Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Brauerei bietet Bühne unter freiem Himmel
Theater am Markt begeistert mit Open-Air-Aufführung „Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen“die Besucher
Eisenach. Immer wieder der bange Blick zum Himmel! Trotz grauer Wolkendecke über Eisenach traute sich das Wetter jedoch am Freitagabend zu keiner Zeit, dem Theater am Markt (Tam) ins Handwerk zu pfuschen. Und ihr Handwerk beherrscht die eingeschworene Theatertruppe – nicht nur solide, sondern à la bonne heure. Mit der Stückwahl war der derzeit gebotene Mindestabstand zwischen den Bühnendarstellern einzuhalten. Mit maximal 50 Zuschauern, die an der Kasse Namen und Adressen hinterließen, um sich dann locker auf dem bestuhlten Brauereihof zu verteilen, sei dem amtlichen Hygienekonzept exakt entsprochen worden.
Mit diesen Informationen begrüßte Geschäftsführerin Theresa Frey die Gäste, die nach langer Abstinenz auch ein reglementiertes Angebot sichtlich dankbar annahmen. Gottlob kehrt die Kultur zurück, meinte auch der Inhaber der alten Brauerei, Lutz Hoch. Gern hatte er den Hof zur Verfügung gestellt, ebenso gern würde er hier Fortsetzung sehen und sich samt seinen Hostelgästen wünschen, dass daraus ein festes Format entsteht.
Von „restlos ausverkauft“zu reden, wie es Frey nicht nur für diese, sondern auch schon für die nächste
„Impro-Show“am Samstagabend konstatierte, klang angesichts der überschaubaren „Publikumsmassen“zwar etwas vollmundig, doch wo wäre Kunst ohne Optimismus.
Neben aller Hochachtung für die beherzten Macher sollte den Eisenachern daher der Blick auf begrenzte Platzzahl wie begrenzte Einnahmen umso mehr Bereitschaft abnötigen, überlebenswichtige Ideen „ihres“Tam zu unterstützen. Für deren Projekt „TaM on Tour“beispielsweise, das mit transportablen Bühnenanhänger auch Spielbetrieb auf dem Land erlauben, den Wirkungskreis vergrößern würde. Man kann nur hoffen, dass es in der zum Ende des Abends aufgestellten Spendenbüchse tüchtig klingelte und der Wunschwagen bald gekauft werden kann.
Weitere Aufführungen in dem schönen Ambiente möglich
Das Stück selbst bedurfte indes keiner Reklame, und große Erklärungen braucht es auch nicht. Sechs Frauen wie sie zeitlich und charakterlich kaum unterschiedlicher sein könnten, haben es sich in plüschigen Caféhaus-Ambiente gemütlich gemacht: Klytaimnestra, von ihrem Ehemann Agamemnon, König von Mykene, oft und zutiefst gedemütigt, ehe sie ihn endlich tötet. Desdemona, liebendes, treues Weib, die durch Intrige zum Opfer ihres vor Eifersucht rasenden Mannes Othello wird. Christiane von Goethe, durch Heirat mit dem Dichterfürsten sozial aufgestiegen, dort jedoch nie anerkannt, die inhaftierte RAFTerroristin Gudrun Ensslin, die sich in ihrer Zelle schließlich das Leben nimmt, Effi Briest, Fontanes Romanfigur, deren Leben am heuchlerischen Moralkodex der Zeit zerbricht, und Megara, Athener Hetäre und Café-Inhaberin.
Was die Frauengestalten vereint, ist das Etikett des Verkanntseins, des Missachtet- und Unterdrücktseins, das ihnen ihre patriarchalische, von Vorurteil und Standesdünkel geprägte Gesellschaft jeweils aufdrückte. Für jede Darstellerin eine Herausforderung nachvollziehbar zu formulieren, ja herauszuschreien, was ihnen im entscheidenden Moment ihres Lebens auf der Seele brannte! Eine Herausforderung, die eine jede bestens gemeistert hat.
Sabine Zänker machte aus dem verschieden deutbaren Mythos eine glaubhafte Klytaimnestra von Fleisch und Blut, deren Frage, welche Frau noch nie an Mord gedacht hätte, auch im dunkelsten Winkel des Selbst grelles Licht anknipst. In Kim Emily Fröbels Desdemona dampfte und brodelte alles jugendliche Ungestüm und brach – „O O thello o o“– wie ein Urquell aus ihr heraus. Mit provokanter Schlichtheit und natürlichem Wortwitz bestach die von Ulrike Wolf gespielte Christiane als Goethes „dickere
Hälfte“, die der höfischen Missgunst selbstbewusst mitteilt: „Er wollt‘ mich so wie ich bin.“
Wieviel mehr dagegen wollte Ensslin, mitreißend gegeben von Ann-Katrin Stegmann. Als sie feststellte, dass „man mit Frauen nicht mehr alles machen kann, aber Frauen alles machen können.“Als sie einhämmerte gegen „die dünne Wand zwischen Irrsinn und Verstand.“Erfahren und dennoch herzerfrischend lebensbejahend kam Diana Schiffers „Meggi“herüber, der es an guten Ratschlägen für ihre gebeutelten Geschlechtsgenossinnen nicht mangelte, um macht- und kriegsgeile Herren dahin zu dirigieren, wo sie nichts anrichten.
Ein Rat, der der jungen Effi – in dieser Rolle überzeugte Victoria Bertram – vermutlich auch nicht geholfen hätte. Den unterschwelligen Grundton leidenschaftlichen Aufbegehrens aus Christine Brückners Buchvorlage wusste das Stück gut zu vermitteln, und zufällig passt es auch in die aktuelle Debatte um die Gleichberechtigung und Frauenquote.
Die stehenden Ovationen am Ende der Vorstellung jedenfalls waren mehr als verdient, und mit Sicherheit verließen auch die Zuschauer den Brauereihof mit dem schönen Gefühl, einen wunderbaren Theaterabend erlebt zu haben.