Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Hochexplosives Mahnmal
7000 Nordhäuser nach Blindgängerfund evakuiert. Die Bombe überrascht selbst erfahrenen Sprengmeister
Nordhausen. Die Entschärfung ist geglückt. 20.52 Uhr am Montagabend verkündet Nordhausens Stadtsprecher den Satz, den rund 7000 Menschen über Stunden sehnlichst erwarteten. Binnen 14 Tagen mussten sie nach einem Blindgängerfund an einer Baustelle am Theater bereits zum zweiten Mal ihre Zuhause verlassen.
Und doch könnten die Schreckensstunden auch etwas Positives haben, könnten einen Baustein städtischer Erinnerungskultur zutage gefördert haben: Auch eine Stunde nach der Entschärfung blickt Sprengmeister Andreas West mit Staunen auf den 227 Kilogramm schweren Blindgänger US-amerikanischer Produktion. Schon das ist verwunderlich – war es doch die britische Air Force, die Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardierte. Dafür jedoch hat West eine einfache Erklärung: Die Bomben beider alliierten Nationen seien mit unterschiedlichen Aufhängungen auf Ober- und Unterseite für den Austausch konstruiert worden.
Was West dagegen staunen lässt, ist der gute Zustand. Anders als sonst ist nur die Oberseite verwittert. Die intakte Hülle verrät selbst das Produktionsdatum im Januar 1945. Womöglich, so West, sei dies Grund ihres Versagens: „Vielleicht kam es unter dem erhöhten Produktionsdruck der letzten Kriegswochen
zu Fertigungsfehlern.“Zu erkennen ist außerdem eine Art aufgedrucktes Siegel, das er noch nicht kenne und deuten könne. Er wolle dies recherchieren.
Selbst für das erfahrene Räumkommando ist der gute Zustand also ein seltener Anblick, der West am Montagabend zu einer Idee animiert: Die rund 120 Kilogramm Sprengstoff im Inneren der Bombe ließen sich entfernen, um die Hülle als Erinnerungsstück oder Mahnmal an die Stadt zu übergeben, so sein Vorschlag. Nordhausens Oberbürgermeister Kai Buchmann (parteilos) wirkt nicht abgeneigt angesichts dieses „faszinierenden“Fundes, der den Schrecken der Bombardierung so greifbar mache.