Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Es geht um die Wurst
Die „gekränkte Leberwurst“hielten wir bisher immer für eine Redefigur, eine Metapher, jetzt durften wir sie doch tatsächlich als leibhaftig redende Figur erleben. Corona macht’s möglich. Am vergangenen Sonnabend erschien plötzlich, aber erwartet Clemens Tönnies auf dem Bildschirm, nestelte sich die Atemschutzmaske vom erschütterten Gesicht und sprach, dass es so nicht weitergehen könne und er die volle Verantwortung übernehme. „Ich mache mich nicht aus dem Staub,“sagte er. Wir wussten im ersten Moment gar nicht, wer oder was gemeint war. Sprach da jetzt der Vorstandsvorsitzende des FC Schalke 04 über das desaströse Auftreten seines Vereins in der Bundesliga? Oder sprach der Vormann der deutschen Fleischfabriken über das Desaster in den Kühlhäusern und seine Tausend positiv auf den Corona-Virus getesteten Mitarbeiter in Gütersloh?
Seine Stimme klang dabei nach einer verzitterten Tapferkeit, als wollte er sagen, wenn ich das mit dem Elend der Gastarbeiter doch nur früher gewusst hätte, aber mir sagt ja keiner was! Welch überraschender Blick auf die Innereien, Pardon, auf das Innenleben des deutschen Metzgers tat sich da auf. Von wegen Gemüt wie ein Fleischerhund! Der deutsche Metzgermeister ist eine Seele von Mensch, ein Sensibelchen, ein Filetstück auf der Ladentheke der Schöpfung. Zum Sinnbild dafür gehört seine im Laden mithelfende Ehefrau, die den Kindern der Stammkundschaft mit rosigen Fingern und auf spitzer Gabel eine Scheibe Mortadella überreicht: Damit Du groß und stark wirst! Und dann ist da vor allem noch das seit den achtziger Jahren kunstvoll in den Bierschinken eingearbeitete lachende Gesicht eines pumperlgesunden Knaben. Eine Intarsienarbeit aus der Werbeabteilung der Innung, ein Meisterwerk aus der Blütezeit der Fleischhauerkunst! Und seitdem ging’s bergab. Der Massentierhaltung folgten die Massenschlachthöfe, denen die Skandale auf dem Pferdefuß in die Lasagne folgten. Aus der Metzgerei an der Ecke wurde die Fleischtheke im Supermarkt, wo es immer billiger wurde. Zwar ist noch immer nicht alle Tage Sonntag, aber alle Tage muss Fleisch auf den Tisch. Die Fleischer werden dazu eigens aus ärmeren Ländern herbeigekarrt und von Sub-Unternehmen sub-optimal behaust und belohnt. In den Fleischfabriken klingelten die Kassen, und die Politik hielt sich die Ohren zu.
Jetzt sehen alle betroffen von ihren Schnitzeln auf und geloben Besserung. „Wir werden die Branche verändern“, sprach Clemens Tönnies mit einer Stimme wie aus Tofu. Nun ja, der Geist ist willig, das Fleisch macht schwach.