Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Städtetag setzt sich für Nahverkehr ein
Viele Menschen meiden aus Angst vor Ansteckung öffentliche Verkehrsmittel. Die Kommunen schlagen Alarm
Berlin. Der Deutsche Städtetag hat die Bürger aufgefordert, wieder verstärkt öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich Fahrpersonal oder Fahrgäste überdurchschnittlich im Nahverkehr mit dem Corona-Virus angesteckt hätten. Das zeigt, die Maßnahmen wirken, auch die Maskenpflicht“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der TLZ. Die Verkehrswende hin zu nachhaltiger Mobilität dürfe nicht durch Corona ausgebremst werden.
Berlin. Licht und Schatten beim Klimaschutz – aber was überwiegt, wenn die Pandemie anhält? Für Monate fiel die Weltwirtschaft in einen Corona-Dornröschenschlaf. Am Himmel: keine Flugzeuge, keine Kondensstreifen. Am Horizont: keine rauchenden Fabrikschlote. Auf den Meeren: keine Kreuzfahrtgiganten. Der Globus atmete durch. Klimaforscher warnen, die kurze Corona-Pause werde den Trend der Erderwärmung nicht brechen. Dazu kommen Entwicklungen, die dem Klima schaden: Wieder volle Straßen und Staus, während Busse und Bahnen aus Angst vor Ansteckung leer bleiben. Die Kommunen fürchten bereits um die Verkehrswende. Und erste Politiker sagen: Bei sieben Millionen Kurzarbeitern sind Jobs und soziale Absicherung wichtiger als Klimaschutz. Fachleute halten dagegen. Die Internationale Energieagentur (IEA) schlägt Alarm. Die Weltgemeinschaft habe nur ein halbes Jahr Zeit, um aus dem Lockdown die richtigen klimapolitischen Lehren zu ziehen.
Hat der Lockdown die Erde sauberer gemacht?
Kurzfristig ja. Der tägliche weltweite Kohlendioxid-Ausstoß ging auf dem Höhepunkt der strikten Corona-Maßnahmen zeitweise um etwa ein Sechstel zurück. Das berechnete ein internationales Forscherteam, wie die Fachzeitschrift „Nature Climate Change“kürzlich berichtete. In manchen Ländern seien die Emissionen zu den Hochzeiten der Corona-Beschränkungen gar um bis zu durchschnittlich 26 Prozent gesunken. Dass große Teile der Weltbevölkerung zu Hause hätten bleiben müssen und Grenzen geschlossen worden seien, habe etwa den Verkehr verringert und Konsumgewohnheiten verändert. Allein
die Emissionen des Transports an Land sowie des Luftverkehrs hätten am 7. April um 36 beziehungsweise 60 Prozent niedriger gelegen als im Jahresdurchschnitt 2019. Landverkehr, Energie und Industrie machten demnach gemeinsam
86 Prozent des gesamten
CO2-Rückgangs aus. In den ersten vier Monaten des Jahres fielen die Emissionen der Schätzung zufolge um insgesamt etwa 1048 Millionen Tonnen. Besonders stark war der Rückgang in China (minus
242 Megatonnen), den USA (minus
207 Megatonnen) und Europa (minus 123 Megatonnen). Weltweit betrug die Verringerung im Vergleich zu den Monaten Januar bis April
2019 insgesamt rund 8,6 Prozent. Wie stark sich der temporäre Effekt auf das Weltklima dauerhaft auswirkt, hängt davon ab, ob nach der Krise genauso gewirtschaftet wird wie zuvor.
Wird wegen Corona mehr Auto und weniger ÖPNV gefahren?
Viele Städte und Gemeinden machen diese Beobachtung. Nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VdV) hat sich die Zahl der Fahrgäste im öffentlichen Personennahverkehr während des Lockdowns auf 20 Prozent des üblichen Aufkommens reduziert. Inzwischen liegt die Nutzung in Großstädten und Ballungsräumen aber wieder bei 50 bis 60 Prozent im Vergleich zu den Vorjahresmonaten. Allerdings ist in vielen Großstädten auch eine starke Zunahme des Radverkehrs zu sehen. Fahrradhersteller haben einen Corona-Boom. In Metropolen wie Berlin werden viele neue Radwege gebaut, um Pendlern den umweltfreundlichen Umstieg auf zwei Räder schmackhaft zu machen.
Ist die Furcht vor Ansteckung in Bus und Bahn berechtigt?
Dafür gibt es bislang keine wissenschaftlichen Belege, wenn Abstand eingehalten wird. Der Deutsche Städtetag forderte deshalb die Bürger auf, wieder verstärkt öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich Fahrpersonal oder Fahrgäste im Nahverkehr überdurchschnittlich mit dem Coronavirus angesteckt hätten. Das zeigt, dass die Maßnahmen wirken, auch die Maskenpflicht“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy unserer Redaktion.
„Und wer wieder gerne unter den aktuellen Corona-Bedingungen ins Restaurant geht, kann mindestens genauso gut in den Bus, die U-Bahn oder die Straßenbahn steigen.“Die Verkehrswende hin zu nachhaltiger Mobilität dürfe nicht durch Corona ausgebremst werden.
Die Maskenpflicht schaffe Vertrauen, gerade in öffentlichen Verkehrsmitteln, sagte Dedy. Das sei für den Nahverkehr entscheidend, denn viele Menschen seien aus Sorge vor Ansteckung auf Auto oder Fahrrad umgestiegen. „Busse und Bahnen“, so der Spitzenfunktionär des Städtetages, „fahren aber weiter mit vollem Angebot.“Viele Kommunen, die Busse und Bahnen betreiben, müssen Einnahmeausfälle anderweitig schultern. Unterstützung
bekommen die Kommunen dabei von der Linken. „Wer selbst keiner Risikogruppe angehört oder regelmäßig mit Angehörigen von Risikogruppen in Kontakt ist, muss nicht auf den Transport mit den öffentlichen Verkehrsmitteln verzichten“, sagte Parteichef Bernd Riexinger unserer Redaktion.
Wie ökologisch sind die Konjunkturpakete?
Die Bundesregierung bekam für ihr 130-Milliarden-Paket ungewohntes Lob aus der Umweltschützerszene. Greenpeace erklärte, die Maßnahmen seien immerhin „blassgrün“. Die Grünen sagten: „Besser als erwartet.“Der WWF lobte: „Die Bundesregierung lässt das fossile Gestern an manchen Stellen alt aussehen.“Zum Ärger der Autokonzerne und der Industriegewerkschaften erteilten Union und SPD einer Neuauflage von Kaufprämien für Diesel und Benziner eine Absage. Stattdessen werden Kaufanreize für E-Autos verdoppelt, der Bau vieler neuer Ladestationen wird gefördert, ebenso der Umstieg der Industrie auf neue Wasserstofftechnologien. Zudem gibt es Fördergeld für E-Lieferwagen und -Busse.
„Wer wieder ins Restaurant geht, kann genauso gut in Bus, U-Bahn oder Straßenbahn steigen.“Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer Deutscher Städtetag