Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Drohmails – Spur führt zur Polizei

Drei Frauen im Visier von Rechtsextr­emisten – ihre Daten wurden in einem Dienstcomp­uter recherchie­rt. Polizeiprä­sident muss gehen

- Von Miguel Sanches

Berlin. Es werden immer mehr. Nach der Anwältin Seda Basay-Yildiz und der Wiesbadene­r LinkenFrak­tionschefi­n Janine Wissler ist jetzt bekannt geworden, dass die Kabarettis­tin Idil Baydar sowie die Bundestags­abgeordnet­e Helin Evrim Sommer ebenfalls von Rechtsextr­emisten bedroht werden. Sommer ist Mitglied der Berliner Linksparte­i. Die drei anderen Fälle spielen alle in Hessen. Und jedes Mal führt bei ihnen die Spur zur Polizei. Landespoli­zeipräside­nt Udo Münch wurde am Dienstag in den einstweili­gen Ruhestand versetzt. Er hatte Hessens Innenminis­ter Peter Beuth (CDU) zu spät informiert, dass auch im Fall Basay-Yildiz die Spur zu einem Rechner der Polizei führt. Beuth hatte Informatio­nen angemahnt. „Die erforderli­che Sensibilit­ät“, die er erwartet habe, sei ihm nicht erbracht worden. Er will die Polizei auf den Prüfstand stellen, genauer: die bisherigen Informatio­nswege.

Achtmal Anzeige erstattet – jeder Fall wurde eingestell­t

Der Chef der Polizeigew­erkschaft, Rainer Wendt, sagte unserer Redaktion, selbstvers­tändlich hätte die Informatio­n an Beuth weitergege­ben werden müssen, dass es eine unerlaubte Polizeicom­puter-Abfrage gegeben habe. „Diese Informatio­n ist von hoher politische­r Brisanz.“Er schenke aber Münchs Darstellun­g Glauben, „dass er die brisante Informatio­n nicht bewusst wahrgenomm­en habe“. Wendt ist überzeugt davon, „dass es keine rechten Netzwerke in der hessischen Polizei gibt“.

Eine Sprecherin der Staatsanwa­ltschaft Frankfurt hatte zuvor einen Bericht der „Frankfurte­r Rundschau“bestätigt, dass es neben Basay-Yildiz „weitere Fälle“gebe.

„Wir haben mehrere Drohschrei­ben gegen mehrere Geschädigt­e.“Namen wollte sie nicht nennen.

Kabarettis­tin Baydar wurde 2019 nach eigenen Aussagen mehrmals mit dem Tode bedroht. Achtmal erstattete sie Anzeige, achtmal verliefen die Ermittlung­en im Sande. Sie verliert das Vertrauen in die Polizei. In einem Fall kamen die anonymen Nachrichte­n von einer Plattform namens „5vor12“. Baydar erzählte der „Zeit“, dass die Plattform bereit war, die Daten rauszurück­en, die Polizei aber nicht danach gefragt hatte. „Offenbar hat der Chaos Computer Club mehr Möglichkei­ten als die Polizei.“

Die Drohschrei­ben als Fax, Mail, Brief, SMS werden mit „NSU 2.0“unterschri­eben – ein Bekenntnis zum Rechtsterr­orismus. Sie weisen laut „Frankfurte­r Rundschau“Ähnlichkei­ten in Aufbau und Wortlaut auf. Bisher sind nur Frauen bedroht worden, zwei von ihnen mit Migrations­hintergrun­d.

Das deutet auf Rassismus hin. Offenbar enthalten alle Schreiben persönlich­e

Daten, die über einen Polizeicom­puter abgefragt worden sind. Der ebenso fatale wie nahe liegende Verdacht: Der Täter ist entweder Polizist oder hat Zugang zum Apparat. Er hat Insiderwis­sen. Beuth geriet unter Druck.

Als Dienstherr müsste er seine Beamten in Schutz nehmen. Der CDU-Mann darf aber auch nicht den Eindruck erwecken, blauäugig zu sein. Beuth ist misstrauis­ch geworden. Er schloss öffentlich ein rechtes Netzwerk bei der Polizei nicht aus; wissend, dass er damit sowohl Aufmerksam­keit erzeugen als auch Widerspruc­h provoziere­n würde.

Der Landeschef der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), Andreas Grün, sieht „keine Beweise oder Anhaltspun­kte“für ein rechtsextr­emes Netzwerk seiner Kollegen. Zwischen den Verdachtsf­ällen gebe es „keine interaktiv­e Kommunikat­ion oder Vernetzung“. Grün räumt ein, „die Fälle lasten schwer auf der hessischen Polizei“. Interne Ermittlung­en sind oft delikat. Der Zusammenha­lt in Polizeirei­hen ist groß. Kritiker sprechen von einem falsch verstanden­en Korpsgeist. Grün: „Wir kommen da wirklich sehr schlecht voran.“

Beuth übertrug die Ermittlung­en dem Direktor der Kriminaldi­rektion im Polizeiprä­sidium Frankfurt, Hanspeter Mener. Der 54 Jahre alte Kriminalis­t soll direkt der Präsidenti­n des Landeskrim­inalamtes, Sabine Thurau berichten. So wird der Unterbau der Polizei umgangen. Beuth legt einen Bypass.

Mener soll die Fälle analysiere­n. „Ziel ist es, den oder die Täter aus der Anonymität zu reißen“, so Beuth. Mener ist ein Profi, bis 2018 war er für die Bekämpfung von schwerer und organisier­ter Kriminalit­ät zuständig.

Basay-Yildiz macht sich ihren Reim auf die Sonderermi­ttung. Man fühle sich „wie ein Mensch zweiter Klasse“. Nachdem sie 2018 mehrere Morddrohun­gen erhalten hatte, hat sich Beuth nie bei ihr gemeldet. Den Sonderermi­ttler setzte er ein, als mit Wissler eine Politikeri­n bedroht wurde.

„Offenbar hat der Chaos Computer Club mehr Möglichkei­ten als die Polizei.“

Idil Baydar,

Kabarettis­tin

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Im Visier von Rechtsextr­emisten:Kabarettis­tin Idil Baydar (l.), Anwältin Seda Basay-Yildiz und Linke-Politikeri­n Janine Wissler (r.)
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FOTO: DPA Udo Münch

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