehrzahl meiner echten und virtuellen Kontakte will zumindest den ersten Monat des Jahres vollkommen alkoholabstinent leben. Aber auf unser beliebtestes Zellgift zu verzichten, fällt schwer. Wollen geht ja noch, aber was, wenn wir irgendwann müssen?
Ein Haufen wahnsinnig kreativer Köche spekulierte neulich über die langfristige Zukunft der Ernährung. Fleisch auf dem Grill oder Wurst auf dem Brot hatte da keiner mehr auf dem Schirm. Die tierischen Eiweißquellen hatten entweder gar keine oder ganz viele Beine. Ist noch weit weg, sagen Sie? Können Sie sich noch erinnern, wie schnell das mit dem Gepaffe ging? 2007 wurden die Aschenbecher der Gasthaustische unter großem Gezeter letztmalig geleert. Heute erinnert sich keiner gerne an die Kombination von Steinbutt und Teer oder Riesling und kaltem Qualm. Alkohol ist mindestens genau so schädlich und süchtig machend wie Nikotin. Also wird es folgerichtig als Nächstes der Sauferei an den Kragen gehen. Vielleicht mit einem „Rausch hiermit streng verboten“-Gesetz. Prohibition 2.0. Klingt ganz vernünftig, und die Leber dankt es sowieso.
Aber wie denken Kopf, Herz und Seele darüber? Ab und zu ein klarer Kopf tut ja ganz gut, aber 24/7 immer geradeaus zu denken, kann auch nicht zielführend sein. Kein Feierabendbierchen zum Runterkommen mehr, kein Sekt zum Erzeugen hochfliegender Träume und zum Liebesflüstern, kein Riesling zum Debattieren und Streiten, kein Rotwein zum Philosophieren oder Einschlafen. Und das wohlig wärmende Gefühl im Magen nach dem ersten Schluck gibt’s nur noch beim Kräutertee – aber ohne Gedanken- und Zungenbefreiung. Wie laaangweilig. Ich brauche jetzt einen Wodka, um diese Zukunftsfantastereien (erst einmal) ganz schnell wieder zu vergessen.