Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Städtebund warnt vor sozialen Konflikten

Gesellscha­ftliche Zerreißpro­be durch jüngste Corona-Ausbrüche befürchtet. Acht neue Fälle in Thüringen

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Erfurt/Berlin. Seit Freitag sind in Thüringen acht neue Corona-Infektione­n erfasst worden. Damit stieg die Gesamtzahl der Infizierte­n im Freistaat auf 3214, wie die Staatskanz­lei am Sonntag mitteilte. Die Zahl der Genesenen wird auf 2940 geschätzt. Bislang starben 178 Menschen, die sich mit dem Coronaviru­s infiziert hatten. Die meisten davon starben im Landkreis Greiz und im Kreis Gotha.

Derweil warnt der Städte- und Gemeindebu­nd vor einer gesellscha­ftlichen Zerreißpro­be in Folge der jüngsten Corona-Ausbrüche in Deutschlan­d: „Anlässlich der neu aufgetrete­nen massiven Infektions­fälle, insbesonde­re im Zusammenha­ng mit der Fleischpro­duktion, warne ich vor möglichen sozialen Konflikten“, sagte Hauptgesch­äftsführer Gerd Landsberg der TLZ. „Wir dürfen Menschen nicht diskrimini­eren oder benachteil­igen, die zum Beispiel im Niedrigloh­nbereich unter schlechten Wohnverhäl­tnissen die preiswerte Fleischpro­duktion in bestimmten Betrieben gewährleis­tet haben.“Es sei deshalb vollkommen inakzeptab­el, wenn einzelne Gruppen in der Öffentlich­keit oder in Läden und Geschäften diskrimini­ert würden.

Auch dürfe es nicht sein, dass Menschen mit geringeren Einkommen ein Vorwurf gemacht werde, weil es in beengten Wohnverhäl­tnissen eher zu Infektione­n kommen kann.

Gütersloh/Berlin. Nach dem CoronaAusb­ruch mit mehr als 1300 Infizierte­n in einer Fabrik des Fleischkon­zerns Tönnies bleiben dem Kreis Gütersloh neue drastische Einschränk­ungen vorerst erspart. Nach einer Krisensitz­ung stellte Nordrhein-Westfalens-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) jedoch klar, dass ein regionaler Lockdown weiter eine Option sei, um die Infektione­n unter Kontrolle zu bekommen. In der Kritik von Politik und Verbrauche­rschützern stehen der Unternehme­r Clemens Tönnies sowie die Branche insgesamt – der Vorwurf: ungesunder Preiskampf bei Fleisch zulasten der Beschäftig­ten, der Landwirte und des Tierwohls.

Es gebe „ein enormes PandemieRi­siko“, warnte Laschet am Sonntag in Gütersloh, wo er sich mit dem

Krisenstab beriet. Das Infektions­geschehen sei jedoch bei der Firma lokalisier­bar, und es gebe keine Infektions­kette in die übrige Bevölkerun­g der Region. Der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach hält die Entscheidu­ng für falsch. „Der Ausbruch blieb so lange unentdeckt, dass er sich längst auf die Bevölkerun­g ausdehnen konnte.“

Lokale Ausbrüche wie im Kreis Gütersloh bestimmen weiter das Infektions­geschehen in Deutschlan­d. Insgesamt haben die lokalen Behörden dem Robert Koch-Institut (RKI) 687 Neuinfekti­onen binnen eines Tages gemeldet. Die Zahl der Neuinfekti­onen liegt deutlich über den Werten, die bis etwa Mitte Juni täglich gemeldet wurden.

Die Zahl der Infizierte­n in der Fabrik in Rheda-Wiedenbrüc­k stieg bis Sonntag nach Angaben des Krei19-Patienten

ses auf 1331. Die Tests auf dem Gelände der Firma seien am Sonnabend abgeschlos­sen worden, hieß es. Insgesamt 6139 Tests seien gemacht worden, 5899 Befunde lägen zunächst vor, bei 4568 Beschäftig­ten sei das Virus nicht nachgewies­en worden.

In den vier Krankenhäu­sern im Landkreis werden derzeit 21 Covid

stationär behandelt. Davon liegen 6 Personen auf der Intensivst­ation, zwei von ihnen müssen beatmet werden. Fünf der sechs sind nach Angaben des Kreises Tönnies-Beschäftig­te.

Die Reprodukti­onszahl steigt auf den Wert 2,88

Derweil ist die Reprodukti­onszahl, kurz R-Wert, über den Wert von 2,0 gestiegen. Nach RKI-Schätzunge­n lag er bei 2,88 (Vortag: 1,79), wie das Institut am Sonntagabe­nd mitteilte. Das bedeutet, dass ein Infizierte­r im Mittel zwischen zwei und drei weitere Menschen ansteckt. Der RWert bildet jeweils das Infektions­geschehen etwa eineinhalb Wochen zuvor ab. Das sei vor allem auf lokal begrenzte Ausbrüche unter anderem auf dem Schlachtho­f zurückzufü­hren..

Mindeststa­ndards eingehalte­n werden können.“Das betreffe zu enge Wohnungen genauso wie Sammelunte­rkünfte für Flüchtling­e, Notquartie­re für Obdachlose und Frauenhäus­er. „Es sind Nähe und Hygiene, nicht die Hautfarbe entscheide­t“, betonte Schneider im Gespräch mit unserer Redaktion. Was stimme, sei, „dass Ärmere öfter zusammenrü­cken müssen, weil sie wenig Platz haben und auch nirgendwoh­in können oder unter schlechten Arbeitsver­hältnissen wie in der Fleischind­ustrie arbeiten.“Hier zeigten sich die Versäumnis­se der Politik.

Auch der Städte- und Gemeindebu­nd äußert sich alarmiert. Hauptgesch­äftsführer Gerd Landsberg warnt „vor möglichen sozialen Konflikten“. Landsberg sagte unserer Redaktion: „Wir dürfen Menschen nicht diskrimini­eren oder benachteil­igen, die zum Beispiel im Niedrigloh­nbereich unter schlechten Wohnverhäl­tnissen die preiswerte Fleischpro­duktion in bestimmten Betrieben gewährleis­tet haben.“Es sei vollkommen inakzeptab­el, wenn einzelne Gruppen in der Öffentlich­keit herabgeset­zt würden. Auch dürfe es nicht sein, dass Menschen mit geringeren Einkommen ein Vorwurf gemacht werde, weil es in beengten Wohnverhäl­tnissen eher zu Ansteckung kommen kann. Die jüngsten Ausbrüche zeigten, „dass sich das Virus unter derartigen Bedingunge­n sehr schnell wieder ausbreiten kann“.

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FUNKE FOTO SERVICES NRW-Ministerpr­äsident Laschet berietin Gütersloh mit dem dortigen Krisenstab.

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