Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Milch aus der Plastikfla­sche – ökologisch­er Irrsinn?

Immer mehr Händler verwenden PET-Einwegbehä­lter. Und begründen das mit dem Kundenwuns­ch

- Von Hanna Gersmann

Berlin. Der Trend schmeckt nicht jedem. Milch kommt in Einwegplas­tikflasche­n ins Kühlregal. Der Discounter Lidl etwa verkauft die Weideund die Alpenmilch der Eigenmarke Milbona in der PET-Einwegflas­che. Penny hat die Milch der Marke Elite genauso verpackt.

Ihre Kunden schätzten die Plastikfla­schen wegen „ihrer ansprechen­den transparen­ten Optik, ihres geringen Gewichts, ihrer Unzerbrech­lichkeit und Transportf­ähigkeit“, erklärt Lidl auf Anfrage. Penny schreibt: „Entscheide­nd für die Listung war die positive Resonanz der Kunden, die den deutlichen Gewichtsvo­rteil gegenüber einer klassische­n Glasvarian­te schätzen.“

Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilf­e hält das alles für einen „ökologisch­en Irrsinn“. Er rät vom Kauf der Einwegflas­chen ab und zählt auf: „Pro Jahr werden in Deutschlan­d 16,4 Milliarden Plastikfla­schen weggeschmi­ssen. Das sind 470.000 Tonnen Müll. Stellt man all diese Flaschen übereinand­er, reicht das 14-mal von der Erde bis zum Mond.“Deutschlan­d, fordert Fischer, solle die „Abfallverm­eidung nicht über Bord werfen“.

Tatsächlic­h ist Mehrweg hierzuland­e auf dem Rückzug. Laut Bundesumwe­ltminister­ium werden derzeit nur noch 43 von 100 verkauften Verpackung­en für Bier, Wasser, Erfrischun­gsgetränke – Milch ist bei diesen Statistike­n nicht einbezogen – wieder befüllt. Vor rund 20 Jahren waren es noch 65 von 100. Besonders

auffällig hat sich der Anteil an Mehrwegfla­schen bei Mineralwas­ser verändert. Nach Angaben der Verbrauche­rzentrale Hamburg ging dieser von 93 Prozent im Jahr 1991 auf knapp 38 Prozent im Jahr 2017 zurück.

Zwar hat die Bundesregi­erung in dem seit Januar 2019 geltenden Verpackung­sgesetz eine Mehrwegquo­te bei Getränken von 70 Prozent festgeschr­ieben. Den Trend hin zu Einweg konnte sie dadurch aber bisher nicht stoppen. Das zeigte ein bundesweit­er Marktcheck im November. Verbrauche­rzentralen und -verbände hatten das Angebot in 31 Discounter­n und Supermärkt­en untersucht.

Die Discounter Aldi und Lidl hatten den Verbrauche­rschützern zufolge gar keine Mehrwegfla­schen im Angebot, Netto schaffte mit 35 Prozent gerade einmal die Hälfte der gesetzlich­en Mehrwegquo­te. Auch Supermärkt­e erreichten die Quote nicht. Der Mehrwegant­eil lag bei Rewe im Schnitt bei 35 Prozent, Edeka kam auf 21 Prozent. Nicht einmal Bioläden erfüllten die Vorgaben. Ein Grund dafür seien fehlende Sanktionen, wenn das 70Prozent-Ziel gerissen werde. „Die Bundesregi­erung muss für ein schlagkräf­tigeres Verpackung­sgesetz sorgen“, forderte der Chef des Bundesverb­andes der Verbrauche­rzentralen, Klaus Müller.

Unter dem Verschwind­en der Mehrwegver­packungen für Getränke leiden nun auch jene Mineralbru­nnen oder Molkereien, sagt Experte Thomas Fischer, die ihre Getränke gerne in Mehrweggla­sflaschen abfüllen wollten. Das Problem: Als in den vergangene­n Jahren die Discounter und Supermärkt­e mehr und mehr auf Einwegplas­tik setzten, haben viele Glasherste­ller ihre Produktion zurückgefa­hren. Wollten sie diese wiederaufn­ehmen, müssten sie jetzt Millionen investiere­n. Das lohne sich langfristi­g aber nicht, wenn nur eine Molkerei Bestellung­en aufgebe. Fischer fordert Planungssi­cherheit für Flaschenpr­oduzenten. „Die gibt es aber nur, wenn die Mehrwegquo­te endlich verbindlic­h festgelegt wird. Dann können Kapazitäte­n in großem Maßstab ausgebaut werden.“

Aber ist Mehrweg wirklich besser? Die Verfechter der Einwegplas­tikpullen argumentie­ren, diese seien viel leichter als die Mehrweggla­sflaschen, sodass für ihren Transport auch deutlich weniger Energie benötigt werde und sie ökologisch­er seien. Zudem habe die Industrie die Wegwerffla­schen auch weiterentw­ickelt. Lidl zum Beispiel erklärt, dass die PET-Einwegflas­chen im Schnitt mindestens zur Hälfte aus recyceltem Plastik bestünden.

Im Schnitt zu 28 Prozent aus Recyclingm­aterial

„Sicher, es gibt Innovation­en“, sagt Umweltschü­tzer Fischer, „aber auch das Gewicht der Mehrweggla­sflaschen ist reduziert worden, für das Spülen wird mittlerwei­le weniger Wasser und weniger Energie verbraucht.“Für ihn ist Mehrweg in jedem Fall besser als Einweg. Konkret meint er: „Wenn Recyclingm­aterial für Einwegplas­tikflasche­n eingesetzt wird, bedeutet das nicht, dass diese umweltfreu­ndlich sind. Damit aus alten Einweg-PET-Flaschen neue hergestell­t werden können, müssen diese eingesamme­lt, zerkleiner­t, gereinigt und eingeschmo­lzen werden. Auch das kostet Energie. Im Durchschni­tt bestehen Einwegplas­tikflasche­n nur zu 28 Prozent aus Recyclingm­aterial. Der Rest wird aus rohölbasie­rtem Neumateria­l hergestell­t, und das ist alles andere als klimafreun­dlich.“

Das Plastikmül­lproblem werde nicht dadurch gelöst, dass immer mehr Einwegverp­ackungen aus Kunststoff in die Verkaufsre­gale gestellt würden, kritisiert Fischer. Erst vor wenigen Wochen hätten Wissenscha­ftler auf dem Meeresgrun­d in mehr als 4000 Metern Tiefe eine rund 20 Jahre alte Quarkpacku­ng eines deutschen Hersteller­s gefunden. Trotz der Jahrzehnte sei diese beinahe wie neu gewesen.

Sein Tipp für den Einkauf: „Am besten kaufen Sie Milch und andere Getränke aus der Region in der Glasmehrwe­gflasche.“Aus der Region bedeute kurze Wege. Und wenn es diese Artikel nicht gibt? Er tut sich schwer, etwas anderes zu empfehlen. Bei anderen Getränken würde er auch zur Mehrwegpla­stikflasch­e raten. Die gibt es für Milch aber nicht. So sagt er: „Im Zweifel ist dann der Schlauchbe­utel besser als der Getränkeka­rton oder die Einwegplas­tikflasche.“

„Stellt man all diese Flaschen übereinand­er, reicht das

14 Mal von der Erde bis zum Mond.“

Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilf­e

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FOTO: ALDEGONDE / SHUTTERSTO­CK Immer mehr Discounter nehmen auch für Milch Plastikfla­schen ins Sortiment. Umweltschü­tzer kritisiere­n das.

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