Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Das Hoffen auf den Rettungsring
Mehrere Hallenbäder in Thüringen sind zu. Darunter leiden vor allem Kinder – wie in Gotha
Gotha. 34 Jahre ist es her. Saskia Merten könnte beim Erzählen melancholisch werden. Damals, 1986, hat sie im altehrwürdigen Stadt-Bad in Gotha das Schwimmen gelernt. Dort ist sie seit fünf Jahren als Schwimmlehrerin angestellt. Doch in dieser Funktion ruht derzeit ihr Job. Und das schon seit dem 16. März. An diesem Tag wurde das Bad wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Daran hat sich seitdem nichts geändert.
„Jeden Morgen, wenn ich das Haus betrete, bin ich kurz traurig“, erzählt Geschäftsführerin Annette Engel-Adlung. Ihr Blick streift dann das leere Becken, Wasser fehlt dort und ringsherum der Trubel. Und vielleicht stellt sich deshalb auch nur schwerlich das Gefühl von Wärme ein. „In den ersten Wochen hatte ich oft zur Jacke gegriffen, weil ich so gefroren habe.“
Seit 111 Jahren existiert das Stadt-Bad, das seit Generationen auch ein regelmäßiger Tummelund Spaßplatz für Kinder ist. „Aktuell fallen bei uns allein 17 Kurse für die Fünf- bis Achtjährigen aus, die das Schwimmen lernen wollen“, so Engel-Adlung. Das sei vor allem wegen der nun anstehenden Ferien bitter. Aber auch die Schulstunden sowie das Vereins- und Hobbyleben können nicht stattfinden. Wo sonst täglich Hunderte Gäste baden, herrscht seit vier Monaten gähnende Leere -- ein Zustand, der in den Sommerferien andauern wird.
Eine Hallen-Schließung wie in Gotha gibt es auch anderswo im
Freistaat. Annette Engel-Adlung kennt sich aus, sie ist zugleich Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen der Thüringer Bäder. Und so wird sie täglich mit den Sorgen und Hoffnungen der verschiedenen Einrichtungen konfrontiert.
„Viele trauen sich einfach nicht, wieder zu starten. Die Hallenbäder in Arnstadt, Apolda, Eisenberg, Jena und Zeulenroda-Triebes haben deshalb ebenfalls geschlossen.“Und jene, die geöffnet haben, etwa in Erfurt, Nordhausen oder Rudolstadt, beklagen allein durch die Einschränkungen und die vergleichsweise geringe Gästezahl enorme finanzielle Verluste.
Und so hat sich die Geschäftsführerin der Gothaer Bäder in einem
Brief an Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) gewandt. Mit der Bitte um Rettung, um wirtschaftliche Unterstützung, um die Aufnahme in eine Förderstruktur.
Annette Engel-Adlung steigt die Treppen ins geflieste Schwimmbecken hinab und berichtet: „Bildungsminister Holter hat zwar angekündigt, dass mit dem neuen Schuljahr ein Regelbetrieb garantiert wird, doch wir fragen uns, wie wir das finanziell hinkriegen sollen?“Stundenlang würde sie mit Mitarbeitern aus ihrem Team zusammensitzen, um Pläne aufzustellen. Ja, sie wollen und werden wieder öffnen. Aber nicht im Juli, sondern erst am 31. August. „Und nach jetzigem Stand mit begrenzten Öffnungszeiten und Kursen.“Das wird weitere Einbußen beim Umsatz, der bereits um 40 Prozent geschrumpft ist, nach sich ziehen.
Denn Corona erfordert ein umfangreiches Hygienekonzept, das nur mit mehr Personal und höheren Kosten umsetzbar ist.
Die gebürtige Eisenacherin gönnt den Thermen und Heilbädern in den Thüringer Kur- und Erholungsorten die Millionenhilfe, die das Land zugesagt hat. Dadurch konnten diese vielerorts ihren Betrieb wieder aufnehmen. Doch für Hallenbäder, die sich in kommunaler Trägerschaft befinden und ohnehin schon den höchsten Zuschuss erhalten, ist die Situation kompliziert und zugleich dramatisch. „Wir sind den Kommunen lieb und teuer. Doch sie müssen so viele Wünsche erfüllen, überlegen sich verständlicherweise mehrere Male, bevor sie uns weiteres Geld geben. Aber wir brauchen diese Unterstützung.“
Deshalb steht im Brief an den Ministerpräsidenten auch: „Durch die millionenschweren Verluste bei der Gewerbesteuer können sich die Städte und Gemeinden den wieder anlaufenden Badebetrieb nicht leisten.“Dafür sei jedoch Hilfe dringend notwendig. Allein deshalb, damit die Kinder bald wieder das Schwimmen lernen können.
Saskia Merten bangt täglich, dass das gelingt. In ihrem Büro steht auf dem Schrank ein Karton mit Hunderten Seepferdchen, dem Frühschwimmerabzeichen. Weil die kleinen und stets stolzen Abnehmer fehlen, ist die Schachtel prall gefüllt. Dabei müsste sie gerade jetzt fast leer sein.