Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Mit fünf Millionen Euro in die Freiheit
Wirecard-Chef Markus Braun gegen Kaution auf freiem Fuß - Was wusste der Dax-Manager über den Betrug?
Berlin. Vergangenen Donnerstag erklärte der bisherige Chef des Zahlungsdienstleisters Wirecard, Markus Braun, dass sein Unternehmen möglicherweise „in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes“geschädigt worden sei. Er wagte die Flucht nach vorne, Wirecard kündigte Strafanzeige gegen unbekannt an. Hatte also jemand die auf zwei Treuhandkonten auf den Philippinen geparkten 1,9 Milliarden Euro abgezwackt?
An diese Version der Geschichte glaubt mittlerweile nicht einmal mehr Wirecard selbst. Stattdessen müsse laut Wirecard „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“davon ausgegangen werden, dass die vermissten Milliarden gar nicht existieren. Damit wird eine zweite Variante des Bilanzskandals wahrscheinlicher: Die 1,9 Milliarden Euro könnten aus Luftbuchungen stammen, also aus absichtlich herbeigeführten Buchführungsfehlern.
Wusste Braun, der seit 2002 an der Spitze von Wirecard stand, darüber Bescheid? Diesen Vorwurf prüft die Münchner Staatsanwaltschaft und nahm Braun am Montag fest. Der Vorwurf: Braun soll zusammen mit weiteren mutmaßlichen Tätern die Bilanzsumme und die Umsätze von Wirecard durch vorgetäuschte Einnahmen aufgebläht haben. Schon am Dienstag setzte das Münchner Amtsgericht den 51-jährigen Österreicher gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro wieder auf freien Fuß.
Gemessen am Verlust, den Braun durch den Absturz des Aktienkurses erlitten hatte, fallen die fünf Millionen Euro Kaution kaum ins Gewicht. Als größter Anteilseigner mit sieben Prozent hat er durch den Kurseinbruch rechnerisch gut eine halbe Milliarde Euro eingebüßt. Braun war am Freitag als Vorstandschef von Wirecard zurückgetreten. Am Montag sei der Haftbefehl gegen ihn ausgestellt worden, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Daraufhin sei er aus Wien angereist. Er wolle mit den Ermittlern kooperieren, sagte die Sprecherin der Ermittlungsbehörde, Anne Leiding. Untersuchungshaft kann verhängt werden, wenn die Justiz von Fluchtoder Verdunkelungsgefahr ausgeht.
Weder bestätigen noch dementieren wollte Leiding, dass auch Brauns langjährige rechte Hand, der für das Tagesgeschäft verantwortliche Jan Marsalek, per Haftbefehl
gesucht wird. Der bereits freigestellte Marsalek war am Montag vom Aufsichtsrat gefeuert worden.
Bafin zeigte Journalisten nach Wirecard-Vorwürfen an
Der einstige Börsenstar Wirecard steht vor einem Scherbenhaufen. Ein Testat für die Jahreszahlen von 2019 hat das Ascheimer Unternehmen nicht erhalten, die kreditgebenden Banken könnten den Geldhahn abdrehen und Kredite in Höhe von rund zwei Milliarden Euro zurückziehen. Zudem ist bereits Sammelklage wegen falscher, unterlassener und unvollständiger Kapitalmarktinformationen gegen Wirecard eingereicht, weitere könnten folgen.
Der Skandal trifft auch die Wirtschaftsprüfer von EY, auf die eine Klagewelle zurollt, berichtet das „Handelsblatt“. Im Vorjahr hatten EY Wirecards Jahreszahlen uneingeschränkt testiert – obwohl es bereits Vorwürfe der Bilanzfälschung seitens der britischen Zeitung „Financial Times“gab.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) reagierte damals und stellte wegen Marktmanipulation Anzeige gegen den „Financial Times“-Journalisten Dan McCrum, der den Skandal aufgedeckt hatte. „Die BaFin-Vizepräsidentin und Chefjuristin Elisabeth Roegele ist in dem Fall offenbar gegen diejenigen vorgegangen, die frühzeitig vor dem Bilanzbetrug bei Wirecard warnten, statt mögliche kriminelle Aktivitäten bei dem Unternehmen aufzudecken. Das ist skandalös“, sagte Gerhard Schick, Vorstand der Nichtregierungsorganisation Bürgerbewegung Finanzwende, unserer Redaktion. Der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete fordert eine Sonderprüfung bei der Bafin und gegebenenfalls personelle Konsequenzen. Auch der Finanzausschuss im Bundestag wird sich mit dem Thema befassen. Die Ausschussvorsitzende Katja Hessel (FDP) sagte unserer Redaktion: „Wenn schon der Bafin-Präsident von einem Skandal spricht, dann muss dies auch Konsequenzen für seine Behörde nach sich ziehen.“Der Bilanzskandal bei Wirecard erinnere sie „stark an eine Posse“, so die FDP-Politikerin. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass es zu diesem Fiasko kommen konnte, ohne dass irgendeine beteiligte Stelle stutzig wurde. Hier muss Vorsatz mit im Spiel sein.“
Bafin-Chef Felix Hufeld hatte Wirecards Bilanzskandal am Montag als „komplettes Desaster“und „Schande“bezeichnet: „Wir sind nicht effektiv genug gewesen, um zu verhindern, dass so etwas passiert.“