Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Fallrückzieher für die Ewigkeit
Wer ist Rangnick? Es darf geschmunzelt oder aber sich ereifert werden, nachdem sich Zlatan Ibrahimovic über Ralf Rangnick als möglichen Neu-Trainer des AC Mailand geäußert hatte. Und es fragt sich nicht nur, ob der Deutsche kommt, um sich international einen Namen zu machen. Sondern ebenso, ob der Milan-Stürmer nach dem Sommer weitermacht.
Wer Ibrahimovic ist, scheint dagegen hinreichend beantwortet. Der Mann aus Malmö, der selbst nur darüber lachen könne, wie perfekt er sei, polarisiert wie kein anderer im Fußball. Für die einen ist er ein Extra-Stürmer, immer für ein Zlatan-Moment gut. Für die anderen ist er wegen seiner Sprüche ein Arroganzling sondergleichen.
Er selbst hält sich – wie bescheiden – auch nur für einen Menschen, „so, wie ein weißer Hai auch nur ein Fisch ist“. Wahlweise darf’s aber auch schon mal Gott sein.
Vielleicht ist es die Mischung aus Selbstvertrauen, Selbstverliebtheit und Können am Ball, die Zlatan zu Zlatan macht. Die ihn noch vor der Bekanntgabe seines Wechsel zu LA Galaxy antreibt, in der Los Angeles Times eine ganzseitige Anzeige zu schalten mit dem Satz: „Liebes Los Angeles, gern geschehen“. Oder aber, die ihn im Spiel abheben lässt. Für die Ewigkeit steht der Viererpack für Schweden beim 4:2 gegen England im November 2012, den er mit einem sensationellen Fallrückzieher vollendete. Wie viele Stürmer gibt es, die den Schneid zu so einem Abschluss besitzen – aus 25 Metern, mit dem Rücken zum Tor?
Spannend dürfte es sein, zu erfahren, was hinter der Fußball-Marke Zlatan steckt. Wenn die Karriere hinter ihm liegt, wie es der 38-Jährige in diesen Tagen angedeutet hat. Etwas würde im Falle eines Abschieds jedoch nicht nur der Serie A fehlen. Oder um es mit den Worten von Ibrahimovic zu sagen, wenn die Italiener ihn nicht mehr live sehen könnten: „Es tut mir leid für die Tifosi.“
Zitat des Tages
Erfurt. Es war praktisch die erste Maßnahme vom vorerst bis September als kommissarischer Präsident amtierenden Matthias Große: Der Berliner Unternehmer, Lebensgefährte der fünfmaligen Olympiasiegerin Claudia Pechstein, holte den Thüringer Sportmediziner Dr. Gerald Lutz als Verbandsarzt in die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft zurück. Wir sprachen mit dem 53- Jährigen, der am Olympiastützpunkt als Arzt in Oberhof und Erfurt tätig ist, wo er zudem eine orthopädische Praxis hat.
Was für ein Comeback!
Meinen Sie, weil ich von 2006 bis 2017 schon Verbandsarzt war?
Ja. Immerhin rund zwölf Jahre.
Eisschnelllauf und Leistungssport sind für mich Herzensangelegenheiten. Mein Selbstverständnis ist da sehr klar: Nur, wenn es professionelle Rahmenbedingungen gibt, haben die Sportlerinnen und Sportler eine gute Basis für den Erfolg. Dazu möchte ich als Verbandsarzt beitragen. Die unrühmliche Vergangenheit und das geringschätzende Verhalten in den letzten Jahren spielen für mich keine Rolle mehr. Die bisherigen Akteure sind zum Glück nicht mehr da.
Das Sagen im Verband hat bis zur Wahl im September nun Matthias Große. Er ist nicht unumstritten.
Matthias ist ein Macher. Er lebt den Eisschnelllaufsport und möchte ihn zurück in die Erfolgspur bringen. Ich habe ihn in den letzten Jahren gut kennengelernt – allein durch die Unrechtssperre von Claudia Pechstein.
Er ist geradlinig, agiert auf Grundlage von Überzeugungen, man kann sich auf sein Wort verlassen. Zudem ist er ein erfolgreicher, intelligenter Unternehmer, der auch Sponsoren beschafft. Für das Eisschnelllaufen besitzt er ein klares Konzept, er kann so Großes vollbringen. Zwischen uns hat sich ein Verhältnis entwickelt, das auf Respekt und Vertrauen beruht.
Keine Große-Schwäche?
Wer Dinge anspricht, wird nicht nur Applaus erhalten. Er übernimmt einen Verband, der bisher nicht gerade vor Professionalität glänzte. Dies zu verbessern wird nicht ohne klare Veränderungen gehen.
Sie haben sich damals sehr für den Freispruch von Claudia Pechstein nach den Dopingvorwürfen eingesetzt und Sie auf Ihrer juristischen Odyssee seit 2009 begleitet. Die führte sogar bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sind Sie noch verärgert, dass es keinen kompletten Freispruch gab?
2015 entschuldigte sich bereits der Deutsche Olympische Sportbund bei Claudia und bezeichnete sie als Opfer der Willkür der Sportgerichtsbarkeit. Nicht zuletzt der internationale Verband muss sich Fragen über seine Rolle im Umgang mit einer nachweislich unschuldigen Spitzensportlerin gefallen lassen.
Der Weg von Claudia zur vollständigen Rehabilitation ist noch nicht zu Ende und ich werde sie als Arzt und Freund auf diesem weiter begleiten.
Claudia Pechstein ist 48 Jahre – wie lange wird Sie noch laufen?
Das kann nur sie selbst sagen. Sie ist eine absolute Ausnahmesportlerin, da reicht ein Blick auf ihre Erfolge, aber auch auf ihre aktuellen Leistungen. Mit 48 ist sie noch Teil der Weltspitze. Das ist einzigartig.
Peking 2022 könnte ein weiteres Ziel sein. Dauert bis zu den nächsten Spielen Ihre Amtszeit?
Meine Aufgabe beginnt gerade. Da denke ich nicht über das Ende nach. Fest steht, dass es eine Teamarbeit mit Medizinern aus Inzell und Berlin wird. Es ist ein Ehrenamt, das viel Zeit beansprucht und auch stets Abstimmung mit der Arbeit in Thüringen erfordert.
Niemann-Stirnemann, Friesinger, Anschütz, Beckert, Schenk – Weltspitze, die mal war. Wie sehen Sie das deutsche Eisschnelllaufen?
Sportlich und wirtschaftlich ist es die schwierigste Lage seit Gründung des Verbandes. Nur Engagement und Fachwissen können ihn noch retten.
Große will frühere Erfolgstrainer wie den Erfurter Stephan Gneupel oder Joachim Franke, die in Rente sind, einbinden. Ist das richtig?
Sie haben ja nicht zufällig so viele Erfolge mit ihren Sportlern erreicht. Sicherlich ist eine Modernisierung wichtig, dabei sollte auf Erfahrungen jedoch nicht verzichtet werden.
Und wie ist es um das Erfurter Eisschnelllaufen bestellt? Da scheinen die glanzvollen Zeiten auch vorbei.
In der Nationalmannschaft sind zahlreiche Athleten vom ESC vertreten. Und ich habe auch den Eindruck, dass Talente nachrücken. Bis ganz nach oben ist es allerdings ein langer, schwieriger Weg.
Als Sportarzt, der auch Thüringer Top-Athleten außerhalb des Eisschnelllaufens betreut, müssen Sie beim Thema Doping ständig aktuell auf dem Stand sein. Ist das komplizierter als noch vor fünf Jahren?
Nein, denn es gab und gibt klare Richtlinien, die man kennen und anwenden muss. Es ist klar definiert, was verboten ist, daran haben sich Sportler und Ärzte schlicht zu halten. Außerdem existieren Kriterien der Welt-Anti-Dopingagentur, die die Gesundheitsschädigung und Verstöße gegen Werte des Sports beschreiben. Wer als Mediziner dagegen vorsätzlich verstößt, hat im Leistungssport nichts zu suchen. Für mich zählen die beste Betreuung der Sportler im Verletzungsfall und eine gute Prävention zum Verletzungsschutz. Dafür braucht man keine verbotenen Substanzen, sondern medizinisches Wissen und eine gute Organisation der medizinischen Abläufe.
Der Molekularbiologe Professor Sörgel hat nach eigener Aussage den Glauben an dopingfreien Spitzensport zunehmend verloren.
Ich halte den Sport in Deutschland für strukturell sauber. Sonst wäre ich nicht als Verbandsarzt tätig. Wichtig ist, dass die Kontrollen gut und umfassend sind, wobei ich es für problematisch halte, wenn sich die Verbände selbst kontrollieren.
Der Erfurter Arzt Mark Schmidt sitzt in Untersuchungshaft, beschuldigt des Blutdopings.
Schlimm für den Sport, die Medizin, Thüringen, die Landeshauptstadt. Wenn die Vorwürfe stimmen, dann hat er das Problem aus dem Radsport bis nach Erfurt getragen und für großen Schaden gesorgt. Wobei ich nicht verstehe, dass viele die Begrifflichkeit der „Causa Erfurt“verwenden. Der Terminus sorgt für ein schlechtes Image, das falsch und ungerechtfertigt ist. Dabei darf eines nicht vergessen werden und sollte im Mittelpunkt stehen: Thüringen war, ist und bleibt ein Sportland mit großartigen Athletinnen und Athleten, die sauber und hart für ihren Erfolg kämpfen.
Alternativmedizin gewinnt auch im Spitzensport immer mehr an Bedeutung. Befürworten Sie das als Schulmediziner?
Ich finde es schon gut, wenn man den Körper ganzheitlich sieht. Wirbelsäulenprobleme können auch einen Knieschmerz auslösen. Und das Prinzip, an der Stelle zu behandeln, wo es wehtut, funktioniert für eine Besserung nicht immer.
Wann werden Sie erstmals als Verbandsarzt in Erscheinung treten, wann soll der erste Wettkampf der Nationalkader sein?
Auch wenn ich in den letzten drei Jahren nicht für den Verband tätig war, sind Spitzenathleten nach wie vor zur Behandlung bei mir gewesen. Für Sportler gilt ja auch der Grundsatz der freien Arztwahl. Gemeinsam mit dem medizinischen Team erarbeiten wir nun einen Einsatzplan für die Trainingslager und die Wettkämpfe.
„Wer ist Rangnick? Ich weiß nicht, wer Rangnick sein soll.“Zlatan Ibrahimovic, schwedischer Stürmerstar beim AC Mailand