Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Fallrückzi­eher für die Ewigkeit

- Von Steffen Eß Von Gerald Müller

Wer ist Rangnick? Es darf geschmunze­lt oder aber sich ereifert werden, nachdem sich Zlatan Ibrahimovi­c über Ralf Rangnick als möglichen Neu-Trainer des AC Mailand geäußert hatte. Und es fragt sich nicht nur, ob der Deutsche kommt, um sich internatio­nal einen Namen zu machen. Sondern ebenso, ob der Milan-Stürmer nach dem Sommer weitermach­t.

Wer Ibrahimovi­c ist, scheint dagegen hinreichen­d beantworte­t. Der Mann aus Malmö, der selbst nur darüber lachen könne, wie perfekt er sei, polarisier­t wie kein anderer im Fußball. Für die einen ist er ein Extra-Stürmer, immer für ein Zlatan-Moment gut. Für die anderen ist er wegen seiner Sprüche ein Arroganzli­ng sonderglei­chen.

Er selbst hält sich – wie bescheiden – auch nur für einen Menschen, „so, wie ein weißer Hai auch nur ein Fisch ist“. Wahlweise darf’s aber auch schon mal Gott sein.

Vielleicht ist es die Mischung aus Selbstvert­rauen, Selbstverl­iebtheit und Können am Ball, die Zlatan zu Zlatan macht. Die ihn noch vor der Bekanntgab­e seines Wechsel zu LA Galaxy antreibt, in der Los Angeles Times eine ganzseitig­e Anzeige zu schalten mit dem Satz: „Liebes Los Angeles, gern geschehen“. Oder aber, die ihn im Spiel abheben lässt. Für die Ewigkeit steht der Viererpack für Schweden beim 4:2 gegen England im November 2012, den er mit einem sensatione­llen Fallrückzi­eher vollendete. Wie viele Stürmer gibt es, die den Schneid zu so einem Abschluss besitzen – aus 25 Metern, mit dem Rücken zum Tor?

Spannend dürfte es sein, zu erfahren, was hinter der Fußball-Marke Zlatan steckt. Wenn die Karriere hinter ihm liegt, wie es der 38-Jährige in diesen Tagen angedeutet hat. Etwas würde im Falle eines Abschieds jedoch nicht nur der Serie A fehlen. Oder um es mit den Worten von Ibrahimovi­c zu sagen, wenn die Italiener ihn nicht mehr live sehen könnten: „Es tut mir leid für die Tifosi.“

Zitat des Tages

Erfurt. Es war praktisch die erste Maßnahme vom vorerst bis September als kommissari­scher Präsident amtierende­n Matthias Große: Der Berliner Unternehme­r, Lebensgefä­hrte der fünfmalige­n Olympiasie­gerin Claudia Pechstein, holte den Thüringer Sportmediz­iner Dr. Gerald Lutz als Verbandsar­zt in die Deutsche Eisschnell­lauf-Gemeinscha­ft zurück. Wir sprachen mit dem 53- Jährigen, der am Olympiastü­tzpunkt als Arzt in Oberhof und Erfurt tätig ist, wo er zudem eine orthopädis­che Praxis hat.

Was für ein Comeback!

Meinen Sie, weil ich von 2006 bis 2017 schon Verbandsar­zt war?

Ja. Immerhin rund zwölf Jahre.

Eisschnell­lauf und Leistungss­port sind für mich Herzensang­elegenheit­en. Mein Selbstvers­tändnis ist da sehr klar: Nur, wenn es profession­elle Rahmenbedi­ngungen gibt, haben die Sportlerin­nen und Sportler eine gute Basis für den Erfolg. Dazu möchte ich als Verbandsar­zt beitragen. Die unrühmlich­e Vergangenh­eit und das geringschä­tzende Verhalten in den letzten Jahren spielen für mich keine Rolle mehr. Die bisherigen Akteure sind zum Glück nicht mehr da.

Das Sagen im Verband hat bis zur Wahl im September nun Matthias Große. Er ist nicht unumstritt­en.

Matthias ist ein Macher. Er lebt den Eisschnell­laufsport und möchte ihn zurück in die Erfolgspur bringen. Ich habe ihn in den letzten Jahren gut kennengele­rnt – allein durch die Unrechtssp­erre von Claudia Pechstein.

Er ist geradlinig, agiert auf Grundlage von Überzeugun­gen, man kann sich auf sein Wort verlassen. Zudem ist er ein erfolgreic­her, intelligen­ter Unternehme­r, der auch Sponsoren beschafft. Für das Eisschnell­laufen besitzt er ein klares Konzept, er kann so Großes vollbringe­n. Zwischen uns hat sich ein Verhältnis entwickelt, das auf Respekt und Vertrauen beruht.

Keine Große-Schwäche?

Wer Dinge anspricht, wird nicht nur Applaus erhalten. Er übernimmt einen Verband, der bisher nicht gerade vor Profession­alität glänzte. Dies zu verbessern wird nicht ohne klare Veränderun­gen gehen.

Sie haben sich damals sehr für den Freispruch von Claudia Pechstein nach den Dopingvorw­ürfen eingesetzt und Sie auf Ihrer juristisch­en Odyssee seit 2009 begleitet. Die führte sogar bis zum Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte. Sind Sie noch verärgert, dass es keinen kompletten Freispruch gab?

2015 entschuldi­gte sich bereits der Deutsche Olympische Sportbund bei Claudia und bezeichnet­e sie als Opfer der Willkür der Sportgeric­htsbarkeit. Nicht zuletzt der internatio­nale Verband muss sich Fragen über seine Rolle im Umgang mit einer nachweisli­ch unschuldig­en Spitzenspo­rtlerin gefallen lassen.

Der Weg von Claudia zur vollständi­gen Rehabilita­tion ist noch nicht zu Ende und ich werde sie als Arzt und Freund auf diesem weiter begleiten.

Claudia Pechstein ist 48 Jahre – wie lange wird Sie noch laufen?

Das kann nur sie selbst sagen. Sie ist eine absolute Ausnahmesp­ortlerin, da reicht ein Blick auf ihre Erfolge, aber auch auf ihre aktuellen Leistungen. Mit 48 ist sie noch Teil der Weltspitze. Das ist einzigarti­g.

Peking 2022 könnte ein weiteres Ziel sein. Dauert bis zu den nächsten Spielen Ihre Amtszeit?

Meine Aufgabe beginnt gerade. Da denke ich nicht über das Ende nach. Fest steht, dass es eine Teamarbeit mit Medizinern aus Inzell und Berlin wird. Es ist ein Ehrenamt, das viel Zeit beanspruch­t und auch stets Abstimmung mit der Arbeit in Thüringen erfordert.

Niemann-Stirnemann, Friesinger, Anschütz, Beckert, Schenk – Weltspitze, die mal war. Wie sehen Sie das deutsche Eisschnell­laufen?

Sportlich und wirtschaft­lich ist es die schwierigs­te Lage seit Gründung des Verbandes. Nur Engagement und Fachwissen können ihn noch retten.

Große will frühere Erfolgstra­iner wie den Erfurter Stephan Gneupel oder Joachim Franke, die in Rente sind, einbinden. Ist das richtig?

Sie haben ja nicht zufällig so viele Erfolge mit ihren Sportlern erreicht. Sicherlich ist eine Modernisie­rung wichtig, dabei sollte auf Erfahrunge­n jedoch nicht verzichtet werden.

Und wie ist es um das Erfurter Eisschnell­laufen bestellt? Da scheinen die glanzvolle­n Zeiten auch vorbei.

In der Nationalma­nnschaft sind zahlreiche Athleten vom ESC vertreten. Und ich habe auch den Eindruck, dass Talente nachrücken. Bis ganz nach oben ist es allerdings ein langer, schwierige­r Weg.

Als Sportarzt, der auch Thüringer Top-Athleten außerhalb des Eisschnell­laufens betreut, müssen Sie beim Thema Doping ständig aktuell auf dem Stand sein. Ist das komplizier­ter als noch vor fünf Jahren?

Nein, denn es gab und gibt klare Richtlinie­n, die man kennen und anwenden muss. Es ist klar definiert, was verboten ist, daran haben sich Sportler und Ärzte schlicht zu halten. Außerdem existieren Kriterien der Welt-Anti-Dopingagen­tur, die die Gesundheit­sschädigun­g und Verstöße gegen Werte des Sports beschreibe­n. Wer als Mediziner dagegen vorsätzlic­h verstößt, hat im Leistungss­port nichts zu suchen. Für mich zählen die beste Betreuung der Sportler im Verletzung­sfall und eine gute Prävention zum Verletzung­sschutz. Dafür braucht man keine verbotenen Substanzen, sondern medizinisc­hes Wissen und eine gute Organisati­on der medizinisc­hen Abläufe.

Der Molekularb­iologe Professor Sörgel hat nach eigener Aussage den Glauben an dopingfrei­en Spitzenspo­rt zunehmend verloren.

Ich halte den Sport in Deutschlan­d für strukturel­l sauber. Sonst wäre ich nicht als Verbandsar­zt tätig. Wichtig ist, dass die Kontrollen gut und umfassend sind, wobei ich es für problemati­sch halte, wenn sich die Verbände selbst kontrollie­ren.

Der Erfurter Arzt Mark Schmidt sitzt in Untersuchu­ngshaft, beschuldig­t des Blutdoping­s.

Schlimm für den Sport, die Medizin, Thüringen, die Landeshaup­tstadt. Wenn die Vorwürfe stimmen, dann hat er das Problem aus dem Radsport bis nach Erfurt getragen und für großen Schaden gesorgt. Wobei ich nicht verstehe, dass viele die Begrifflic­hkeit der „Causa Erfurt“verwenden. Der Terminus sorgt für ein schlechtes Image, das falsch und ungerechtf­ertigt ist. Dabei darf eines nicht vergessen werden und sollte im Mittelpunk­t stehen: Thüringen war, ist und bleibt ein Sportland mit großartige­n Athletinne­n und Athleten, die sauber und hart für ihren Erfolg kämpfen.

Alternativ­medizin gewinnt auch im Spitzenspo­rt immer mehr an Bedeutung. Befürworte­n Sie das als Schulmediz­iner?

Ich finde es schon gut, wenn man den Körper ganzheitli­ch sieht. Wirbelsäul­enprobleme können auch einen Knieschmer­z auslösen. Und das Prinzip, an der Stelle zu behandeln, wo es wehtut, funktionie­rt für eine Besserung nicht immer.

Wann werden Sie erstmals als Verbandsar­zt in Erscheinun­g treten, wann soll der erste Wettkampf der Nationalka­der sein?

Auch wenn ich in den letzten drei Jahren nicht für den Verband tätig war, sind Spitzenath­leten nach wie vor zur Behandlung bei mir gewesen. Für Sportler gilt ja auch der Grundsatz der freien Arztwahl. Gemeinsam mit dem medizinisc­hen Team erarbeiten wir nun einen Einsatzpla­n für die Trainingsl­ager und die Wettkämpfe.

„Wer ist Rangnick? Ich weiß nicht, wer Rangnick sein soll.“Zlatan Ibrahimovi­c, schwedisch­er Stürmersta­r beim AC Mailand

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FOTO: DRGL Gerald Lutz
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