Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Die böse Schwester des Diktators
Kim Yo-jong führt den Eskalationskurs gegen Südkorea an. Wird die junge Frau auf die Machtübernahme in Nordkorea vorbereitet?
Peking/Pjöngjang. Im Frühjahr 2018 bezauberte die schüchterne 32-Jährige mit dem mädchenhaften Charme die südkoreanische Öffentlichkeit. Kim Yo-jong reiste als erstes Mitglied der Kim-Dynastie in den südlichen Nachbarstaat. Ob beim Besuch eines Pop-Konzerts oder im Eishockeystadion neben dem steif wirkenden US-Vizepräsidenten Mike Pence: Die jüngere Schwester von Diktator Kim Jongun verkörpert seit jener Charme-Offensive während der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang die „Softpower“eines Regimes, das sonst fast ausschließlich aufgrund Raketentests, Hungersnöten und politischer Gefangenenlager Schlagzeilen macht.
Nun jedoch lernt die Welt eine andere Seite von Nordkoreas neuer Nummer zwei kennen: Kim Yo-jong ist die führende Figur im Konfrontationskurs gegen Südkorea. Bereits am 4. Juni kündigte sie in einer viel beachteten Stellungnahme an, sämtliche Kommunikationsleitungen zu Südkorea zu kappen. Letzten Dienstag gab sie die Order zur Sprengung des innerkoreanischen Verbindungsbüros. Es ist absolut rar, dass die nordkoreanischen Staatsmedien eine zweite Person so prominent neben dem „geliebten Marschall“scheinen lassen, zumal Frauen in dem patriarchalen Staat in der Staatsführung in der Minderheit sind. „Bislang gab es keine weitere Person, die zwischen Kim Jongun und dem Militär steht“, schreibt etwa Thae Yong-ho in einem Facebook-Post. Der ehemalige Diplomat in der nordkoreanischen Botschaft in London gilt nach einer spektakulären Fahnenflucht 2016 als ranghöchster Überläufer des Regimes.
Bislang war Kim Yo-jong vor allem im Hintergrund präsent, etwa als sie ihrem Bruder beim ersten innerkoreanischen Gipfel mit Präsident Moon Jae-in den Füllfederhalter zum Unterschreiben der Panmunjom-Deklaration überreichte. Bei öffentlichen Auftritten im Ausland wich sie ihm ohnehin selten von der Seite.
Dass Kim Yo-jong als rechte Hand des Diktators gilt, hat mit ihrer Familiengeschichte zu tun: Beide wuchsen als Kinder des 2011
Immer zur Stelle: Kim Yo-jong an der Seite von Kim Jong-un.
verstorbenen Kim Jong-il auf – stammen jedoch nicht aus seiner Ehe, sondern aus der Affäre mit einer volksbekannten Tänzerin. Sie absolvierten gemeinsam mehrere Schuljahre in der Schweiz, wo sie zwar privilegiert in einem Berner Nobelviertel lebten, jedoch auch tiefe Traumata durchmachten: Ihr Onkel und ihre Tante mütterlicherseits, die sie damals aufzogen, flohen
1998 über Nacht in die USA. Nur sechs Jahre später starb ihre leibliche Mutter an Krebs. Diese Erfahrungen schweißten zusammen – und sorgten dafür, dass der spätere Thronfolger Kim Jong-un niemandem außer seiner Schwester trauen konnte. Seinen Halbbruder Kim Jong-nam ließ er während seiner Konsolidierungsjahre als Diktator hinrichten, genauso seinen Onkel
Jang Seong-thaek.
Dass Kim Yo-jong ausgerechnet jetzt so prominent in Erscheinung tritt, hat laut Expertenmeinungen eine simple Erklärung: Sie soll auf eine Führungsrolle innerhalb des Regimes vorbereitet werden und durch die gegen Südkorea herbeigeführte Krise das Volk innenpolitisch einen und militärische Legitimität erlangen. Gleichzeitig kommt ihr die Rolle des „bad cop“im Regime zu: Indem sie die Eskalation gegen Südkorea anführt, lässt sie ihrem Bruder die Hintertür der Versöhnung mit Seoul offen.
Doch Kim Yo-jongs Aufstieg innerhalb des Parteiapparats kommt zu einem brisanten Zeitpunkt. Die Spekulationen um Kim Jong-uns Gesundheitszustand sind noch in vollem Gange. Im April und Mai war der starke Führer nicht nur drei Wochen lang von der medialen Öffentlichkeit verschwunden, sondern hat auch einen historischen Gedenktag zu Ehren seines Großvaters nicht besucht – ein Novum in der nordkoreanischen Geschichte.
Wichtiger als das Geschlecht ist die „revolutionäre Blutlinie“
Zwar ist Kim wiederaufgetaucht, dennoch hält er sich in der Öffentlichkeit auffällig bedeckt. Wohl dokumentiert ist seine genetische Vorbelastung: Sein Großvater, Staatsgründer Kim Il-sung, litt unter einem bösartigen Tumor, sein Vater erkrankte an Diabetes. Beide starben an Herzversagen. Der 36-Jährige selbst ist offensichtlich fettleibig und starker Raucher. Doch wer sollte ihn im Todesfall beerben? Seine Kinder sind im Grundschulalter.
Die jüngere Schwester mag für viele Kritiker eine absurde Wahl sein, schließlich würde eine Frau an der Staatsspitze im patriarchalen, konfuzianisch geprägten Nordkorea befremdlich erscheinen. Doch viel wichtiger als das vermeintlich „richtige Geschlecht“ist in der Gesellschaft entscheidend, dass der Thronfolger derselben „revolutionären Blutlinie“wie Staatsgründer Kim Il-sung entspringt.
„Bislang gab es keine weitere Person, die zwischen Kim Jong-un und dem Militär steht.“
Thae Yong-ho, Ex-Diplomat in der nordkoreanischen Botschaft in London