Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
„Carlotta oder Die Lösung aller Probleme“von Klaus Jäger
Doch er kam nicht zu Kräften. Das Frühstück rührte er kaum an, nippte nur ein wenig am Kaffee, lag frierend, schwitzend und schnaubend auf dem Bett und fühlte sich immer schlechter. Gegen halb elf klopfte es leise an die Tür und Carlotta schob ihren Kopf herein. Der hoteleigene Geheimdienst schien ausgezeichnet zu funktionieren.
„Was machst du denn für Sachen?“, fragte sie ihn.
„Keine Ahnung, es fühlt sich wie eine schlimme Erkältung an“, sagte er.
„Hast du Fieber?“, fragte sie mit Blick auf das Thermometer auf dem Nachtschrank.
„Geht so, es sind 38 Grad“, antwortete Stadler matt.
Carlotta stellte einen Einkaufskorb auf den Tisch.
„Jetzt erst mal raus aus den Federn“, sagte sie überraschend resolut und zog ihm die Bettdecke weg. Stadler war es peinlich, dass sie ihn in diesem Zustand sah, aber sie übernahm wie selbstverständlich das Kommando.
„Du gehst jetzt erst einmal lauwarm duschen. Schaffst du das?“Er nickte.
Als er zurückkam, war das Bett gelüftet und aufgeschüttelt.
„Heute Nachmittag bekommst du frisches Bettzeug, ich hab schon unten Bescheid gegeben.“
„Aber …“Er versuchte einen schwachen Protest.
„Nix aber. Wir kriegen dich schon wieder hin.“
Sie packte zwei große Flaschen Wasser und eine Trinkflasche mit einer gelblichen Flüssigkeit aus. „Gemüsesaft, das Hausrezept eines Onkels“, erklärte sie. „Den verdünnst du mit Wasser. Du musst viel trinken.“Sie stellte ihm demonstrativ ein Glas hin und er schenkte sich ein. Dann packte sie Leinentücher aus.
„Was hast du vor“, fragte er vorsichtig. Der Gang zur Dusche hatte ihn geschwächt, dennoch fühlte er sich jetzt wohler.
Carlotta lachte. „Na was wohl? Wir machen dich jetzt gesund. Nur vom Rumliegen alleine wird das nichts. Du hast dir einfach eine Sommergrippe eingefangen.“
Wieder versuchte er einen Protest. Er wollte ihr sagen, dass er nicht so bemuttert werden wollte, doch in ihrer energischen Tüchtigkeit ließ sie ihn gar nicht recht zu
Wort kommen. Wo hat sie so was gelernt, fragte er sich, als sie ihm kunstgerechte Wadenwickel verpasste. Und als sie nach einer knappen Stunde das Zimmer wieder verließ, war er zwar noch immer weit davon entfernt, gesund zu sein, fiel aber in einen tiefen und erholsamen Schlaf.
Am Nachmittag des Folgetages unternahm er seinen ersten Spaziergang, noch nichts Anstrengendes, nur runter zum Strand und wieder zurück. Und nach drei Tagen fühlte sich Stadler auskuriert.
Als er sich bei Carlotta für ihre tatkräftige Hilfe bedanken wollte, es war bei seinem ersten im Restaurant, gab sie ihm nur einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
„Pah, das war doch nichts. Das lag nur am Gemüsesaft meines Onkels.“
18. Kapitel
In den Tagen vor lernte er eine ganz neue Carlotta kennen – das späte Kind nämlich. Sie war so aufgedreht, als gelte es für sie nicht, besonders hart zu arbeiten, sondern als dürfe sie in die Ferien fahren. In ihren Gesprächen alberte sie herum, nahm ihn gar nicht richtig ernst, wenn er etwas Ernstes sagte, machte wahlweise Kulleraugen oder Schmollmund, schnitt Grimassen und sagte bisweilen trotzige Sätze wie „Ich will aber!“, wobei sie auch noch demonstrativ mit dem Fuß aufstampfte. Er versuchte, diese Seite von ihr lustig zu finden. Und auch wenn es ihn manchmal nervte, ging er zum Schein darauf ein.
Als sie sich schließlich ihre Liebe eingestanden, war es ganz unspektakulär. Vor einem Souvenirladen hatten sie herumgeflachst. Sie nahm einfach eine Sonnenbrille aus dem Ständer und setzte sie ihm auf die Nase.
„Die steht dir überhaupt nicht, du brauchst etwas Jüngeres.“
Sie griff nach einer neuen Brille, eine, deren leicht gebogenen Gläser in einem stechenden Blau verspiegelt waren.
„Nein, das ist auch nichts für dich, das ist nicht deine Farbe.“
Die dritte, die sich Carlotta aus dem Ständer angelte, hatte orangefarben verspiegelte Gläser. Aber auch die verwarf sie wieder. Geduldig ließ Laurenz die Prozedur über sich ergehen. Schließlich fand sie etwas nach ihrem Geschmack. Schwarzes Gestell, schwarze Gläser, klassischer Schnitt.
„Ja!“Sie klatschte in die Hände. „Schau mal in den Spiegel! Das ist genau das Richtige für dich. Wie in diesem uralten Film, wie hieß er doch ... ach ja, ‚Men in Black‘.“
Stadler lächelte nachsichtig, auch wegen ihrer Auffassung von „uralten Filmen“, und wollte die Brille wieder absetzen.
„Auflassen“, befahl sie. Sie wedelte dem Verkäufer und holte einen zerknüllten Schein aus den Taschen ihrer Jeans. Im Handumdrehen waren die beiden handelseinig geworden, hängte sie sich bei ihm unter und zog ihn weiter.