Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Paritätsgesetz widerspricht der Verfassung
Gerichtshof kassiert Wahlrechtsänderung
Weimar. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat das Reißverschlussprinzip bei der Besetzung von Kandidatenlisten für Landtagswahlen mit Männern und Frauen für nichtig erklärt. Das im vergangenen Jahr vom Thüringer Landtag beschlossene Paritätsgesetz beeinträchtige das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie das Recht der politischen Parteien auf Betätigungsfreiheit, Programmfreiheit und Chancengleichheit, hieß es zur Begründung des Urteils am Mittwoch in Weimar.
„Das Paritätsgesetz widerspricht der Thüringer Verfassung und dem hineinwirkenden Bundesverfassungsrecht“, sagte der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Stefan Kaufmann.
Ziel der Gesetzesnovelle war es, den Anteil von Frauen im Parlament zu erhöhen. Erstmals hätte diese Regelung bei der im April 2021 anstehenden Landtagswahl gegolten. Sie kann nach der Gerichtsentscheidung aber nun keine Anwendung mehr finden. Gegen das Paritätsgesetz hatte die Thüringer AfD geklagt. Sie hatte argumentiert, dass die zwingende paritätische Besetzung der Kandidatenlisten die Parteien in ihrer Freiheit beschränke, selbst über die Kandidaten für Landtagswahlen zu entscheiden.
Der emeritierte Düsseldorfer Rechtswissenschaftler Martin Morlok hält das Urteil für wenig überraschend. „Die Debatte über solche paritätischen Regelungen läuft in mehreren Bundesländern und auf Bundesebene. Wenn ein Verfassungsgericht in Thüringen jetzt eine Entscheidung dazu getroffen hat, wird das sicher zur Dämpfung solcher Bestrebungen beitragen“, sagte Morlok. Seiner Ansicht nach müsse nun überprüft werden, ob es andere Hebel gebe, um mehr Frauen in die Politik zu bringen – etwa frauen- und familienfreundlichere Parteiarbeit.
Als erstes Bundesland noch vor Thüringen hatte Brandenburg im Januar 2019 ein Paritätsgesetz auf den Weg gebracht. Verfassungsrechtliche Bedenken gab es von Anfang an. Das dortige Verfassungsgericht verhandelt im August über das Paritätsgesetz. Morlok wies aber darauf hin, dass es in Brandenburg zumindest Ausnahmeregelungen gebe, die es in Thüringen nicht gegeben habe. Mit Blick auf die tragende Argumentation sei der Fall aber nicht grundsätzlich anders.
Die AfD begrüßte das Urteil. SPD und Linke sprachen zwar von einem Rückschlag, wollen aber an der Idee von Paritätsregelungen festhalten. Auf Bundesebene hatten Frauenministerin Franziska Giffey und die damalige Justizministerin Katarina Barley (beide SPD) dafür geworben, eine stärkere Vertretung von Frauen im Bundestag durchzusetzen. In Frankreich gibt es seit 2000 ein Parité-Gesetz.
Weimar. Vor dem Haus in der Weimarer Gutenbergstraße, in der der Verfassungsgerichtshof seine Sitzungen abhält, trotzen am Mittwochmorgen einige Bürgerinnen mit großen, pinkfarbenen Schirmen dem Nieselregen. „Parité tut nicht weh“steht auf einem der weißen Schilder, die sie auf die Stufen gelegt haben. Auf einem anderen: „Thüringer Verfassung, Art. 2. Abs. 2“. In diesem Artikel 2, Absatz 2, ist seit 1993 zu lesen: „Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Das Land, seine Gebietskörperschaften und andere Träger der öffentlichen Verwaltung sind verpflichtet, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen des öffentlichen Lebens durch geeignete Maßnahmen zu fördern und zu sichern.“
Der Absatz war die zentrale rechtliche Begründung für das Paritätsgesetz, das der Landtag vor einem Jahr mit der damals existierenden rot-rot-grünen Mehrheit verabschiedete. Es verpflichtete die Parteien dazu, zu Landtagswahlen mit quotierten Listen anzutreten, also Frauen und Männer gleichermaßen zu berücksichtigen. Zuvor hatte der Brandenburger Landtag eine ähnliche Regelung verabschiedet.
Die politische Begründung: Nur gut 40 Prozent der Landtagsabgeordneten waren weiblich – was an CDU und AfD lag, die im Unterschied zu Linken, SPD und Grünen keine echten parteiinternen Quoten praktizieren. Mit der Landtagswahl im Oktober, bei der das Paritätsgesetz noch keine Anwendung fand, sank der Anteil sogar auf 31 Prozent. So sind unter den insgesamt 44 Abgeordneten der Union und der AfD nur fünf Frauen.
Entsprechend heftig fiel der Widerstand der Opposition gegen die Wahlrechtsänderung aus. Aber auch die Mehrheit der Verfassungsrechtler bezweifelte die Legalität des Schritts. Der Eingriff in das Wahlrecht und die Freiheit der Parteien seien zu groß, sagten sie.
Die AfD, die schließlich Klage einreichte, durfte also damit rechnen, dass dies der Verfassungsgerichtshof genauso sieht. Und am Mittwoch, um kurz nach 10 Uhr, zeigt sich, dass die Partei richtig kalkuliert hat. Nachdem die sieben Richter und zwei Richterinnen maskiert in den Saal einmarschiert sind, verkündet Präsident Stefan Kaufmann: Das Paritätsgesetz ist nichtig. Die Regelungen, sagt er, beeinträchtigten das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl und die Rechte der Parteien – und damit gleichermaßen das aktive und passive Wahlrecht. Zwar seien Parteien frei, selbst Quoten einzuführen. Aber sie dürften eben nicht dazu gezwungen werden.
Darüber hinaus müsse jede Stimme der Wählerinnen und Wähler den gleichen Wert haben, sagte Kaufmann. Dies sei jedoch nicht gewährleistet, wenn nicht quotierte Listen zurückgewiesen würden.
Es ist ein Grundsatzurteil, das nicht nur Bedeutung für Brandenburg
hat, sondern für die anderen Länder, in denen ähnliche Gesetze vorbereitet werden. Und es ist eine Niederlage für Rot-Rot-Grün.
Richter Manfred Baldus, ein Sozialdemokrat, entkräftet als Berichterstatter das entscheidende Argument der Koalition und der Landesregierung. Ja, sagt er, das Gleichberechtigungsgebot in Artikel 2 sei ein wichtiges Staatsziel, das grundsätzlich für eine Einschränkung von Grundfreiheiten infrage komme.
Doch es rechtfertige nicht, derart stark in die Grundfreiheiten einzugreifen.
Es ist am Ende eine Abwägungsfrage – die übrigens drei der neun Richter anders beantworten, oder genauer: die beiden Richterinnen und ein Richter. Sie halten das Paritätsgesetz – gegebenenfalls mit Nachbesserungen – für verfassungsgemäß. Aber so ist das nun mal im Parlament wie vor Gericht: Die Mehrheit entscheidet.