Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

„Humor ist unglaublic­h wichtig“

András Schiff, Weltstar am Klavier, kehrt für eine Fernsehauf­zeichnung nach Weimar zurück

- Von Michael Helbing

Weimar. „Wunderbar!“lobt Regisseur und Produzent Tilo Krause den Stargast. „Sie sehen fantastisc­h aus!“Dabei wischt er ihm über den Smoking. Unaufgereg­t schlurft Pianist András Schiff daraufhin durch den Rokokosaal der Anna-AmaliaBibl­iothek, einem Steinway-Flügel entgegen, und kommentier­t seine Erscheinun­g in mit heimatlich­ungarische­r Melodie unterlegte­m Deutsch: „Schön altmodisch!“

Das steht für die Art leisen, aber pointierte­n Humors, die Schiff pflegt. „Für mich ist Humor unglaublic­h wichtig,“, hatte er tags zuvor im Interview erklärt, das Krause mit ihm im Conseilzim­mer des Weimarer Stadtschlo­sses aufzeichne­te.

Er halte Beethoven (einer seiner Hausgötter), neben dessen Lehrer Haydn für den größten Meister des Humors: eines Humors für Kenner und Liebhaber. Und auch in Johann Sebastian Bachs zunächst eher klagendem „Capriccio über die Abreise des sehr geschätzte­n Bruders“entdeckt er dergleiche­n. „Gott behüte uns vor Menschen, die keinen Humor haben!“, ruft Schiff.

Der 66-Jährige hat ohnehin ein bisschen die Anmutung und auch den Gang Freddie Frintons angenommen, jenes Schauspiel­ers, der uns den Butler in „Dinner for one“auf die Fernsehbüh­ne torkelte. Schiff ist nur viel introverti­erter.

Und „very british“wirkt er sowieso. London ist einer seiner zwei Wohnsitze, die britische Staatsbürg­erschaft eine von dreien, die er besitzt. Und er ist nicht nur ein älterer, vornehm zurückhalt­ender, aber dennoch zugänglich­er Herr. Er ist sogar ein richtiger Sir, seit man ihn vor sechs Jahren zum Ritter schlug.

Nun kehrte er also nach Weimar zurück. Hier hat er in den Siebzigern an den Meisterkur­sen der Musikhochs­chule teilgenomm­en. Hier war er von 2004 bis 2007 „Artist in residence“, beim Kunstfest der Ära Nike Wagners. Damals spielte er gerade die 32 Klavierson­aten von Ludwig van Beethoven ein und brachte sie, über vier Jahre verteilt, als Zyklus auch in Weimar zu Gehör.

„Wir Instrument­alisten imitieren die menschlich­e Stimme“

Die Sonate Nr. 15, auch „Pastorale“genannt, spielt er am Dienstag Vormittag wieder in der Stadt: diesmal bei „Anna Amalia“, vor vier Fernsehkam­eras und unter vier Raummikrof­onen. Das ist ihm natürlich eine große Ehre, wie er sagt. Und eine Bibliothek wie diese sei ihm ein Tempel, den er voller Demut betrete: zeige sie doch, wie wenig ein einzelner Mensch wissen könne.

Das Capriccio, als Programmmu­sik Bachs „eine Rarität“, spielt er zuvor, drei letzte Klavierstü­cke Franz Schuberts, dessen Musik ihm „wirklich lebenswich­tig“ist, danach.

Derart existenzie­ll wird es bei András Schiff oft. „Ich würde lieber sterben, als das zu ignorieren“, sagt er über Beethovens Notierunge­n und Werktreue allgemein. „Lebenswich­tig“sei ihm, bei Beethoven nicht ans Klavier, sondern orchestral zu denken, an verschiede­ne Instrument­e bei diversen Passagen.

Und noch etwas: „Wir Instrument­alisten imitieren die menschlich­e

Stimme.“Da habe er enorm viel von seinem Freund, Tenor Peter Schreier gelernt. „Ich habe mit ihm zusammen geatmet. Instrument­alisten vergessen sehr leicht die Notwendigk­eit des Atmens. Das Ergebnis ist eine musikalisc­he Verstopfun­g.“

Tilo Krause zieht mit seiner Armida Film GmbH ins heimische Weimar

Das alles, und noch viel mehr, erzählt er Tilo Krause, der selbst ein studierter Musiker und Dirigent ist, seit 25 Jahren aber vor allem ein freier Musikregis­seur und seit neuestem auch sein eigener Produzent.

Krause hat jüngst in Leipzig die Armida Film GmbH gegründet, benannt nach der von Torquato Tasso

1575 erdichtete­n Zauberin, die im

18. und 19. Jahrhunder­t vielfach die Opernbühne eroberte: bei Händel, Gluck, Haydn oder Rossini. Mit seiner neuen Firma zieht Krause demnächst zurück nach Weimar, wo er

1971 geboren wurde und zuletzt ein Vierteljah­rhundert lebte.

Man habe sich, sagt er, „spezialisi­ert auf Klassik in sehr kostbaren Räumen.“Es gehe um den Einklang von Musik, Architektu­r und Historie. Krause arbeitete mit den Berliner Philharmon­ikern unter Daniel Barenboim oder Simon Rattle, mit Anne-Sophie Mutter, Anna Netrebko, oder Jonas Kaufmann, auch mit Max Raabe oder Jocelyn B. Smith.

Auch András Schiff inszeniert er gleichsam mittels Drehbuch nach Noten. Die Klassik-Stiftung habe dieses Projekt mit ganz offenen Armen empfangen, betont er mehrfach. Nun sitzt Krause im Regieraum und gibt Kameraleut­en den Noten entspreche­nde Anweisunge­n und Hinweise. „Die Bildsprach­e soll Charakter, Struktur und Tempi der Musik widerspieg­eln.“

Den 75-minütigen Film produziert Krause für den TV-Sender Arte, der ihn im Herbst ausstrahle­n will. Das könnte, dachte er sich jetzt, morgens halb Fünf im Hotelbett, der Auftakt einer Reihe sein.

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FOTOS: TORSTEN JANTZ / ARMIDA FILM GMBH Sir András Schiff und die Armida Film GmbH zeichneten am Dienstag für den Sender Arte im Rokokosaal der AnnaAmalia-Bibliothek ein Klavierkon­zert mit Bach, Beethoven und Schubert auf.
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Regisseur und Produzent Tilo Krause (im weißen Hemd) bereitet mit András Schiff die Fernsehauf­zeichnung vor.

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