Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
„Nordadler“-Haus ungenutzt
Immobilie der rechtsextremen Gruppe im März noch als aktiv bewertet
Mackenrode/Erfurt. Das nächste Verbot einer rechtsextremen Vereinigung: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat am Dienstag die Gruppe „Nordadler“verboten. Mit dem Erlass gingen Durchsuchungen in mehreren Bundesländern einher – allerdings nicht in Thüringen.
Dabei hatte das Thüringer Innenministerium erst im März auf eine Parlamentarische Anfrage der Linke-Abgeordneten Katharina KönigPreuss erklärt, dass ein Objekt der Gruppe „Nordadler“im Ort Mackenrode (Landkreis Nordhausen) fortlaufend genutzt werde. Stand der Erkenntnisse, so steht es in der
Antwort, sei der 12. März. KönigPreuss bezeichnete das Verbot als „richtig, kommt jedoch zu spät“. Sie kritisierte außerdem, dass in dem Zuge keine Durchsuchungen in Mackenrode stattgefunden hätten.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte mit Blick auf das gerade noch als in der Nutzung gekennzeichnete Grundstück auf Anfrage dieser Zeitung: „Das in der Antwort des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales [...] genannte Grundstück in Thüringen wurde vom Verein ‘Nordadler’ zum aktuellen Zeitpunkt nicht mehr genutzt.“Nach Informationen dieser Zeitung soll eine Frau als Eigentümerin des Hauses eingetragen sein, die ebenfalls der Gruppe zugerechnet wird. Sie soll aber dort nicht wohnen. Das Gebäude sei, heißt es überdies aus Thüringer Sicherheitskreisen, ohne Strom und Wasser und verfallen, „der Traum vom rechtsextremen Siedlungsprojekt ist geplatzt“.
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) begrüßte das Verbot der Gruppe. Auf Anfrage erklärte er, dass man darin erkennen könne, dass auf Ankündigungen, konsequent gegen rechtsextreme Umtriebe vorzugehen, auch Taten folgten. Erst in der vergangenen Woche hatten sich die Innenminister von Bund und Ländern in Erfurt auf einen weiteren konsequenten Kampf gegen Rechtsextremismus verständigt.
Berlin. Die Polizeibeamten rücken in den frühen Morgenstunden an. Zeitgleich durchsuchen sie in vier Bundesländern „Objekte“der rechtsextremistischen Vereinigung „Nordadler“. Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat sie am Dienstag verboten. Im rechten Milieu ist es das dritte Verbot in diesem Jahr. Und ein Erkennungszeichen: Seehofers Kernaufgabe ist die innere Sicherheit, der Kampf gegen Extremisten.
Eigentlich wollte er an diesem Tag auch den Verfassungsschutzbericht vorstellen. Derweil hat ein Berliner Gericht befunden, dass die „Ziele der Identitären Bewegung“der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entgegenstünden. Das Urteil ist für das Ministerium wie für das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Kursbestätigung.
Es hätte ein guter Tag werden können. Es kommt anders. Der CSU-Mann sagt alle Termine ab. Er schweigt stundenlang. Noch am Abend – zur Drucklegung dieser Zeitung – hält die Funkstille an. Was ist bloß los? „Er ist angesäuert“, erzählt ein Vertrauter. Es gibt – kaum kaschiert – Differenzen zwischen ihm und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Frage, ob ein Kabinettsmitglied Strafanzeige gegen eine „taz“-Journalistin stellen soll, weil sie die Polizei als Müll kategorisiert hat. Seehofer hat drei Möglichkeiten. Der Minister zieht die Anzeige gegen Merkels Willen durch. Oder er gibt nach, beugt sich ihrer Richtlinienkompetenz, freilich um den Preis der Selbstverleugnung. Letzter Ausweg: Rücktritt. Dies ist die Geschichte einer Selbstblockade.
Einer wie Seehofer stürmt gern voran, er kann spontan sein und ist kein Jurist, was in diesem Fall manches erklärt. Der „Erfahrungsjurist“(Seehofer über Seehofer) hat erst laut über eine Anzeige nachgedacht und danach seine Pläne bekräftigt. Wenn er nun zurückzieht, ist es für ihn schwer, das Gesicht zu wahren. Was würden seine Beamten denken oder die Innenminister der Länder?
Es ist in kürzester Zeit viel passiert, was den heiligen Zorn des obersten Dienstherrn der Sicherheitsbehörden verständlich macht: Das Berliner Antidiskriminierungsgesetz, von vielen Polizisten als Misstrauenserklärung empfunden, der Müll-Artikel, zuletzt die Attacken auf Beamte bei Krawallen in Stuttgart. Es geht um Vorurteile gegenüber der Polizei und verletzten Stolz, den der Beamten und den ihres Dienstherrn. Jemand muss ein Zeichen setzen.
Die Satire erinnert an den Fall Böhmermann
Seine Amtskollegen teilen seine Empörung über den Artikel, überlassen Seehofer aber bereitwillig den Klageweg. Zum einen liegen ohnehin viele Anzeigen vor – warum sollen sie noch eine hinzufügen? Zum anderen können Juristen die Erfolgsaussichten einschätzen. Beim Artikel geht es um einen Meinungsbeitrag, der sich nachträglich in eine satirische Schmähkritik umdeuten lässt. Es erinnert an den Fall Böhmermann. Der hatte den türkischen Regierungschef Erdogan verunglimpft. Der Türke klagte. Die Staatsanwaltschaft Mainz stellte letztlich das Verfahren ein, weil sie keine „strafbaren Handlungen“nachweisen konnte und eine Satire keine Beleidigung, sondern nur eine „Überzeichnung“sei. Ein ähnlicher Ausgang droht dem Verfassungsminister. Plus einen Shitstorm im Netz (schon da) und eine Welle der medialen Empörung.
Niemand kann mit letzter Sicherheit sagen, ob Seehofer das Ende seiner Klageandrohung bedacht hat. Merkel hat es bestimmt getan – und den Minister zum Gespräch gebeten, wie ihr Regierungssprecher bestätigte. Damit ist klar: Über eine Strafanzeige kann der Minister nicht allein entscheiden. Es geht nicht um die Privatperson Seehofer. Es geht auch um das Ansehen des Kabinetts.
Seehofer ist seit Jahrzehnten in der Politik und keineswegs abgestumpft. Er weiß zum Beispiel, dass die Macht – und damit die Mächtigen – einer Begrenzung bedarf. Aber als bayerischer Ministerpräsident waren die Rollen jahrelang klar verteilt. Als er 2018 nach Berlin geht, wechselt auch die Perspektive. Nun muss er sich der Kabinettsdisziplin unterwerfen. Als er mit Merkel in einer Detailfrage der Grenzpolitik aneinandergerät und die Richtlinienkompetenz seiner Kanzlerin zu spüren bekommt, sagt er 2018 kurzerhand alle Termine ab, damals die Vorstellung eines Migrationsplans. Es ist das gleiche Verhaltensmuster wie heute: schweigen, grollen, Krisengespräche. Nur mühsam kann die CSU ihm einen Rücktritt ausreden.
Auf dem Höhepunkt des Streits über die Flüchtlingspolitik sagte er 2015 einmal zu Merkel: „Angela, ich bin zäh.“Sie schaute ihm in die Augen und erwiderte: „Ich auch.“Wenn sich Alphatiere streiten, kann eine Auseinandersetzung leicht eskalieren, zumal es in diesem Fall um Grundsatzfragen wie die Pressefreiheit oder die Richtlinienkompetenz geht.
„Angela, ich bin zäh.“„Ich auch“
Weil der Auslöser, eine Kolumne in einer kleinen Zeitung, relativ bedeutungslos erscheint und Seehofer sich in Schweigen hüllt, wird vielfach nach anderen Erklärungen gesucht. Kann es sein, dass Ministerium und Verfassungsschutzamt über Kreuz liegen? Eher nicht. Der Jahresbericht wurde schon im Dezember 2019 abgestimmt. Auch der Hinweis auf das Berliner Urteil zur Identitären Bewegung geht ins Leere; schon deshalb, weil es vom vergangenen Freitag ist. Die Prozessbeteiligten wussten davon, nur die Öffentlichkeit wurde gestern informiert. Die Vorstellung des Verfassungsschutzberichts stand mitnichten unter einem gerichtlichen Vorbehalt.
Bis zum Beweis des Gegenteils ist die einfachste Erklärung die plausibelste: Der Minister findet keinen Ausgang aus der Schmollecke. Der Koalitionspartner hat dafür kein Verständnis. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil zählt auf: der Mord an Walter Lübcke, die Gewalt gegen Polizisten, die steigende Zahl von Extremisten. „Es gibt also wirklich genug zu tun, womit Herr Seehofer sich profilieren könnte“, sagt er unserer Redaktion. Das Verhalten des Innenministers sei „nicht besonders souverän“.
„Das ist nicht besonders souverän.“
Lars Klingbeil, SPD-Generalsekretär