Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Briefe aus dem Zweiten Weltkrieg
Erst vor ein paar Monaten haben wir das 75-jährige Ende des Zweiten Weltkrieges begangen, eines Krieges, der millionenfaches Leid in vielerlei Hinsicht brachte. Auch aus Thüringen müssen nach dem 1. September 1939 die Ehemänner, Väter, Söhne und Brüder an die Front. Hier erleben sie den Krieg auf unterschiedliche Weise.
Mancher lebt bis zum Ende in der Überzeugung, das „Richtige“getan zu haben, andere haben Zweifel an ihrem Tun.
Da ist etwa der junge Katholik Franz Siebeler aus Nordhausen. Gut zwei Monate vor seinem 21.
Geburtstag wird er zur Wehrmacht eingezogen und zur Grundausbildung nach Weimar geschickt. Anschließend kommt er auf den Balkan und nimmt danach mit seiner Einheit am Russlandfeldzug teil. Seinen Eltern schildert er recht ausführlich seine Erlebnisse, so auch den Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion.
Am 21. Juni 1941, einen Tag vor der Offensive, schreibt er nach Hause: „Morgen früh wird der Tanz hier wohl losgehen.“Und Siebeler ist sich sicher: „...mit dem Russen wäre ja auf Dauer doch keine Freundschaft möglich gewesen“, da die Russen ihrerseits angeblich „auf die günstige Gelegenheit gewartet [hätten], über uns herzufallen“. In seinen Augen würden „diese Mörder und Gottesleugner […] schon ihre Strafe kriegen“.
Ob bei dieser Einschätzung jugendlicher Übermut oder das nationalsozialistische Erziehungssystem eine Rolle spielt, bliebt offen. In jedem Fall wird bei Franz Siebeler im weiteren Verlauf des Feldzugs der Zwiespalt zwischen der persönlichen Motivation zu kämpfen und der Realität des Krieges immer deutlicher. In seinem letzten überlieferten Brief beschreibt er Ende November 1941 seinen Eltern unter anderem die Zustände in Russland und meint dabei, dass diese Verelendung vor allem die Schuld des Bolschewismus sei. Sein Fazit: „Dieser Krieg gegen die verbrecherische Arbeit des Bolschewismus ist der Kampf der gerechten Sache.“Zugleich zeigt er sich tief erschüttert über den Tod eines Freundes, den er „noch leibhaftig vor [seinen] Augen mit seiner blonden Haarlocke“gesehen hat. Dazu meint Siebeler: „Der Krieg ist bitter, sehr bitter.“ Und da es nur noch wenige Wochen bis zum Weihnachtsfest sind, kommt Siebeler fast ein wenig resigniert zu dem Schluss: „Weihnachten, Fest des Friedens! Aber die Menschen wissen nichts vom Frieden, nur Krieg steht in jeder Zeile.“
Dann ist da der gestandene Pfarrer Karl-Friedrich Harney. Der Geistliche aus einem kleinen Dorf bei Arnstadt dient zunächst in Polen und Frankreich und kommt anschließend mit der 6. Armee bis vor Stalingrad, wobei er ihrem Schicksal entgeht und später in der Ukraine kämpft. Als Pfarrer und Christ sieht er es als seine Pflicht, im Kampf nicht zurück zu stehen und begründet dies mit dem Bibelwort aus Johannes 15, Vers 13: „Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde“.
Doch im Anschluss, es wird sein letzter Brief sein, teilt er seiner Frau Ende November 1943 mit: „Allerdings eine Rechtfertigung fehlt mir für diesen Krieg heute, dass er im Kampf unsererseits gegen das Böse in der Welt ist.“
Beide Männer finden kein glückliches Ende.
Franz Siebeler fällt kurz vor seinem 23. Geburtstag bei Stalingrad, Karl-Friedrich Harney stirbt mit 34 Jahren und liegt unbestattet bei Federowka nordwestlich von Schytomyr.