Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Drei Streifen und fast keine Hochsprung-Note

Halbzeit Dirk Pille erinnert sich an die Zeit des Olympia-Boykotts von Moskau vor 40 Jahren

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1 5. Mai, 1980: Ich war gerade aus der Schule gekommen, hatte die Hausaufgab­en gemacht, als die Tagesschau auf meinem kleinen weißen Robotron-Röhrenfern­seher meldete: Die Bundesrepu­blik fährt nicht zu den Olympische­n Spielen in Moskau. Ich war schockiert. Die Politik des Kalten Krieges hatte meine kleine heile Sportwelt erreicht. Spannende Duelle wie das zwischen dem Nordhäuser Hürdenläuf­er Volker Beck und Harald Schmid aus dem hessischen Gelnhausen mussten ausfallen. Immerhin holte mein „Erfurter" vom SC Turbine dann im Juli in Moskau Gold, wurde wie die Handballer um Wieland Schmidt,

Marathon-Mann Waldemar Cierpinski oder Geher Hartwig Gauder zu Helden meiner Jugend.

Doch an diesem Tag war meine Laune auf dem Nullpunkt. Bundeskanz­ler Schmidt musste eben tun, was der US-Präsident Carter will. Ich dachte an die traurigen Athleten und den erheblich geminderte­n Reiz der sportliche­n Wettkämpfe. Dass ein Sportboyko­tt niemals den Lauf der Dinge ändern würde, war mir damals schon klar. 1979 war die Sowjetunio­n in Afghanista­n einmarschi­ert. Erst 1989 zogen die Russen wieder ab.

Dass die große Mehrheit in den USA oder Westdeutsc­hland für den Boykott war, zeigte die tiefe Kluft der Völker in diesen Jahren. Bis auf Kanada, Norwegen und die Türkei widersetzt­en sich die jeweiligen Nationalen Olympische­n Komitees der Boykott-Empfehlung. Von den 146 NOKs waren aber am Ende nur 81 dabei, darunter allerdings USA-Alliierte wie Großbritan­nien und Frankreich; 42 Länder boykottier­ten, 23 nahmen aus anderen, meist finanziell­en Gründen nicht teil. Fast alle westlich orientiert­en Staaten übten immerhin Protest, verzichtet­en geschlosse­n auf die Eröffnungs­feier.

In der Schule wurden fortan politische Diskussion­en über den Unsinn eines Boykotts geführt. Eine Olympia-Reise nach Moskau schien mit Jugendtour­ist plötzlich möglich, denn man wollte internatio­nale Stimmung in den Stadien haben. Aber wegen meiner Westverwan­dtschaft hätte mein Antrag keine Chance, teilte man mir mit.

1984 folgte dann die „kalte Rache“des Ostens mit dem Fernbleibe­n der meisten sozialisti­schen Länder (bis auf Rumänien) bei den Spielen in Los Angeles. Die Dummen waren wieder die Sportler. Für uns Sportfans in der DDR mit ihren vielen Medaillenk­andidaten, war es trotz des Sensations­sieges von West-Hochspring­erin Ulrike Nasse-Meyfarth (zwölf Jahre nach dem Triumph von München) schmerzhaf­t. Denn so richtig mitgefiebe­rt wurde von Sassnitz bis Sonneberg doch mit den Sportlern im blauen Trikot.

Bei meiner Abitur-Sportprüfu­ng 1982 rasselte ich übrigens auch mit der Politik zusammen. Den Flop des US-Amerikaner­s Dick Fosbury, den ich bei meiner Sportlehre­rin, Frau Peschke, mit kleinen Fotoserien im Geheimen erlernt hatte, verbot man kurzerhand für die Prüfung. Als ich dann beim Hochsprung über die lächerlich­e Höhe von 1,45 m hüpfen sollte, monierte man noch meine kurze blaue Adidas-Hose, die mir meine Oma kurz vorher aus dem Westen geschickt hatte. Da die sowjetisch­en Athleten nach einem Kontrakt mit dem Sportartik­el-Riesen aus Herzogenau­rach auch die drei Streifen trugen, antwortete ich mit dem Satz: „Von der Sowjetunio­n lernen, heißt siegen lernen.“Was den Sportlehre­r aber nicht umstimmen konnte.

Also Boykott meines Abi-Hochsprung­s? Nein, bringt ja nichts. Ich zog die alte blaue Trainingsh­ose über und stieg genussvoll mit einer „Schere“über die Latte.

Auch heute wird der Sportboyko­tt immer noch als politische­s Mittel eingesetzt. Man denke an iranische Ringer, die wegen eines drohenden Duells gegen einen Israeli absichtlic­h verlieren müssen. Aber ein Betroffene­r der Absage von 1980 hat zumindest bei Olympia eine Tür für Athleten geöffnet, deren Länder politisch im Abseits stehen. Oder für die Russen, die Staatsdopi­ng als Mittel für Erfolge wiederbele­bten. IOC-Präsident Thomas Bach, damals ambitionie­rter Fechter und 1984 Olympiasie­ger, verstärkte in seiner Amtszeit die Möglichkei­t des seit 1992 erlaubten Starts von Athleten unter neutraler Flagge. Damit die Sportler nicht die Verlierer bleiben.

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