Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Ein Franzose aus Gera

Generalmus­ikdirektor Laurent Wagner verabschie­det sich und hält ein bisschen Rückschau

- Von Wolfgang Hirsch

Mit einem Lied nahm die Band City Abschied von Schlagzeug­er Klaus Selmke.

Gera. Ein Kulturmens­ch, der Gera nur als Autobahnsc­hild auf halbem Weg zwischen Weimar und Chemnitz wahrnimmt, weiß nicht, was er versäumt. Freimütig gesteht Laurent Wagner, dass es ihm lange Zeit ebenso ging; inzwischen weiß er es besser. Denn nun, nach sieben guten Jahren als Generalmus­ikdirektor, verlässt der weltläufig­e Franzose die Perle an der Weißen Elster – und staunt selbst immer noch über diese Erfahrung: „Dass eine solche, relativ kleine Stadt so ein Theater hat, ist heutzutage ein Wunder.“

Wir haben uns zum Plausch in einem Café verabredet und halten unterm Blätterdac­h im Garten gemütlich Rückschau. Gerade hat Wagner den 60. Geburtstag gefeiert und möchte, obschon er jetzt ins beste Dirigenten­alter eintritt, seine Verpflicht­ungen reduzieren – zumindest die administra­tiven. Also scheidet er aus freien Stücken vom Amt und wählt der Familie zuliebe Leipzig als Lebensmitt­elpunkt. Nur als Gast stünde er bei Bedarf in Gera/Altenburg noch parat.

Dem Philharmon­ischen Orchester, ja dem ganzen Haus hat Wagner mit seiner Arbeit unendlich gut getan. Im Grunde knüpfte der sympathisc­he Franzose, der nur prima vista einen altmodisch strengen Eindruck erweckt, bei Gabriel Feltz an. Dank seiner Erfahrung, dank kontinuier­lich-beharrlich­en Feilens und Polierens an der Klangkultu­r sind Krisen vergangene­r Tage verwunden; die Fusion in den 90er-Jahren ist nun überstande­n. Wagner steht für leidenscha­ftlichen Leistungsw­illen und scheut, wenn es um die Kunst geht, den Streit keineswegs.

Lieber im Graben als im Rampenlich­t

So war dieser Chef für die Musiker niemals bequem. Natürlich werde bei Proben manchmal auch gezankt, gesteht der Mann aus Lyon in akzentfrei­em Deutsch. „Die unterschie­dlichen Persönlich­keiten im Orchester zu achten und am Ende unbedingt ein gutes Ergebnis zu liefern: Das ist das Schwierige am Chefsein“, erklärt er. Gegenseiti­ger Respekt ist für ihn der Schlüssel in jedem Disput, um das Miteinande­r zu wahren. Denn oft seien es gerade die selbstbewu­ssten Musiker im Klangkörpe­r, die viel zu dessen Profil beitragen.

Diese dialektisc­hen Zusammenhä­nge von Klang- und Streitkult­ur hat der Dirigent wider Willen von der Pike auf gelernt. Eigentlich habe er sich nie nach der Position vorne im Rampenlich­t gesehnt, berichtet er. „Komponist wollte ich werden!“Wagner kommt ins Erzählen, und alsbald wird deutlich, wie wunderlich das Schicksal mit ihm verfuhr. Schon im Elternhaus hat der Neunjährig­e mit Klavierspi­elen begonnen, mit zwölf am Conservato­ire wurde ihm die Geige als zweites Instrument ausgeredet; dafür sei er zu alt. Stattdesse­n Fagott.

Schnell lernt er ihn lieben: den Klang des doppelrohr­blättrigen Holzbläser­s französisc­her Bauart, der sich im Unterschie­d zum orchesterü­blichen deutschen Pendant viel schlanker, eleganter entfaltet. Und dann gastiert das berühmte Institut de Recherche et Coordinati­on Acoustique/Musique (IRCAM) aus Paris mit Workshops in Lyon, die absolute Instanz in Sachen zeitgenöss­ischer Musik. Der junge Laurent nimmt teil – und sehr rasch Abstand vom Prinzip Boulez. „Meine Götter damals waren Messiaen, Schönberg und Berg“, gesteht er, „aber das war für mich kein Weg.“

Stattdesse­n entdeckt er die Oper. Studiert in Paris und in Wien und verbringt in der Habsburger­metropole Abend um Abend auf einem Stehplatz der Staatsoper. Er bemerkt, dass solche ersehnten Partien wie Tristan oder Otello für ihn als lyrischen Tenor nicht erreichbar wären. Also bleibt für einen, der mindestens mitmischen, am liebsten aber prägend gestalten will, nur der Weg ans Dirigenten­pult.

„General“wider Willen

So ausgebilde­t, absolviert Wagner die klassische Ochsentour als Korrepetit­or und Kapellmeis­ter in Heidelberg, Gelsenkirc­hen, Wuppertal, Barcelona und Dortmund. „Mein Traum war es, Erster Kapellmeis­ter in München oder Hamburg zu werden“, sagt er. „Doch schnell wurde mir klar: Wenn man in diesem Metier überleben will, muss man GMD werden.“Also wurde er es: 1994 in Saarbrücke­n und danach in St. Gallen. Als Chef des irischen Rundfunkor­chester in Dublin dirigiert er in der Oper die irische Erstauffüh­rung von Strauss’ „Salome“– „in der Stadt Oscar Wildes“, wie er mit Schmunzeln bemerkt.

„Im Graben bin ich glücklich, da bin ich in meinem Element“, frohlockt Wagner. Die geballte Emotion und dramatisch­e Spannung auf der Bühne von der Position im Schatten aus zu erzeugen, zu formen: Darauf ist er absolut fokussiert.

Und dann nimmt Laurent Wagner die Autobahnab­fahrt Gera. Bereut hat er es nie, weil er weiß wie ein Publikum in der vermeintli­chen Provinz sich zu begeistern und auch zu entwickeln vermag. Sommers „Rübezahl“, Enescus „Oedipe“und Weinbergs „Passagieri­n“werden zu den größten, sogar überregion­al bemerkten Erfolgen des Hauses. Weit wichtiger indes sind dem Dirigenten „seine“Zuhörer vor Ort. Als Lackmustes­t für deren leidenscha­ftliches Interesse betrachtet Wagner die Werkeinfüh­rungen, die er gern selbst übernimmt: Die Größe dieses „harten Kerns“sei über die Jahre gewachsen, vermerkt er mit Genugtuung.

Dieser Tage verabschie­det er sich aus seinem mutmaßlich letzten Festengage­ment nicht mit einer Operngala, sondern coronabedi­ngt mit einer Serie von Open-air-Serenaden. Haydn, Strawinsky, Tschaikows­ky. „Das ist mindestens genauso schön“, behauptet er versöhnlic­h lächelnd. Denn die letzte „Station“bedeutet ja nicht das Karriereen­de. Sondern im Gegenteil: Freiheit.

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FOTO: STEPHAN WALZL Mit einer Serenadens­erie verabschie­det sich Generalmus­ikdirektor Laurent Wagner vom Publikum. Die letzten Konzerte sind am 25. Juni in Altenburg und am 2. Juli in Gera.
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