Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Stilvolle Standards

- Christian Werner über das Album „Aretha: With the Ray Bryant Combo“

Der Hochadel der Popmusik ist weniger eine Sache der angeborene­n Blaublütig­keit denn des geschickt platzierte­n (Selbst-)Marketings. Elvis gilt, klar, als DER King. Michael Jackson als King of Pop. Und Aretha Franklin? Als Queen des Soul. Was logischerw­eise ihre Kernkompet­enz beschreibt, aber nur die halbe Wahrheit ist. Denn zeitlebens blieb sie nicht nur einem Musikstil verbunden, sondern war mindestens in einer Handvoll Genre heimisch.

Ein Zustand, den sie seit Beginn ihrer Karriere praktizier­te. Bereits ihr erstes Album „Aretha: With the Ray Bryant Combo“von 1961 ist eine Sammlung von neuen Stücken und Standards aus Blues, Jazz, Soul, Musical und Gospel. Es war eine Zeit, in der das industriel­le Schubladen­denken weit gediehen war, weil die Plattenfir­men auf Zielgruppe­n und Märkte schielten, die bedient werden wollten. Oder zumindest dachte man das.

In dieser Zeit jedenfalls bot die

Frau mit der markanten Stimme dem Publikum wenig Orientieru­ng, was für eine Sängerin sie war. Jazz-Chanteuse? Rhythm-and-Blues-Girl? Oder ist sie doch im religiösen Liedgut verhaftet? Im besten Fall von jedem etwas. Franklin war damals 18 Jahre jung und bereits mit einer Stimme gesegnet, die so varianten- und facettenre­ich war, als hätte sie jahrzehnte­lange Erfahrung vorm Mikrofon.

Allein der Anfang von „Over the Rainbow“ist ein Erlebnis. Wie Franklin die bekannte Melodie aus dem Zauberer-von-Oz-Film umgarnt, zu einem Jazz-Stück umwidmet, setzte Standards. Beinahe erliegt man dem Gedanken, dass hier ein neues Lied zu Gehör gebracht oder die falsche Melodie zum richtigen Text intoniert wird. Doch am Ende der Strophe, bei dem Wort „Lullabye“, endet die Reise durch die Improvisat­ionen mit einer Punktlandu­ng.

Das Selbstbewu­sstsein der geschulten Stimme und das Vertrauen ins eigene Können muss in jungen Jahren schon groß gewesen sein, denn mit „Who needs you“wagte sie sich an ein Stück der großen Billie Holiday. Und mit „It ain’t necessaril­y so“nahm sie sich ein ebenfalls nicht ganz triviales Stück vor, im Original Teil der Gershwin-Oper „Porgy and Bess“.

Ray Bryant und seine Mannen halten die Instrument­ierung sparsam, meist bleibt es bei Gitarre, Bass und Schlagzeug. Klavier und Posaune ergänzen einige der Songs. Die Musiker stellen sich ganz in den Dienst der Stimme Franklins, die am Ende, um die stilistisc­he Verwirrung perfekt zu machen, „Today I sing the Blues“anstimmt.

Damit Sie nicht den Krisen-Blues bekommen, stellen wir vergessene, verkannte oder einst viel gehörte Alben vor.

Alle Folgen und die Playlist auf tlz.de/blog.

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