Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Rückkehr in den Lockdown

Nach dem Ausbruch in der Tönnies-Fleischfab­rik treten für hunderttau­sende Menschen in Nordrhein-Westfalen wieder Pandemie-Auflagen in Kraft

- Von Alessandro Peduto

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Berlin. Die Bewohner der benachbart­en Landkreise Gütersloh und Warendorf in Nordrhein-Westfalen sind nun also die Ersten – und es fühlt sich gewiss nicht gut an. Wegen der hohen Zahl von Corona-Infizierte­n nach einem Ausbruch in der Tönnies-Fleischfab­rik wird erstmals in Deutschlan­d das öffentlich­e Leben wieder herunterge­fahren. Nur wenige Wochen nach Aufhebung der Pandemie-Auflagen gelten damit erneut strenge Schutzmaßn­ahmen – und das ausgerechn­et kurz vor den Sommerferi­en in Nordrhein-Westfalen. Sie beginnen am kommenden Montag.

Rund 370.000 Menschen leben im Landkreis Gütersloh, knapp 280.000 sind es nebenan im Kreis Warendorf. Mehr als 1952 Menschen in der Region haben sich bislang nachweisli­ch mit Corona angesteckt. Mit dem regionalen Lockdown wird nun das öffentlich­e Leben erneut erheblich eingeschrä­nkt.

„Das, was wir hier machen, haben wir in Deutschlan­d noch nicht erlebt.“

Armin Laschet (CDU), Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen

Es ist dem nordrhein-westfälisc­hen Ministerpr­äsidenten Armin Laschet (CDU) am Dienstagvo­rmittag beim Gang vor die Presse deutlich anzusehen, dass ihm diese Ankündigun­g schwer fällt. „Das, was wir hier machen, haben wir in Deutschlan­d noch nicht erlebt“, sagt Laschet, „wir machen das aus Vorsicht, um Sicherheit zu haben“. Es ist Laschet, der zunächst die Maßnahmen für den Kreis Gütersloh ankündigt. Wenige Stunden später gibt NRW-Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU) den Lockdown auch für die Region Warendorf bekannt.

Kritiker aus der Bundespoli­tik, teils auch aus Laschets eigenen Partei, hätten sich von der Landesregi­erung dagegen schon ein früheres Herunterfa­hren des öffentlich­en Lebens in den betroffene­n Gebieten gewünscht. Laut einer Vereinbaru­ng zwischen Bund und Ländern vom Mai ist die erneute Verhängung von Coronaaufl­agen möglich, wenn in Städten oder Landkreise­n die Zahl der Neuinfekti­onen sieben Tage in Folge bei 50 pro 100.000 Einwohner liegt. Im Raum Gütersloh sind es 257,4 Neuinfekti­onen im entspreche­nden Zeitraum, wie aus der aktuellen Statistik des RobertKoch-Instituts (RKI) hervorgeht. In Warendorf sind es mit 68,4 Neuinfekti­onen

auf 100.000 Einwohner zwar deutlich weniger. Trotzdem ist die kritische Grenze überschrit­ten.

Auflagen gelten für zunächst eine Woche

Nun also ist der Lockdown da. Wieder dürfen die Menschen sich im öffentlich­en Raum nur noch mit Personen des eigenen Hausstands bewegen oder zu zweit mit einer Person von außen. Sport in geschlosse­nen Räumen ist erneut verboten, Kinos und Bars müssen wieder schließen. Die Auflagen gelten von Mittwoch an und für zunächst eine Woche. Sie können aber je nach Pandemieve­rlauf auch länger in Kraft bleiben. Laumann betont, ohne die neuen Maßnahmen „wären die Belastunge­n am Ende womöglich um ein Vielfaches höher“.

Die Landesregi­erung hat in der Region zudem eine massive Ausweitung der Coronatest­s auf Bewohner und Beschäftig­te in Pflegeeinr­ichtungen angekündig­t. Auch bei Mitarbeite­rn der Krankenhäu­ser, bei Beschäftig­ten im Lebensmitt­eleinzelha­ndel und bei Kioskperso­nal sollen Abstriche genommen werden. Zudem sollen nach den Tönnies-Mitarbeite­rn nun auch weitere Beschäftig­te von Unternehme­n

und Subunterne­hmen untersucht werden, die in der Region in Sammelunte­rkünften leben.

Bewohner der beiden Landkreise dürfen die Region zwar verlassen. Es herrsche keine Reisebesch­ränkung. Laschet appelliert­e aber an die Menschen, sich innerhalb der Kreisgrenz­e zu bewegen. Der SPDGesundh­eitsexpert­e Karl Lauterbach hatte gewarnt, durch den Beginn der Reisesaiso­n könnte sich das Virus aus der betroffene­n Region über Deutschlan­d und darüber hinaus ausbreiten. Eine zweite Infektions­welle könne die Folge sein.

Diese Befürchtun­g scheint man auch in Bayern zu haben. Dort dürfen Hotels, Pensionen und andere Beherbergu­ngsbetrieb­e vorerst keine Gäste mehr aus dem Landkreis Gütersloh und aus anderen Kreisen mit hohen Corona-Infektions­zahlen aufnehmen, wie der bayerische Staatskanz­leichef Florian Herrmann (CSU) bekannt gab. Er verwies auf Erfahrunge­n nach den Faschingsf­erien, als viele infizierte Urlauber aus Österreich das Virus nach Bayern einschlepp­ten. Der Berliner Virologe Christian Drosten befürchtet nach den jüngsten Corona-Ausbrüchen eine unbemerkte Ausbreitun­g des Corona-Virus in die Bevölkerun­g. Die Verbreitun­g über die Region hinaus zu verhindern, sei jetzt das Entscheide­nde, sagte der Charité-Wissenscha­ftler im NDR-Podcast. Schon jetzt ist aus Sicht des Virologen große Vorsicht geboten, dass sich keine zweite Welle entwickelt. „In zwei Monaten, denke ich, werden wir ein Problem haben, wenn wir nicht jetzt wieder alle Alarmsenso­ren anschalten“, warnt Drosten.

Deutschlan­ds größter Schlachtbe­trieb Tönnies reagiert auf die Corona-Ausbrüche in seiner Fleischfab­rik sowie auf die Kritik an der großen Zahl an Werksanges­tellten. Bis Ende 2020 sollen alle Werkverträ­ge „in allen Kernbereic­hen der Fleischgew­innung“abgeschaff­t und die Mitarbeite­r in der Tönnies-Unternehme­nsgruppe eingestell­t werden, wie Tönnies am Dienstag mitteilte. Tönnies-Konkurrent Westfleisc­h kündigte ebenfalls an, bis Jahresende alle Mitarbeite­r selbst einzustell­en. Derweil gibt es neue Corona-Fälle bei Schlachtho­fmitarbeit­ern in Niedersach­sen. Betroffen ist ein Betrieb bei Oldenburg, der Produkte für „Wiesenhof“herstellt. Dort wurden 23 Mitarbeite­r positiv auf Sars-CoV-2 getestet.

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FOTO: S. GALLUP/GETTY IMAGES Nach dem Corona-Ausbruch unter Beschäftig­ten der Tönnies-Fleischfab­rik im Kreis Gütersloh laufen in der Region Massentest­s.
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FOTO: DPA NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet erklärt den Lockdown.

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