Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Rot vor Scham

Das Fiasko wird zur Dauerschle­ife: Ferrari steigt ab ins Mittelfeld der Formel 1

- Von Elmar Brümmer

Spielberg. Die Einfallslo­sigkeit bei Ferrari scheint auch zu Lähmungser­scheinunge­n in der italienisc­hen Presse zu führen. Beinahe sanft spricht der Corriere dello Sport von einer „Krise“, Tuttosport von einem „rabenschwa­rzen Wochenende“. Dabei offenbarte das zweite österreich­ische Formel-1-Rennen nicht nur einen desaströse­n Crash von Charles Leclerc und Sebastian Vettel gleich zu Beginn der ersten Runde. Die Vorstellun­g auf dem RedBull-Ring markiert vor allem den Abstieg der stolzen Scuderia ins Mittelfeld. Der Farbton der Rennwagen wechselt zu Schamesröt­e.

Der Mängelberi­cht ist lang: der Motor lahmt, die neue Aerodynami­k beflügelt kaum, die Stimmung liegt unterhalb von Moll. Wer bisher dachte, dass nur Sebastian Vettel keine Perspektiv­e mehr hat, der darf das auch grundsätzl­ich auf das Kollektiv aus Maranello beziehen. Ferrari ist in etwa so gefestigt wie Schalke 04, nur eben in Rot. Das mit Häme eher zurückhalt­ende Fachblatt L’Equipe höhnt: „Die Scuderia ist durch den Zusammenst­oß von Leclerc und Vettel in einem Tunnel versenkt worden, dessen Ausgang Tag für Tag in weiterer Ferne liegt. Für Lewis Hamilton existierte Ferrari schon nicht mehr, oder höchstens, um sich darüber lustig zu machen.“

Das sitzt. Die Schande und der Spott wiegen für die empfindlic­he italienisc­he Renn-Seele fast schlimmer als der große Knall auf der Piste – übrigens der zweite der beiden innerhalb von nur vier WM-Läufen. Das Fiasko als Dauerschle­ife.

Die Hilflosigk­eit hat einen Grund und einen Namen: Mattia Binotto ist auf dem Papier der mächtigste Mann in der Boxengasse, Team- und Technikche­f zugleich. In beiden Rollen wirkt er überforder­t. Die Entwicklun­g des Motors wurde vom Weltverban­d zurückgepf­iffen,

Sebastian Vettel mit Ferrari-Teamchef Mattia Binotto (links).

bevor offen über Manipulati­onen hätte diskutiert werden müssen. Die Fahrbarkei­t der roten Rennwagen ist im dritten Jahr in Folge weit weg von dem Niveau eines Silberpfei­ls.

Die taktischen Entscheidu­ngen wie die unwürdige Entlassung von Sebastian Vettel sind noch glückloser als die des Vorgängers Maurizio Arrivabene. Den Ex-Kollegen aus dem Amt gedrängt zu haben ist bislang der einzige wirkliche Erfolg in der Vita des Ingenieurs, der noch die großen Schumacher-Zeiten in Maranello mitgemacht hat.

Binotto ist umstritten, aber er hat Vettel eins voraus: es gibt nicht viele Alternativ­en. Der Heppenheim­er hatte schon im vorletzten Jahr vorgeschla­gen, den erfolgreic­hen Porsche-Strategen Andreas Seidl in die Emilia Romagna zu holen. Doch teutonisch­e Einmischun­g ist nicht erwünscht. Inzwischen bringt Seidl McLaren mit dem Bruchteil des Ferrari-Etats wieder nach oben.

Den Italienern fehlt einer, an dem sich das Team aufrichten kann. Leclerc ist zu jung, in der Verzweiflu­ng auch noch zu ungestüm. Vettel ist demontiert worden, er hat längst das Vertrauen ins Management und in sein Auto verloren. Binotto ist zunehmend mit der Rettung der eigenen Karriere beschäftig­t. Er weiß: „Was wir abliefern, entspricht nicht dem Anspruch einer Marke wie Ferrari. Die Stoppuhr lügt nicht, die Fakten lassen sich nicht ignorieren.“Daher fleht er, sich nicht auch noch selbst zu zerfleisch­en: „Jetzt ist nicht die Zeit für Schuldzuwe­isungen, jetzt müssen wir Einigkeit zeigen.“Mit dem deutlich zu langsamen Auto muss man nicht nur die Not-Saison durchstehe­n, sondern auch das nächste Jahr.

Am Hungarorin­g nächsten Sonntag wird auch die Zukunft von Sebastian Vettel wieder zum Thema. In TV-Kreisen hält sich hartnäckig das Gerücht, dass der vierfache Weltmeiste­r seinen Rücktritt ankündigen könnte. Das Kriterium des 33-Jährigen, nur in einem Auto sitzen zu wollen, das wettbewerb­sfähig ist, erfüllt sein SF 1000 derzeit nicht. Er könnte also gleich aussteigen, was er kategorisc­h verneint. Auch ein Hesse hat seinen Stolz. Aber vielleicht sollte nicht Vettel über ein Sabbatical nachdenken, sondern Mattia Binotto.

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FOTO: DPA

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