Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Zu arm, um sich zu schützen
In Ländern wie Mexiko, Indien und Ägypten leben viele Menschen dicht an dicht: Die Zahl der Corona-Neuinfektionen steigt rapide
Berlin. Die Warnung hätte drastischer nicht ausfallen können. „Das Virus bleibt Staatsfeind Nummer eins, aber das Verhalten vieler Regierungen und Menschen spiegelt das nicht wider“, kritisierte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus. Viele Länder würden die Maßnahmen gegen die CoronaPandemie zu schnell lockern. Am Sonntag hatte die WHO einen Tagesrekord von 230.000 Neuinfektionen weltweit gemeldet. Die Zahlen schnellen vor allem in Ländern hoch, wo die Menschen dicht zusammenleben und zur Arbeit gezwungen sind, um zu überleben.
Brasilien
Mit Besorgnis blicken die Experten vor allem auf die Favelas, die typischen Armutsviertel, wie man sie zum Beispiel aus Rio de Janeiro kennt. In diesen engen und verschachtelten Gegenden, in denen Millionen Menschen leben, kann man weder Distanz halten, noch gibt es überall fließendes Wasser, um sich die Hände zu waschen. Zudem leben die Bewohner in aller Regel von der Hand in den Mund. Sie arbeiten in der Schattenwirtschaft, ohne Arbeitsvertrag. Wer nicht als Bauarbeiter, Hausmädchen, Altpapiersammler oder Wachmann täglich zur Arbeit geht, hat am nächsten Tag nichts zu essen. In der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas arbeiten rund 42 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in diesem sogenannten informellen Sektor. Bis Dienstag wurden in Brasilien fast 1,9 Millionen Infizierte und mehr als 72.000 Tote registriert. Täglich kommen rund 40.000 Neuansteckungen dazu.
Mexiko
Die Zahlen können María Solís nicht schrecken.
35.000 Corona-Tote verzeichnete Mexiko bis Dienstag. Mehr als
300.000 Menschen haben sich im größten Land Mittelamerikas infiziert – Tendenz rasant steigend. Aber die 32-jährige Obsthändlerin trotzt der Pandemie und stellt sich jeden Tag mit ihrem Pick-up-Wagen ins Zentrum von Mexiko-Stadt. Sie muss eine Familie ernähren. Daher hat sie auf ihrem Fahrzeug ein Plakat angebracht, auf dem steht: „Mich bringt nicht das Coronavirus um, aber der Hunger: Ihr könnt eure Panikkäufe auch bei mir machen!“
Ägypten
Mit einem über Kairo eingereisten Chinesen erreichte die Corona-Pandemie am
14. Februar den afrikanischen Kontinent. Bis Dienstag wurden in dem Land mit 105 Millionen Einwohnern mehr als 83.000 Menschen infiziert. Fast 4000 Todesfälle gab es. Derzeit kommen jeden Tag rund
950 neue Infektionen hinzu. Trotz der hohen Zahlen hat die Regierung zuletzt die Ausgangsbeschränkungen gelockert. Die vielen Beschäftigten im informellen Sektor sollten wieder Einkommensmöglichkeiten bekommen. Seit dem 1. Juli nimmt das stark vom Tourismus abhängige Land schrittweise wieder Flughäfen in Betrieb und öffnet Strände und Hotels.
Südafrika
Mit einem der striktesten Lockdowns der Welt hatte Südafrika die Pandemie zunächst im Griff. Doch weil die Wirtschaft stark unter den strengen Maßnahmen litt, lockerte die Regierung die Maßnahmen seit Anfang Juni schrittweise. In der Folge entwickelte sich das 58 Millionen Einwohner zählende Land zu einem der neuen globalen Corona-Hotspots. Knapp 290.000 Menschen haben sich nachweislich infiziert, 4172 starben. Zuletzt kamen jeden Tag zwischen 10.000 und 13.700 Neuinfektionen hinzu. Besonders stark betroffen sind die armen Bewohner der Townships in den größeren Städten. In den dicht besiedelten Slums können sie keinen Sicherheitsabstand einhalten. Um einen Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern, hat die Regierung jetzt erneut eine nächtliche Ausgangssperre verhängt und den Verkauf von Alkohol verboten.
Indien
Mit rund 907.000 Infizierten ist Indien nach den USA und Brasilien das Land mit den meisten nachgewiesenen Corona-Infektionen. Bis Dienstag sind fast 24.000 Menschen am Virus gestorben. Derzeit werden jeden Tag rund 28.000 Neuinfektionen festgestellt. Aufgrund mangelnder Testkapazitäten dürfte die tatsächliche Zahl deutlich höher liegen. Viele Kliniken sind überfüllt. Mit dem größten Lockdown der Welt hat die indische Regierung seit März versucht, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und das marode Gesundheitssystem nicht zu überfordern. Um einen noch dramatischeren Einbruch der Wirtschaft zu verhindern, wurden viele Einschränkungen seit Anfang Juni schrittweise zurückgenommen. Weil die Infektionskurve jetzt steil nach oben zeigt, wurden die Lockerungen in einigen Bundesstaaten wieder zurückgenommen.
Bangladesch
Mit rund 3000 neuen Infektionen pro Tag breitet sich Corona rasch in Bangladesch aus. Im am dichtesten besiedelten Flächenstaat der Welt haben sich bis Dienstag mehr als 190.000 Menschen angesteckt, mindestens 2424 sind an Covid-19 gestorben. Weil im 165-Millionen-Einwohner-Staat kaum getestet wird, dürfte die Dunkelziffer höher sein. Mitte Mai erreichte die Pandemie auch Kutupalong, das größte Flüchtlingslager der Welt im Süden des Landes. Dort leben rund eine Million Rohingya, die vor Massakern aus Myanmar flohen.