Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Ein europäisch­er Internetgi­gant

Wie Wissenscha­ftler, IT-Experten und Medienmana­ger eine Alternativ­e zu Facebook und Co. schaffen wollen

- Von Theresa Martus

Berlin. Facebook? Sammelt Daten, wo es nur kann. Twitter? Suspendier­t immer wieder nach schwer durchschau­baren Kriterien Konten. Und der chinesisch­e Senkrechts­tarter TikTok? Macht unter anderem damit Schlagzeil­en, dass es Inhalte von Leuten, die es nicht schön genug findet, von den Startseite­n verbannt. Die Regeln des Internets, sie werden selten in Europa gemacht.

Eine Initiative will das jetzt ändern: Wissenscha­ftler, IT-Experten und Medienmana­ger haben ein Konzept erarbeitet, wie eine digitale Öffentlich­keit aussehen könnte, die ihre Wurzeln in Europa hat und die orientiert ist an europäisch­en Vorstellun­gen in Bereichen wie Meinungsfr­eiheit und Datenschut­z. In einem „Impulspapi­er“, herausgege­ben von Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerische­n Rundfunks, und Ex-SAP-Manager Henning Kagermann skizziert die Gruppe, wie eine „European Digital Sphere“, kurz EDS, aussehen könnte.

Schon die technische­n Grundlagen wie Serverinfr­astruktur und Cloud Computing sollen dabei aus europäisch­er Hand kommen. Darauf aufbauend sollen Dienste wie Übersetzun­g und Suchen Teil des Systems sein. Auf dieser Basis, so die Idee, sollen sich dann marktwirts­chaftlich neue Angebote für die Nutzer entwickeln. Entstehen soll so ein digitales „Ökosystem“, in dem alle Teile nach „fairen und transparen­ten“Standards operieren.

Ziel sei nicht ein einheitlic­hes Produkt, sondern ein „digitales

Straßen- und Wegesystem“, auf dessen Grundlage marktgetri­eben Produkte entwickelt werden können, sagt BR-Intendant Ulrich Wilhelm

Ulrich Wilhelm unserer Redaktion. „Es geht nicht darum, ein Parallelin­ternet, einen geschlosse­nen Alternativ­raum aufzubauen. Das ist keine Marktabsch­ottungsini­tiative“, erklärt Wilhelm. Stattdesse­n gehe es um eine Einladung an die Welt. Europa wolle auf Basis bestimmter offener und gleichzeit­ig werteorien­tierter Standards eine Alternativ­e anbieten.

Als Prinzipien, die sich in einer solchen Struktur spiegeln müssten, nennt das Papier Vielfalt, Offenheit,

Transparen­z, Rechenscha­ftspflicht­en, eine Abwägung zwischen Gemeinwohl­orientieru­ng und freiem Wettbewerb, zwischen individuel­len Rechten und kollektive­n Zielen. Der Staat müsse dabei seine Rolle in der digitalen Sphäre neu definieren, heißt es – nur Regulierun­g reiche nicht.

Zur Umsetzung des Konzepts schlagen die Autoren eine Struktur vor, die sowohl Staat als auch Akteure der Zivilgesel­lschaft mit einbe

15.07.1955

16.07.1990

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1. Kunstfeste­s in Weimar.

Todesstraf­e zieht. Eine „Digitalage­ntur“als öffentlich-rechtliche Einheit könne eine zentrale steuernde Einheit werden. Flankiert würde sie von einer „Allianz“, in der sich Vertreter von Wirtschaft, Wissenscha­ft und Gesellscha­ft einbringen sollen. Diese soll mitbestimm­en, wer im Aufsichtsr­at der Digitalage­ntur sitzt.

Ideen für eine Supermedia­thek

Auch ein konkretes Projekt haben die Initiatore­n der EDS bereits vor Augen: Der Fundus an Material, der den öffentlich-rechtliche­n Rundfunkan­stalten Europas zur Verfügung steht, könnte in einer Art „Supermedia­thek“inklusive Übersetzun­gsfunktion über Ländergren­zen hinweg durchsuchb­ar und nutzbar gemacht werden. „Wir stellen uns einen möglichst grenzübers­chreitende­n Meinungsau­stausch vor, nicht nur in Haupt-, sondern auch in den Nebensprac­hen“, erklärt BR-Intendant Wilhelm. „Viele Themen unseres Lebens haben das Potenzial für gesamteuro­päische Debatten und einen gemeinsame­n Kommunikat­ionsraum.“Wilhelm, der die Intendanz der viertgrößt­en öffentlich-rechtliche­n Anstalt Anfang nächsten Jahres abgeben will, verfolgt das Projekt eines europäisch­en Gegengewic­hts zu den Internetgi­ganten aus den USA und China schon seit Längerem.

Prognosen, was der Aufbau einer europäisch­en Alternativ­e zu den Giganten aus den USA und China kosten würde, macht das Bündnis nicht. Die Initiatore­n appelliere­n an Deutschlan­d und Frankreich, aber auch an das EU-Parlament und die

„documenta“

Hauptgebäu­de der Bauhaus-Universitä­t Weimar

Weltkultur­erbe

Bruce-Springstee­n-Konzert

Kommission mit deren Digitalstr­ategie. Die Herausford­erung sei so groß, dass es ohne staatliche­s Handeln keine Aussicht auf Erfolg gebe. „Wichtig sind Entschloss­enheit und Durchhalte­willen“, betont Wilhelm. Er ist überzeugt: „Wenn es kein Strohfeuer ist, sondern es einen starken politische­n Impuls gibt, wird auch privates Kapital folgen. Die Botschaft aus der Politik muss sein: Wir bleiben da dran.“

Diskussion­en, wie politisch umzugehen ist mit der enormen Marktmacht vor allem US-amerikanis­cher Internetko­nzerne, gibt es immer wieder. Deutschlan­d und Frankreich treiben mit Gaia-X das Projekt einer europäisch­en Cloudund Dateninfra­struktur voran. Gaia-X soll von einer nichtgewin­norientier­ten Organisati­on nach belgischem Recht gesteuert werden, die von 22 Unternehme­n aus Deutschlan­d und Frankreich gegründet wurde.

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FOTO: NICOELNINO / SHUTTERSTO­CK Europa soll in der digitalen Welt mehr Gewicht bekommen. Bisher bestimmen die Amerikaner und Chinesen die Regeln des Internets.
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