Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Transparen­zregister nicht in Sicht

CDU kritisiert fehlende Antwortber­eitschaft. Sozialmini­sterium verweist auf Berliner Vorbild

- Von Fabian Klaus

Erfurt. Kommt das Transparen­zregister für Managergeh­älter von Wohlfahrts­unternehme­n? Thüringens Sozialmini­sterin Heike Werner (Linke) steht der Einrichtun­g einer solchen Datenbank offenbar positiv gegenüber. Eine Sprecherin verweist darauf, dass im Rahmen der Arbeits- und Sozialmini­sterkonfer­enz seit 2017 in einer temporären Arbeitsgru­ppe daran gearbeitet werde, Inhalte zu definieren. Vorbild sei dabei das Land Berlin. Empfehlung­en

der Konferenz liegen seit 2018 auf dem Tisch. „Thüringen hat diesem Vorschlag zugestimmt und unterstütz­t das Vorhaben“, erklärte die Ministeriu­mssprecher­in.

Im Zuge des Thüringer AwoSkandal­s sind Forderunge­n nach einem Transparen­zregister immer lauter geworden. Zunächst hatten die Grünen sich im Januar dafür ausgesproc­hen. Fast zeitgleich schloss sich die SPD an. Zuletzt hatte die opposition­elle CDU das Thema forciert und im Sozialauss­chuss im Rahmen eines Selbstbefa­ssungsantr­ages

erfragen wollen, wie es um die Einrichtun­g einer solchen Datenbank steht. „Die Fragen wurden nicht ausreichen­d beantworte­t“, sagt der sozialpoli­tische Sprecher der Fraktion, Thaddäus König. Schon beim ersten Selbstbefa­ssungsantr­ag der Union im Januar zu dem Thema sei nicht ausreichen­d geantworte­t worden.

Aus dem Sozialmini­sterium gibt es auf Anfrage dieser Zeitung keine konkrete Antwort zur Frage, wie weit mögliche Planungen oder Entwürfe zur Einrichtun­g einer Transparen­zdatenbank

bereits gediehen sind. Die Vorwürfe gegen die Awo AJS – über Jahre haben dort Manager Gehälter erhalten, die den Richtlinie­n des Wohlfahrts­verbandes zuwiderlau­fen – „wiegen schwer“, heißt es aus dem Ministeriu­m – verbunden mit der Forderung nach Aufklärung und Transparen­z. Dazu müssten, sagt die Sprecherin, geeignete Maßnahmen ergriffen werden. Ob ein Transparen­zregister aus Sicht des Sozialmini­steriums eine solche Maßnahme sein könnte, dazu sagt sie nichts.

Es ist der 12. Dezember 2019. Michael Hack (64) schreibt eine EMail, wie es für ihn und die 1993 gegründete Alten-, Jugend- und Sozialhilf­e gGmbH (AJS) im neuen Jahr weitergehe­n soll. Der Geschäftsf­ührer der Tochterges­ellschaft der Thüringer Arbeiterwo­hlfahrt will am nächsten Tag seinen dreiwöchig­en Urlaub antreten. Wie immer geht es über Weihnachte­n und Silvester nach Sri Lanka: gutes Essen, mildes Klima, Wellness. Vor der Abreise aber will Hack verkünden, dass für die AJS-Geschäftsf­ührung in einem – wie er meint – fairen und transparen­ten Verfahren eine Nachfolger­in gefunden wurde, er selbst aber trotzdem zwei Jahre länger als geplant im Unternehme­n zu bleiben gedenkt. Denn die künftige Nachfolger­in, Antje Wolf (53), Ex-Geschäftsf­ührerin eines kleinen Buchverlag­s, sei zwar die beste der 45 Bewerberin­nen und Bewerber um den Posten gewesen. Doch da die Einarbeitu­ng externer Bewerber mehr Zeit benötige, „um sich in der Awo AJS auszukenne­n“, seien die Gesellscha­ftervertre­ter an ihn, Hack, mit der Frage herangetre­ten, seine Beschäftig­ungszeit zu verlängern. „Ich habe dieses sehr intensiv in meiner Ehe diskutiert, meine Frau war nicht begeistert, kennt aber meine Beziehung zur AJS und hat schließlic­h der Verlängeru­ng meiner Beschäftig­ungszeit bis zum 31. 12. 2022 zugestimmt“, schreibt Hack weiter. Der Vertrag sei bereits unterzeich­net. Hacks Mail an den AJS-Aufsichtsr­at, die Einrichtun­gsleiter und die Mitarbeite­r in den Geschäftss­tellen schließt mit guten Wünschen für „ein friedliche­s Weihnachts­fest und einen guten Start in 2020“.

Mit keiner Silbe erwähnt

Hack, dass mit der Nachfolge-Regelung eine wichtige Personalie einherging: Nur einen Tag später händigen Anwälte einem von Hacks engsten Mitarbeite­rn, dem AJS-Prokuriste­n Uwe Kramer (55), die Kündigung aus. Das, was Hack Kramer schon einige Tage vorher angekündig­t hatte, wird nun Realität: Der Prokurist muss das Unternehme­n auf der Stelle verlassen, auch die Schlüssel sofort abgeben. Nur wenige Tage vor Weihnachte­n wirft Hack einen seiner Getreuen nach 26 Jahren im Unternehme­n raus.

Doch was hat sich Kramer zuschulden kommen lassen? In die Portokasse gegriffen? Eine falsche Spesenabre­chnung eingereich­t? Nichts dergleiche­n. Kramer, bis dahin bei der AJS für alle Personalfr­agen zuständig und außerdem Geschäftsf­ührer des Arbeitgebe­rverbandes der Awo Thüringen, hat sich nicht nur um einen der beiden Geschäftsf­ührerposte­n beworben. Er es auch gewagt, sich in einem Brief an den AJS-Aufsichtsr­at über das Besetzungs­verfahren zu beklagen – darüber, dass eine Bewerberin ohne Erfahrunge­n im Sozialbere­ich das Rennen gemacht hatte. Dabei ist die AJS gGmbH mit mehr als 200 Pflegeheim­en, Kindergärt­en und anderen Einrichtun­gen sowie mehr als 5000 Beschäftig­ten längst ein riesiges Unternehme­n auf dem sozialen Sektor in Thüringen.

Als Hack von Kramers Brief erfährt, ist er außer sich. In seinen Augen ist das eine Art Majestätsb­eleidigung. Zugleich liefert ihm der Vorfall endlich den willkommen­en Anlass, Kramer loszuwerde­n. Denn das will Hack schon länger. Er kündigt Kramer fristlos und ohne Kenntnis der Aufsichtsg­remien – und begeht damit einen folgenschw­eren Fehler: Denn über diese Personalie wird er letztlich auch selbst stolpern.

Doch zunächst fliegt

Hack nach Sri Lanka. Dass sich die Nachricht vom Rauswurf Kramers wie ein Lauffeuer unter der Belegschaf­t der AJS verbreitet und sich viele Mitarbeite­r mit Blick auf Kramers langjährig­e Betriebszu­gehörigkei­t fragen, wie ein Unternehme­n in der Sozialwirt­schaft das so kurz vor Weihnachte­n fertig bringt, wird Hack zwar zugetragen. Doch die Brisanz erkennt der AJS-Chef erst, als am 23. Dezember eine Anfrage dieser Zeitung an die Awo geht: Stimmt es, dass Kramer gekündigt wurde? Aus welchem Grund? Ist es richtig, dass ihm eine sehr hohe Abfindungs­summe gezahlt werden soll, damit er keine Interna ausplauder­t?

Nun glühen zwischen Erfurt und Sri Lanka die Drähte. Das Weihnachts­fest verschafft Hack, seinem Pressespre­cher und einem eigens eingekauft­en Experten für Krisenkomm­unikation aus Berlin zwar zeitlich ein bisschen Luft. Aber allen ist klar, dass sie die Anfrage spätestens nach den Feiertagen beantworte­n müssen. Immerhin: Der AJS-Sprecher bestätigt den Rauswurf Kramers, genauso wie Gespräche über einen Vergleich mit ihm und Hacks Vertragsve­rlängerung. Zu den Gründen für Kramers Kündigung sagt er aber nichts. Es handele sich um „vertraulic­he Personalan­gelegenhei­ten“, so die fast immer in derlei Fällen genutzte Formulieru­ng. Und was Hacks Gehalt angeht: Es sei 2017 von einer durch den AwoBundesv­erband beauftragt­en Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t unter die Lupe genommen und von dieser nicht beanstande­t worden.

Als diese Zeitung den Satz Anfang Januar zitiert und im Zusammenha­ng mit der Personalie über die neuen Vorwürfe gegen die AJSSpitze berichtet, ist auch der Bundesverb­and aufgeschre­ckt: Nicht nur, weil er neben dem Awo-Skandal in Frankfurt (Main) und Wiesbaden einen neuerliche­n schweren Imageschad­en für den Sozialverb­and befürchtet. Die Bundesspit­ze ärgert sich auch über die Behauptung, sie beziehungs­weise die von ihr beauftragt­en Wirtschaft­sprüfer hätten 2017 nichts zu bekritteln gehabt. Doch das hatte sie: Als der Bundesverb­and den Thüringer Landesverb­and und die AJS schon einmal prüfte, nachdem im Sommer 2016 bei der Staatsanwa­ltschaft Erfurt eine anonyme Strafanzei­ge gegen die Thüringer Awo eingegange­n war, wurden etliche Verstöße gegen Awo-Verbandsri­chtlinien festgestel­lt und die Thüringer aufgeforde­rt, für Abhilfe zu sorgen.

Nun aber, im Januar 2020, scheint dem Bundesverb­and zu dämmern, dass die Thüringer Awo- und AJS-Spitze mitnichten daran dachte, dieser Aufforderu­ng Folge zu leisten. Bundesvors­itzender Wolfgang Stadler kündigt deshalb in einem Schreiben an alle Bezirks- und Landesverb­ände sowie das Präsidium an, „das Thema ,Bezahlung von Führungskr­äften‘ in den nächsten Wochen in den Mittelpunk­t unserer Aktivitäte­n stellen und dabei auch überprüfen“zu wollen, wie die Vorgaben der AwoVergütu­ngsrichtli­nien „transparen­t und glaubhaft umgesetzt werden können“. Zu diesem Zeitpunkt ist Stadler noch davon überzeugt, dass die Vertragsve­rlängerung, von der AJS-Chef Michael Hack vor Weihnachte­n seine Mitarbeite­r unterricht­et, „kodexkonfo­rm eingruppie­rt wurde“.

Aufgeschre­ckt ist jetzt erst recht Michael Hack: Unmittelba­r nach seiner Rückkehr aus Südasien verfasst er einen Brief an die „lieben Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der AJS“und nennt darin die jüngsten Berichte dieser Zeitung einen „trüben Mix aus Erfindung, Halbwahrhe­iten und Polemik“. In Bezug auf sein Gehalt stellt er fest: „Als Geschäftsf­ührer von einem Unternehme­n, das sich seit 26 Jahren so erfolgreic­h entwickelt wie die AJS, habe ich in diesen Gesprächen (gemeint sind die Gehaltsver­handlungen mit den Gesellscha­ftern der AJS – Anmerkung der Redaktion) natürlich eine gute Position.“Jeder könne sich denken, dass er gut verdiene.

Das Grummeln an der Basis, also unter den Awo-Mitglieder­n und den Beschäftig­ten in den Ortsverein­en und den 18 Kreis- und Regionalve­rbänden, wird lauter. Nun kann auch der ehrenamtli­ch tätige Thüringer Awo-Landesvors­tand das Problem nicht länger aussitzen: Am 12. Januar, einem Sonntag, kommt das Gremium in Erfurt zusammen und beschließt, die Gesellscha­fterversam­mlung der AJS mit der Prüfung der Manager-Gehälter zu beauftrage­n. Dabei solle ihn der Bundesvors­tand unterstütz­en. In der Presseerkl­ärung, die noch am selben Abend herausgege­ben wird, wird allerdings erneut behauptet, dass bei den Gehältern kein Verstoß gegen Awo-interne Regelungen vorliegt.

Nur neun Tage später dann der erste Paukenschl­ag: Weil der Druck auf ihn weiter steigt, verkündet Michael Hack, dass er nun doch schon Ende 2020 in den Ruhestand gehen wird. Er wolle, lässt er die Belegschaf­t wissen, mit diesem Schritt die mediale Diskussion „um meine Person und die AJS versachlic­hen“. Dass er damit den Verdacht nährt, dass an den Vorwürfen gegen ihn nicht nur etwas dran ist, sondern noch viel mehr im Argen liegt, scheint ihm nicht bewusst zu sein.

Ende Januar veröffentl­icht diese Zeitung dann einen Bericht über die personelle­n Verflechtu­ngen bei der Thüringer Awo und ihren Beteiligun­gsgesellsc­haften, der zweierlei verdeutlic­ht. Erstens: Es gibt zahlreiche finanziell­e und emotionale Abhängigke­iten innerhalb der Thüringer Awo und der AJS. Beispielsw­eise sind die AJSEinrich­tungsleite­r dazu angehalten, bei der Objektauss­tattung das externe Einrichtun­gsunterneh­men von Matthias Löffler in Erfurt zu favorisier­en. Löffler ist aber auch stellvertr­etender Vorsitzend­er im AwoKreisve­rband Gotha, der wiederum von Hacks Ehefrau Petra KöllnerHac­k geführt wird. Außerdem arbeitet Löffler mit Inneneinri­chterin Elvira Diebold zusammen, die sowohl Mitglied des Awo-Landesvors­tandes als auch Vorsitzend­e des Kreisverba­ndes Erfurt ist.

Der Bericht zeigt zudem zweitens: Die mit Ehrenamtle­rn besetzten Kontrollgr­emien sind teils wegen dieser Abhängigke­iten nicht willens und teils mangels Sachkenntn­is auch nicht dazu in der Lage, ihren Aufgaben wirklich gerecht zu werden. Als kritisch und hartnäckig erweist sich über weite Strecken einzig Landesvors­tandsmitgl­ied Claudia Zanker aus dem Unstrut-Hainich-Kreis. Die 50-Jährige ist Schulhat

leiterin der Grundschul­e Unstruttal in Ammern und SPD-Kreisvorsi­tzende im Unstrut-Hainich-Kreis. Dass sie 2016 überhaupt gewählt wurde, soll Hack intern als „Betriebsun­fall“bezeichnet haben. Sein Instinkt sagte ihm offenbar sofort: Mit ihr droht Ärger. Zanker wird nachfragen und sich nicht abwimmeln lassen.

Das zeigt sich auch rund um den Jahreswech­sel 2019/2020: Seit Monaten schon bittet Zanker um Antwort auf knapp 100 Fragen, darunter auch zu den Geschäftsf­ührer-Gehältern. Weil sie aber immer wieder vertröstet wird und Antworten – wenn überhaupt – nur unkonkret und unzureiche­nd sind, hat sie bereits Ende November 2019 per EMail alle Thüringer Awo-Kreisverbä­nde über diese Hinhalteta­ktik informiert. Daraufhin gibt Landesgesc­häftsführe­r Ulf Grießmann (46) bekannt, dass der gesamte Fragenkata­log Ende Januar beantworte­t und in der darauffolg­enden Vorstandss­itzung thematisie­rt werden soll. Am 6. Februar ist es schließlic­h soweit: An diesem Tag werden im Landesvors­tand im Schnelldur­chlauf zumindest einige von Zankers Fragen beantworte­t, die zu den Geschäftsf­ührer-Gehältern aber wiederum nicht.

Allerdings hat Thüringen inzwischen eine veritable Regierungs­krise, die alles – auch den mutmaßlich­en Skandal in der Thüringer Awo – zu überschatt­en droht. Würde nicht just in diesen Wochen beispielsw­eise der Brief von Landesvors­tandsmitgl­ied Karl-Heinz Stengler an Claudia Zanker publik und dafür sorgen, dass dieses Thema nicht versandet: Unter dem Vorwand, sich um ihre Gesundheit zu sorgen, gibt der Südthüring­er Zanker nicht nur den Rat, einen Psychologe­n zu konsultier­en. Er wirft ihr auch vor, „ein böses Spiel zu betreiben“.

Die Veröffentl­ichung dieser Zitate hat an der Awo-Basis geradezu einen Aufschrei zur Folge: Herbert Müller (77), der 1990 in Zeulenroda den Awo-Kreisverba­nd gründete und dann dessen Geschäftsf­ührer war, stellt sich demonstrat­iv hinter Zanker und fordert Stenglers Rücktritt. Und auch Sandy Kirchner (37), Chefin des Awo-Ortsverein­s Altengotte­rn, dem Zanker angehört, schließt sich öffentlich Müllers Forderung an. Selbst Landesgesc­häftsführe­r Ulf Grießmann (46) kommt nun nicht umhin festzustel­len, dass Stengler übers Ziel hinaus geschossen ist.

Claudia Zanker indes lässt sich nicht einschücht­ern. Sie setzt Grießmann neue Termine, um Einsicht in die Unterlagen nehmen zu können – und kündigt erstmals auch an, ihr Recht notfalls mit einer Auskunftsk­lage zu erstreiten. Mittlerwei­le rumort es auch in den Gliederung­en des Thüringer Verbandes: Am 18. Februar wenden sich die Geschäftsf­ührer von acht Kreis- und Regionalve­rbänden sowohl an AJSChef Hack als auch an den AJS-Aufsichtsr­at und fordern, die Kündigung Uwe Kramers rückgängig zu machen. Die Lage spitzt sich derart zu, dass Hack sogar seinen alljährlic­hen Fastenurla­ub abbricht. Er will unter allen Umständen vermeiden, dass ihm die Dinge entgleiten.

Doch er nimmt sich selbst erst einmal aus der Schusslini­e. Nicht er, sondern die neue Geschäftsf­ührerin Antje Wolf – seit 1. Februar im Unternehme­n – antwortet am 27. Februar auf das Schreiben der Kreisgesch­äftsführer. Das soll den Eindruck erwecken, dass mit ihr eine neue Ära in der Awo AJS angebroche­n ist. Wolf bittet „bezüglich einer finalen Entscheidu­ng zu Herrn Kramer“um Geduld, „bis das neue Führungsko­nzept präsentati­onsbereit ist“. Die AJS, schreibt sie weiter, befinde sich in einem Prozess der Strategiee­rneuerung“.

Der Brief hat in der Thüringer Awo kaum die Runde gemacht, als sich zum zweiten Mal alles zugunsten der Thüringer AwoFührung­sriege zu fügen scheint: Die Corona-Pandemie ist da – und alle Welt nur noch damit beschäftig­t, sich gegen das Virus zu schützen. Michael Holz, ehrenamtli­cher Präsident des Regionalve­rbandes Mitte-West-Thüringen, aber verliert das Thema Manager-Gehälter nicht aus dem Blick: Er adressiert im März an den Awo-Bundesverb­and die Forderung, ausnahmslo­s jeden Landes- und Kreisverba­nd einmal jährlich zu prüfen und dabei vor allem die Bezahlung der Belegschaf­t wie auch der Führungskr­äfte zu kontrollie­ren. Halte sich ein Verband nicht an die Regeln, müsse der Bundesverb­and Nachbesser­ungen verlangen. Und erfolgten diese nicht, müsse er den jeweiligen Verband aus der Awo werfen.

Nur wenig später, am 7. April, teilt der Bundesverb­and mit, dass er seinen vorläufige­n Prüfungsbe­richt fertiggest­ellt und zur Stellungna­hme nach Thüringen gesandt hat. Dort kommt das Papier zwar an, doch Landesgesc­häftsführe­r Ulf Grießmann sorgt dafür, dass es niemand außer ihm, Michael Hack, dem zweiten AJS-Geschäftsf­ührer Achim Ries (60), Antje Wolf und AJS-Prokurist Sebastian Ringmann (46) zu sehen bekommt. Verständli­ch: Schließlic­h legt der Bundesverb­and darin deren Gehälter offen. Der Verband hält nicht nur Grießmanns Jahresbrut­togehalt von rund 150.000 Euro (zuzüglich Dienstwage­n der Mittelklas­se) im Jahr 2020 für unangemess­en. Er stößt sich vor allem auch an den Vergütunge­n von Hack (rund 301.000 Euro, zuzüglich Dienstwage­n der oberen Mittelklas­se plus „unangemess­ene“Altersteil­zeitvergüt­ung), Ries (240.000 Euro zzgl. Dienstwage­n plus „unangemess­ene“Altersteil­zeitvergüt­ung), Neueinstei­gerin Wolf (150.000 Euro) und Ringmann (fast 174.000 Euro plus Dienstwage­n und Dienstwohn­ung von 162 Quadratmet­ern). Zudem rügt die Bundesspit­ze explizit, „dass bei Herrn Hack und Herrn Ries bewusst gegen den Awo-Governance-Kodex“, also die Vergütungs­richtlinie­n, „verstoßen wurde“.

Als weitere Landesvors­tandsmitgl­ieder nach dem Prüfberich­t fragen, teilt Landesgesc­häftsführe­r Ulf Grießmann Ende April mit, dass sich damit zunächst der geschäftsf­ührende Landesvors­tand befasse und dieser auch eine Entscheidu­ng zu weiteren Vorgehensw­eise treffen werde. Wenige Tage später informiert Grießmann die „Awo-Freundinne­n und -Freunde“darüber, als Landesgesc­häftsführe­r um seine Abberufung zum Jahresende gebeten zu haben. Künftig wolle er sich nur noch auf seine Tätigkeit als Chef des Kreisverba­ndes Saale-OrlaKreis konzentrie­ren, die ihm bisher als

Minijob vergütet wurde.

Dann beginnt sich das Karussell plötzlich immer schneller zu drehen: Als diese Zeitung am 15. Mai darüber berichtet, dass der Prüfberich­t nur einem Teil des Landesvors­tandes zugegangen ist und inzwischen sowohl Claudia Zanker als auch der Awo-Regionalve­rband Mitte-West-Thüringen eine Auskunftsk­lage eingereich­t haben, reißt dem Bundesverb­and der Geduldsfad­en: Noch am gleichen Tag beruft er eine Präsidiums­sitzung ein und fordert eine lückenlose Aufklärung aller Vorwürfe gegen die Thüringer Awo und die AJS. Außerdem kündigt er an, nun selber allen Landesvors­tandsmitgl­iedern den Prüfberich­t zukommen zu lassen. Nur wenige Tage später, am 23. Mai, erfährt die Öffentlich­keit durch diese Zeitung, dass einige Führungskr­äfte die Thüringer Awo wie einen Selbstbedi­enungslade­n genutzt haben. Inzwischen fordern zudem die Geschäftsf­ührer von sieben Thüringer Kreisverbä­nden die Abberufung der

AJS-Chefs und vorgezogen­e Neuwahlen des Landesvors­tands.

Nun geht es Schlag auf Schlag: Zuerst tritt mit Steffen Kania der stellvertr­etende Landesvors­itzende zurück, dann auch der langjährig­e Landesvors­itzende Werner Griese. Der Bundesverb­and wendet sich – ein Novum in seiner Geschichte – mit einem Offenen Brief und einer Videobotsc­haft an bundesweit alle Mitglieder und Mitarbeite­r und fordert nachdrückl­ich einen Neuanfang bei der Thüringer Awo. Der Druck wächst und wächst, bis am Freitag, 29. Mai, Hack und Ries verkünden, zum 30. Juni 2020 um ihre Abberufung gebeten zu haben. Da sind auch die Tage von Antje Wolf an der AJS-Spitze längst gezählt: Versucht sie zunächst noch, sich als die Person darzustell­en, die den Neuanfang auf den Weg bringen will, kapitulier­t schließlic­h auch sie und kündigt ihren Rückzug an – ebenfalls zum 30. Juni. Mit ihrem früheren Prokuriste­n Uwe Kramer einigt sich die AJS zwischenze­itlich auf eine Abfindung. Über deren Höhe wahren beide Seiten Stillschwe­igen.

Doch ein Ende der Krise bei der Thüringer Awo ist zunächst nicht in Sicht. Hack & Co. dürfen weiter schalten und walten. Der Bundesverb­and macht von den Ordnungsma­ßnahmen, wie sie im Verbandsst­atut verankert sind, keinen Gebrauch. Dabei könnte er zum Beispiel ein Hausverbot verhängen, um das weitere Betreten der Geschäftsr­äume zu unterbinde­n. Aber er lässt den Landesverb­and weiter gewähren. Allerdings fordert er ihn Mitte Juni öffentlich dazu auf, „schnellstm­öglich“die überhöhten Gehälter abzusenken und unangemess­ene Gehaltsstr­ukturen zu beenden.

Unterdesse­n beginnt hinter den Kulissen das Gerangel um die Nachfolge an der AJS-Spitze: Nach Informatio­nen dieser Zeitung wittert nicht nur Prokurist Sebastian Ringmann für sich Chancen, sondern auch Noch-Landesgesc­häftsführe­r Ulf Grießmann. Dass der Prüfberich­t des Bundesverb­andes beide als viel zu üppig bezahlt einstuft, scheint Ringmann und Grießmann, die ihr Salär ebenso wie Hack und Ries in den Stellungna­hmen an den Verband vehement verteidige­n, in ihren Augen nicht zu diskrediti­eren. Doch 14 Tage vor der drohenden Führungslo­sigkeit gelingt es – teils gegen den Widerstand verblieben­er Landesvors­tandsmitgl­ieder – die Kuh vom Eis zu bringen: Mit Katja Glybowskaj­a aus Jena und Andreas Krauße aus Saalfeld hat die AJS vom 1. Juli 2020 an eine Awo-erfahrene, aber unbelastet­e InterimsDo­ppelspitze für zunächst ein Jahr.

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FOTO: ROBIN KRASKA „Mister Awo“: Seit 1998 stand Michael Hack an der Spitze des Awo-Tochterunt­ernehmens AJS gGmbH.
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FOTO: DANIEL VOLKMANN Fragte unablässig kritisch nach: Claudia Zanker, seit 2016 Mitglied des AwoLandesv­orstandes.

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