Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
„Humor ist unglaublich wichtig“
András Schiff, Weltstar am Klavier, kehrt für eine Fernsehaufzeichnung nach Weimar zurück
Weimar. „Wunderbar!“lobt Regisseur und Produzent Tilo Krause den Stargast. „Sie sehen fantastisch aus!“Dabei wischt er ihm über den Smoking. Unaufgeregt schlurft Pianist András Schiff daraufhin durch den Rokokosaal der Anna-AmaliaBibliothek, einem Steinway-Flügel entgegen, und kommentiert seine Erscheinung in mit heimatlichungarischer Melodie unterlegtem Deutsch: „Schön altmodisch!“
Das steht für die Art leisen, aber pointierten Humors, die Schiff pflegt. „Für mich ist Humor unglaublich wichtig,“, hatte er tags zuvor im Interview erklärt, das Krause mit ihm im Conseilzimmer des Weimarer Stadtschlosses aufzeichnete.
Er halte Beethoven (einer seiner Hausgötter), neben dessen Lehrer Haydn für den größten Meister des Humors: eines Humors für Kenner und Liebhaber. Und auch in Johann Sebastian Bachs zunächst eher klagendem „Capriccio über die Abreise des sehr geschätzten Bruders“entdeckt er dergleichen. „Gott behüte uns vor Menschen, die keinen Humor haben!“, ruft Schiff.
Der 66-Jährige hat ohnehin ein bisschen die Anmutung und auch den Gang Freddie Frintons angenommen, jenes Schauspielers, der uns den Butler in „Dinner for one“auf die Fernsehbühne torkelte. Schiff ist nur viel introvertierter.
Und „very british“wirkt er sowieso. London ist einer seiner zwei Wohnsitze, die britische Staatsbürgerschaft eine von dreien, die er besitzt. Und er ist nicht nur ein älterer, vornehm zurückhaltender, aber dennoch zugänglicher Herr. Er ist sogar ein richtiger Sir, seit man ihn vor sechs Jahren zum Ritter schlug.
Nun kehrte er also nach Weimar zurück. Hier hat er in den Siebzigern an den Meisterkursen der Musikhochschule teilgenommen. Hier war er von 2004 bis 2007 „Artist in residence“, beim Kunstfest der Ära Nike Wagners. Damals spielte er gerade die 32 Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven ein und brachte sie, über vier Jahre verteilt, als Zyklus auch in Weimar zu Gehör.
„Wir Instrumentalisten imitieren die menschliche Stimme“
Die Sonate Nr. 15, auch „Pastorale“genannt, spielt er am Dienstag Vormittag wieder in der Stadt: diesmal bei „Anna Amalia“, vor vier Fernsehkameras und unter vier Raummikrofonen. Das ist ihm natürlich eine große Ehre, wie er sagt. Und eine Bibliothek wie diese sei ihm ein Tempel, den er voller Demut betrete: zeige sie doch, wie wenig ein einzelner Mensch wissen könne.
Das Capriccio, als Programmmusik Bachs „eine Rarität“, spielt er zuvor, drei letzte Klavierstücke Franz Schuberts, dessen Musik ihm „wirklich lebenswichtig“ist, danach.
Derart existenziell wird es bei András Schiff oft. „Ich würde lieber sterben, als das zu ignorieren“, sagt er über Beethovens Notierungen und Werktreue allgemein. „Lebenswichtig“sei ihm, bei Beethoven nicht ans Klavier, sondern orchestral zu denken, an verschiedene Instrumente bei diversen Passagen.
Und noch etwas: „Wir Instrumentalisten imitieren die menschliche
Stimme.“Da habe er enorm viel von seinem Freund, Tenor Peter Schreier gelernt. „Ich habe mit ihm zusammen geatmet. Instrumentalisten vergessen sehr leicht die Notwendigkeit des Atmens. Das Ergebnis ist eine musikalische Verstopfung.“
Tilo Krause zieht mit seiner Armida Film GmbH ins heimische Weimar
Das alles, und noch viel mehr, erzählt er Tilo Krause, der selbst ein studierter Musiker und Dirigent ist, seit 25 Jahren aber vor allem ein freier Musikregisseur und seit neuestem auch sein eigener Produzent.
Krause hat jüngst in Leipzig die Armida Film GmbH gegründet, benannt nach der von Torquato Tasso
1575 erdichteten Zauberin, die im
18. und 19. Jahrhundert vielfach die Opernbühne eroberte: bei Händel, Gluck, Haydn oder Rossini. Mit seiner neuen Firma zieht Krause demnächst zurück nach Weimar, wo er
1971 geboren wurde und zuletzt ein Vierteljahrhundert lebte.
Man habe sich, sagt er, „spezialisiert auf Klassik in sehr kostbaren Räumen.“Es gehe um den Einklang von Musik, Architektur und Historie. Krause arbeitete mit den Berliner Philharmonikern unter Daniel Barenboim oder Simon Rattle, mit Anne-Sophie Mutter, Anna Netrebko, oder Jonas Kaufmann, auch mit Max Raabe oder Jocelyn B. Smith.
Auch András Schiff inszeniert er gleichsam mittels Drehbuch nach Noten. Die Klassik-Stiftung habe dieses Projekt mit ganz offenen Armen empfangen, betont er mehrfach. Nun sitzt Krause im Regieraum und gibt Kameraleuten den Noten entsprechende Anweisungen und Hinweise. „Die Bildsprache soll Charakter, Struktur und Tempi der Musik widerspiegeln.“
Den 75-minütigen Film produziert Krause für den TV-Sender Arte, der ihn im Herbst ausstrahlen will. Das könnte, dachte er sich jetzt, morgens halb Fünf im Hotelbett, der Auftakt einer Reihe sein.