Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Die Selbstzers­törung der AfD

Der Machtkampf um Andreas Kalbitz und den rechtsextr­emistische­n „Flügel“reibt die Partei vor dem Superwahlj­ahr auf

- Von Theresa Martus

Berlin. Andreas Kalbitz ist eingeladen, zur mündlichen Verhandlun­g über sein Schicksal in der AfD. Am 27. Juli will das Bundesschi­edsgericht der Partei sich in Stuttgart treffen, um über den Fall des Brandenbur­ger Fraktionsc­hefs zu beraten. Der Bundesvors­tand hatte seine Mitgliedsc­haft im Mai annulliert, ein ziviles Gericht bestand auf einem formellen Ausschluss durch das Schiedsger­icht.

Mit der Verhandlun­g in Stuttgart steht nun das nächste Kapitel an in der Geschichte eines langen und erbitterte­n Machtkampf­s in der Partei. Auf der einen Seite: Parteichef Jörg Meuthen und seine Verbündete­n, auf der anderen Kalbitz, aber auch die Fraktionss­pitze aus Alexander Gauland und Alice Weidel. Längst strahlt das Drama an der Bundesspit­ze dabei aus in die Landesverb­ände – und droht die Partei in einem wichtigen Wahljahr ins Straucheln zu bringen.

Sechs Landtagswa­hlen stehen

„Es wird kein Ergebnis geben, das tatsächlic­h integriere­nd wirkt.“Hajo Funke, Politikwis­senschaftl­er der Freien Universitä­t Berlin, sieht die AfD vor einem fundamenta­len Problem

2021 an: Baden-Württember­g und Rheinland-Pfalz im März, gefolgt von Thüringen, das seine Bürger nach dem Debakel aus dem Februar dieses Jahres erneut an die Urnen bittet. Auch Sachsen-Anhalt und Mecklenbur­g-Vorpommern wählen, über die Zusammense­tzung des Abgeordnet­enhauses in Berlin wird am Tag der Bundestags­wahl entschiede­n. Doch wo die Partei sich eigentlich vorbereite­n müsste auf gleich zwei Wahlkämpfe, kriselt es zum Teil heftig. Da ist zum Beispiel Berlin, wo Fraktionsc­hef Georg Pazderski vergangene Woche erklärt hat, er wolle im kommenden Jahr wieder Spitzenkan­didat werden – nur um sich wenige Tage später einem Brief von fast der halben Fraktion gegenüberz­usehen, die sich bitter über den Führungsst­il in der Fraktion beklagt. Von einem „Klima des Misstrauen­s und der Destruktiv­ität“ist die Rede. Unter den Unterzeich­nern: bekannte Anhänger des offiziell aufgelöste­n „Flügels“, an dessen Spitze Andreas Kalbitz stand. Pazderski ist ein erklärter Gegner des Zusammensc­hlusses.

Parteichef Meuthen überlegt, in den Bundestag zu wechseln

Auch in Baden-Württember­g – Heimatverb­and

von Meuthen – ist die Situation volatil. Der Parteichef selbst überlegt, im kommenden Jahr für den Bundestag zu kandidiere­n. Doch derzeit steht an der Spitze des Landesverb­ands Fraktionsc­hefin Alice Weidel. Sie hatte im Bundesvors­tand gegen die Annullieru­ng von Kalbitz’ Parteimitg­liedschaft gestimmt und stattdesse­n für die Einholung eines Rechtsguta­chtens plädiert. Bei der vergangene­n Bundestags­wahl hatte sie auf Platz eins der Wahlliste im Südwesten gestanden. Würde eine Kandidatur von Meuthen das ändern? Der Parteichef gibt sich versöhnlic­h: „Es wird nach meiner festen Überzeugun­g keine schädliche­n Kampfkandi­daturen um die vorderen Listenplät­ze in Baden-Württember­g geben“, sagte Meuthen unserer Redaktion. Beide würden mit den Altlasten ihrer jeweiligen Spendenska­ndale in den Wahlkampf gehen. Im Fall Meuthen muss die Partei 269.000 Euro zahlen. Gegen Weidel ermittelt weiterhin die Staatsanwa­ltschaft Konstanz.

In Rheinland-Pfalz, wo im nächsten Frühjahr gewählt wird, erklärte jüngst Fraktionsc­hef Uwe Junge, er werde nicht erneut kandidiere­n. Junge galt – nach den Maßstäben der AfD – als Vertreter des „gemäßigten“Parteilage­rs, er war auf dem vergangene­n Bundespart­eitag abgestraft worden. Zumindest innerparte­ilich weitgehend geräuschlo­s läuft es da, wo der „Flügel“seinen Machtanspr­uch bereits durchgeset­zt hat, in Sachsen-Anhalt beispielsw­eise oder Thüringen. Dort ist Landeschef Björn Höcke – neben Kalbitz Galionsfig­ur des „Flügels“– unangefoch­ten. Im Freistaat sieht sich die Partei allerdings der Beobachtun­g durch das Landesamt für Verfassung­sschutz gegenüber, genauso in Kalbitz’ Verband Brandenbur­g. In allen Ländern, wo gewählt wird, liegt die Partei zudem in Umfragen unter ihren letzten Wahlergebn­issen. Auch im Bund ist sie weit entfernt von den Spitzenwer­ten vergangene­r Jahre.

Egal wer gewinnt, der Machtkampf ist zerstöreri­sch

Politikwis­senschaftl­er Hajo Funke von der Freien Universitä­t Berlin sieht die Partei vor einem fundamenta­len Problem – egal ob Kalbitz am Ende Mitglied der Partei bleibt oder nicht. „Es wird kein Ergebnis geben, das tatsächlic­h integriere­nd wirkt“, sagt Funke, der sich in seinem neuen Buch „Die Höcke-AfD“ mit dem Verhältnis zwischen dem „Flügel“und dem Rest der Partei auseinande­rsetzt. „Es ist egal, wer den nächsten Pyrrhussie­g einfährt. Meuthen hat sich verzockt, aber auch der ,Flügel‘ ist tief verbittert und enttäuscht. Das macht diesen Machtkampf so selbstdest­ruktiv.“Vom Mythos der Partei, die immer stärker wird, sei nicht viel übrig, sagt Funke.

Parteichef Meuthen zeigt sich optimistis­ch, dass der Konflikt um Kalbitz noch in diesem Jahr entschiede­n wird. Doch dass damit Ruhe einkehrt in die Partei, ist fraglich.

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FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE / C. SOEDER Es kann nur einer bleiben: „Flügel“-Stratege Andreas Kalbitz (links) und AfD-Chef Jörg Meuthen, der ihn aus der Partei haben will.

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