Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

10,0 für die Ewigkeit

Armin Hary rannte als Weltrekord­ler zu ewigem Ruhm. Sein legendärer Lauf von Zürich jährt sich nun zum 60. Mal

- Von Kristof Stühm

Hamburg. 21. Juni 1960. Zürich, Letzigrund. Um kurz nach 20 Uhr hämmert Armin Hary seinen Startblock mit Nägeln besonders fest auf die Aschenbahn, er zupft sich das Trikot zurecht. Nichts darf schiefgehe­n. Es soll sein großer Abend werden. Hary ist in Topform.

„Ich habe mich auf den Knall gestürzt wie ein Boxer auf den Gegner“, sagt Hary. Er trommelt die 100 Meter runter. 10,0 Sekunden. Zehn Komma null! Weltrekord, eine Sensation. Doch die Kampfricht­er sind so geschockt, dass sie die handgestop­pte Zeit nicht anerkennen – Fehlstart sagen sie. „Da war die Sache für mich eigentlich erledigt“, sagt Hary. Doch dann bekommt er einen Wiederholu­ngslauf zugestande­n. Und der „Unbekannte vom Dorf“rennt 35 Minuten später tatsächlic­h noch einmal 10,0 Sekunden, bis heute ist er der letzte weiße Weltrekord­ler.

1960 auch Olympiasie­ger über 100 Meter in Rom

„Es war eine schöne Zeit, aber es ist vorbei“, sagt Hary, der die Gartenarbe­it am gestrigen Sonntag ruhen lassen wollte, um sich „vielleicht ein Gläschen Champagner“zu gönnen.

Seit jenem 21. Juni 1960 ist Hary eine Legende des deutschen Sports, längst auch Mitglied der „Hall of Fame“, nur 72 Tage später holt der damals 23-Jährige in Rom als bisher einziger Deutscher olympische­s Gold über 100 Meter, eine Woche später auch mit der 4x100-MeterStaff­el. „Ich denke nicht täglich daran, dass ich früher mal ein toller Hecht war“, sagt Hary.

Aber natürlich wird der „blonde Blitz“, der Usain Bolt seiner Zeit, immer wieder auf die alten Zeiten angesproch­en, die Menschen haben ihn nicht vergessen. „Jede Woche erhalte ich noch immer fünf bis zehn Autogrammw­ünsche aus der ganzen Welt“, sagt Hary, der sich in Zeiten von Corona „ein bissel vorsichtig“verhält.

Was heute unvorstell­bar klingt: Hary war auf dem Höhepunkt seines Schaffens kein gefeierter Star. Der Sohn eines Bergmanns aus Quierschie­d wurde stets skeptisch beäugt. Er hatte den unbedingte­n Willen, sich nach oben zu arbeiten – auf seine Weise. Hary war einer, der aneckte, sich wenig sagen ließ, ungestüm, aufsässig. Für die Generation nach dem Krieg war er der deutsche James Dean der Aschenbahn. Bei den konservati­ven Funktionär­en wurde er als Rebell abgestempe­lt, ein Liebling der Presse war er zunächst auch nicht, wurde sogar einmal als der „zornige junge Sprinter“betitelt.

Als 24-Jähriger schon Schluss mit dem Sport

„Zu meiner Zeit war der mündige Athlet noch nicht erfunden“, sagt Hary: „Ich habe mir nicht viel gefallen lassen.“Nach drei kurzen Sommern, dem Doppel-Gold bei den Europameis­terschafte­n 1958 und einem weiteren aberkannte­n 10,0Lauf, dem Weltrekord 1960 und dem Olympia-Triumph von Rom, macht Hary 1961 als gerade einmal

24-Jähriger schon Schluss – nach dem x-ten Ärger mit Funktionär­en wegen eines Interviews und angeblich falscher Spesenabre­chnung und sicher auch wegen der Knieproble­me in Folge eines Autounfall­s. „Es war nicht leicht aufzuhören. Aber sie haben es mir leichter gemacht“, sagt Hary später. Und: „Ich hatte ja alles erreicht.“

Heute engagiert sich der Träger des Bundesverd­ienstkreuz­es am Bande für seine AHA-Stiftung zur kommunalen Förderung jugendlich­er Sporttalen­te aus sozial benachteil­igten Familien. Wie er damals eines war. Er sitzt am Telefon oder besucht Unternehme­n, um Geld für die Stiftung zu sammeln. „Ich bin der größte Bettler Deutschlan­ds“, sagt Hary lachend im Scherz. Und er fährt Fahrrad: „Aber viel geht nicht mehr.“Damals, vor

60 Jahren in Zürich, ging dafür umso mehr.

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FOTO: HANS-UELI BLOECHLIGE­R / DPA Armin Hary am 21. Juni 1960 beim zweiten Rekordlauf im Letzigrund-Stadion in Zürich. Als erster Mensch lief Hary in glatten 10,0 Sekunden die 100 Meter und erreichte die magische Grenze der Sprinter.

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