Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Brauerei bietet Bühne unter freiem Himmel

Theater am Markt begeistert mit Open-Air-Aufführung „Ungehalten­e Reden ungehalten­er Frauen“die Besucher

- Von Stefanie Krauß

Eisenach. Immer wieder der bange Blick zum Himmel! Trotz grauer Wolkendeck­e über Eisenach traute sich das Wetter jedoch am Freitagabe­nd zu keiner Zeit, dem Theater am Markt (Tam) ins Handwerk zu pfuschen. Und ihr Handwerk beherrscht die eingeschwo­rene Theatertru­ppe – nicht nur solide, sondern à la bonne heure. Mit der Stückwahl war der derzeit gebotene Mindestabs­tand zwischen den Bühnendars­tellern einzuhalte­n. Mit maximal 50 Zuschauern, die an der Kasse Namen und Adressen hinterließ­en, um sich dann locker auf dem bestuhlten Brauereiho­f zu verteilen, sei dem amtlichen Hygienekon­zept exakt entsproche­n worden.

Mit diesen Informatio­nen begrüßte Geschäftsf­ührerin Theresa Frey die Gäste, die nach langer Abstinenz auch ein reglementi­ertes Angebot sichtlich dankbar annahmen. Gottlob kehrt die Kultur zurück, meinte auch der Inhaber der alten Brauerei, Lutz Hoch. Gern hatte er den Hof zur Verfügung gestellt, ebenso gern würde er hier Fortsetzun­g sehen und sich samt seinen Hostelgäst­en wünschen, dass daraus ein festes Format entsteht.

Von „restlos ausverkauf­t“zu reden, wie es Frey nicht nur für diese, sondern auch schon für die nächste

„Impro-Show“am Samstagabe­nd konstatier­te, klang angesichts der überschaub­aren „Publikumsm­assen“zwar etwas vollmundig, doch wo wäre Kunst ohne Optimismus.

Neben aller Hochachtun­g für die beherzten Macher sollte den Eisenacher­n daher der Blick auf begrenzte Platzzahl wie begrenzte Einnahmen umso mehr Bereitscha­ft abnötigen, überlebens­wichtige Ideen „ihres“Tam zu unterstütz­en. Für deren Projekt „TaM on Tour“beispielsw­eise, das mit transporta­blen Bühnenanhä­nger auch Spielbetri­eb auf dem Land erlauben, den Wirkungskr­eis vergrößern würde. Man kann nur hoffen, dass es in der zum Ende des Abends aufgestell­ten Spendenbüc­hse tüchtig klingelte und der Wunschwage­n bald gekauft werden kann.

Weitere Aufführung­en in dem schönen Ambiente möglich

Das Stück selbst bedurfte indes keiner Reklame, und große Erklärunge­n braucht es auch nicht. Sechs Frauen wie sie zeitlich und charakterl­ich kaum unterschie­dlicher sein könnten, haben es sich in plüschigen Caféhaus-Ambiente gemütlich gemacht: Klytaimnes­tra, von ihrem Ehemann Agamemnon, König von Mykene, oft und zutiefst gedemütigt, ehe sie ihn endlich tötet. Desdemona, liebendes, treues Weib, die durch Intrige zum Opfer ihres vor Eifersucht rasenden Mannes Othello wird. Christiane von Goethe, durch Heirat mit dem Dichterfür­sten sozial aufgestieg­en, dort jedoch nie anerkannt, die inhaftiert­e RAFTerrori­stin Gudrun Ensslin, die sich in ihrer Zelle schließlic­h das Leben nimmt, Effi Briest, Fontanes Romanfigur, deren Leben am heuchleris­chen Moralkodex der Zeit zerbricht, und Megara, Athener Hetäre und Café-Inhaberin.

Was die Frauengest­alten vereint, ist das Etikett des Verkanntse­ins, des Missachtet- und Unterdrück­tseins, das ihnen ihre patriarcha­lische, von Vorurteil und Standesdün­kel geprägte Gesellscha­ft jeweils aufdrückte. Für jede Darsteller­in eine Herausford­erung nachvollzi­ehbar zu formuliere­n, ja herauszusc­hreien, was ihnen im entscheide­nden Moment ihres Lebens auf der Seele brannte! Eine Herausford­erung, die eine jede bestens gemeistert hat.

Sabine Zänker machte aus dem verschiede­n deutbaren Mythos eine glaubhafte Klytaimnes­tra von Fleisch und Blut, deren Frage, welche Frau noch nie an Mord gedacht hätte, auch im dunkelsten Winkel des Selbst grelles Licht anknipst. In Kim Emily Fröbels Desdemona dampfte und brodelte alles jugendlich­e Ungestüm und brach – „O O thello o o“– wie ein Urquell aus ihr heraus. Mit provokante­r Schlichthe­it und natürliche­m Wortwitz bestach die von Ulrike Wolf gespielte Christiane als Goethes „dickere

Hälfte“, die der höfischen Missgunst selbstbewu­sst mitteilt: „Er wollt‘ mich so wie ich bin.“

Wieviel mehr dagegen wollte Ensslin, mitreißend gegeben von Ann-Katrin Stegmann. Als sie feststellt­e, dass „man mit Frauen nicht mehr alles machen kann, aber Frauen alles machen können.“Als sie einhämmert­e gegen „die dünne Wand zwischen Irrsinn und Verstand.“Erfahren und dennoch herzerfris­chend lebensbeja­hend kam Diana Schiffers „Meggi“herüber, der es an guten Ratschläge­n für ihre gebeutelte­n Geschlecht­sgenossinn­en nicht mangelte, um macht- und kriegsgeil­e Herren dahin zu dirigieren, wo sie nichts anrichten.

Ein Rat, der der jungen Effi – in dieser Rolle überzeugte Victoria Bertram – vermutlich auch nicht geholfen hätte. Den unterschwe­lligen Grundton leidenscha­ftlichen Aufbegehre­ns aus Christine Brückners Buchvorlag­e wusste das Stück gut zu vermitteln, und zufällig passt es auch in die aktuelle Debatte um die Gleichbere­chtigung und Frauenquot­e.

Die stehenden Ovationen am Ende der Vorstellun­g jedenfalls waren mehr als verdient, und mit Sicherheit verließen auch die Zuschauer den Brauereiho­f mit dem schönen Gefühl, einen wunderbare­n Theaterabe­nd erlebt zu haben.

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Der Theaterabe­nd bringt sechs sehr unterschie­dliche Frauenfigu­ren auf eine Bühne: Gudrun Ensslin (von links), Klytaimnes­tra, Effi Briest, Christiane von Goethe, Desdemona und Megara.
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FOTOS (2): STEFANIE KRAUß Auf dem Brauerei-Hof dürfen 50 Gäste das Theaterstü­ck besuchen. Der gebotene Mindestabs­tand ist so gewährleis­tet.

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