Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Wenn Wörter Angst machen
Der Jenaer Sprachwissenschaftler Manfred Consten über die Sprache in der Corona-Krise
Jena. Mit Beginn der Corona-Krise drangen auch Begriffe wie Durchseuchung, Corona-Knast, Pandemie, Herdenimmunität, Ausgangsbeschränkung, Virenschleuder, Seuchenfilmen und so weiter in den normalen Sprachgebrauch ein. Manfred Consten vom Institut für Germanistische Sprachwissenschaft der Universität Jena zum Sprachgebrauch in der Krisenzeit.
Wie sehr beeinflussen solche Wörter die Menschen?
Generell beeinflussen Wörter natürlich die Denk-Konzepte, in denen wir unsere Wahrnehmung der Welt ordnen und organisieren. Die Wirkung von Wörtern ist bei jedem Menschen unterschiedlich je nach Vorerfahrungen – so ist „Pandemie“ja ein Wort aus der medizinischen Fachsprache und dort emotionslos und wertfrei definiert. Dennoch kann es bei manchen Leuten Angst auslösen. Wenn ein- und derselbe Sachverhalt mal als „Kontaktbeschränkung“benannt wird und mal als „Corona-Knast“, sind wir wahrscheinlich im Bereich der politischen Kampfbegriffe: Wer die Maßnahmen als übertrieben und untragbar darstellen will, benennt sie drastischer. So gab es in Deutschland zumindest flächendeckend keinen „Lockdown“wie in anderen Ländern, aber in der Sprache der Politik und des Journalismus wurden und werden die Beschränkungen so genannt. Gewisse Unschärfen und Widersprüche, die Sprachverwendung immer hat, tauchen hier natürlich auch auf. So war mit dem auch
propagierten „social distancing“nie eine soziale Distanzierung gemeint, sondern eine physische: Man ruft seine alten Eltern/ Großeltern eben an, statt sie zu besuchen. Die im Corona-Diskurs reichlich verwendeten Anglizismen haben im politischen Diskurs den Vorteil, Sachverhalte etwas zu verschleiern, man muss sich nicht so genau festlegen, was man meint.
Ist das nur eine subjektive Wahrnehmung oder können Sie das irgendwie bestätigen?
Auch die Sprachwissenschaft macht solche Aussagen am liebsten auf einer sicheren Datenbasis. Kommunikationswissenschaftler der Uni Münster haben vor wenigen Tagen eine Studie veröffentlicht, wonach in klassischen Nachrichtenmedien durch sprachliche Mittel keine Hysterie geschürt worden sei. Weitere Studien dazu werden sicher folgen. Sprachwissenschaftler können hierzu, teilweise auch computerisiert, große Textmengen etwa aus Online-Veröffentlichungen auch statistisch auswerten. Ein Phänomen war für mich sehr viel auffälliger als Angst einflößende Sprache: Wie schnell virologische Fachausdrücke zum Allgemeingut in der öffentlichen Kommunikation geworden sind. Reproduktionswert, Herden-Immunität gehört auch dazu. Ob dies beunruhigt oder in Sicherheit wiegt, dürfte wieder individuell verschieden sein. Wer glaubt, gut informiert zu sein und die Dinge zu verstehen, hat weniger Angst. Wie weit mit der Erweiterung unseres Alltagswortschatzes um solche Fachwörter wirklich unser Wissen über diese Dinge gesteigert wird oder ob es nur ein gefühltes oder eingebildetes Verstehen ist, ist auch noch zu erforschen. So bezweifle ich, dass eine große Anzahl der Menschen, die Warnungen vor „exponentiellem Wachstum“der Infektionszahlen gehört haben, wissen, was das ist. Dieser Terminus ist vermutlich eher ein Beispiel für angstmachende Fachsprache.
Gefühlt war das Thema Corona in allen Lebensbereichen tagtäglich zugegen. Sind die Menschen davon irgendwann gesättigt?
Wenn es um Sprache und öffentliche Kommunikation geht, konzentriert man sich oft auf die Frage nach bestimmten Wörtern, die bestimmte Emotionen wie Angst oder Widerwillen gegen das Thema auslösen können. Tatsächlich spielt aber nicht nur die Wortwahl eine Rolle, sondern auch journalistische Themenauswahl und Perspektivierung: Wird über Massengräber in New York berichtet, werden Bilder gezeigt von Intensiv-Patienten an vielen Schläuchen oder von hoffnungsvollen Forschungen am Impfpolitisch stoff? Nimmt ein Bericht mich in die Perspektive eines Club-Besitzers, dem die Pleite droht, dann halte ich Maßnahmen für übertrieben, oder einer verzweifelten Ärztin in Italien? Wir haben vermutlich alle einen begrenzten Vorrat an Empathie, der medial abgerufen werden kann, und es kommt eben darauf an, auf wen oder was unsere Empathie gelenkt wird.
Wie schätzen Sie die Kommunikation von Politikern und Wissenschaftlern in der Corona-Krise ein?
Sehr unterschiedlich, von Politiker zu Politiker, von Stadt zu Stadt. Es scheint, dass viele Menschen in Krisenzeiten politische Persönlichkeiten bevorzugen, die den Eindruck erwecken, keine Zweifel zu haben und genau zu wissen, was zu tun ist, auch wenn dies natürlich eine Illusion ist.
Wie wichtig ist es für Menschen gerade in der Zeit der Ungewissheit, miteinander zu kommunizieren?
Persönlich habe ich festgestellt, dass ich am Anfang der Krise viel Mail- oder SMS-Kontakt mit Leuten hatte, denen man sonst vielleicht nur zu Weihnachten und zum Geburtstag mal schreibt: Wie ist die Lage bei euch, wie geht es dir...? Das ist schon wichtig, anders als in der oben angesprochenen massenmedialen Kommunikation beruht hier die Empathie nämlich auf Gegenseitigkeit. Wie einsam man eigentlich im „Home-Office“ist, auch wenn man jeden Tag lange Videokonferenzen und also Kommunikation hat, wird auch noch zu untersuchen sein.