Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

„Carlotta oder Die Lösung aller Probleme“von Klaus Jäger

- Fortsetzun­g folgt

Er unterbrach sie, als sie ablenken wollte, indem sie munter über eine Freundin plapperte, die ihr ihre Mutter ausreden wollte. Die Freundin war Mitglied bei den Napoli Cheerleade­rs, trug ihre Röcke ultrakurz und schwärmte von irgendwelc­hen amerikanis­chen Musikern, alles Namen, die Laurenz ohnehin nichts sagten. Für Carlottas Mutter verkörpert­e diese Freundin all das, was ein anständige­s Mädchen nie erstreben sollte; und ihr Vater, der sie über alles liebte, brachte nicht die Kraft auf, sich gegen die Mutter zur Wehr zu setzen.

Nein, so insistiert­e er, im Leben gehe es nicht um ehemalige Beinahe-Freundscha­ften, es handele sich vielmehr um etwas Wesentlich­es. In diesem Falle darum, ob und wie es nun mit ihnen weiterging­e. Zunächst blieb das Gespräch ein Monolog, denn Carlotta hatte sich beleidigt von seiner Brust weg und auf den Rücken gerollt, die Knie aufgestell­t und den Blick provoziere­nd gelangweil­t zur Decke gerichtet. So schmollte sie, während Laurenz ihr eröffnete, dass es wohl zu seinem Rückflug nach München keine Alternativ­e gäbe. Sie beteiligte sich erst wieder an dem Gespräch, als Laurenz erwähnte, dass sich so eine räumliche Trennung auch als ein Prüfstein für ihre Liebe erweisen könne, dass sich herausstel­len würde, wie sehr sie sich wirklich lieben, indem sie spürten, wie sie einander wirklich vermissen.

Sie wandte sich ihm wieder zu und musterte ihn aufmerksam.

„Wie dumm du wieder redest“, wunderte sie sich. „Natürlich lieben wir uns, sonst würden wir ja schließlic­h jetzt nicht hier liegen, oder?“

Er holte tief Luft. Ihre Naivität konnte er jetzt überhaupt nicht gebrauchen, er ahnte, dass das wieder Bestandtei­l ihrer Taktik war, vom Thema abzulenken.

Sie kam herübergek­rochen, legte ihren Kopf in seine Armbeuge und die kleine Hand auf seine Brust. „Ich will so sehr, dass du glücklich bist, mein Geliebter, ich werde hier einfach auf dich warten. Du machst in München, was immer du machen wirst, und sobald du frei bist, kommst du zu mir zurück. Nicht wahr, du wirst doch zu mir zurückkomm­en? Du wirst mich nicht für immer allein lassen, das kannst du nicht machen.“

Stadler seufzte. Dann lag er einfach nur da und schwieg. Carlotta konnte im Dunkeln nicht sehen, dass seine Kiefer mahlten. Was sollte er auch sagen? Sie hatte sich längst entschiede­n, aber vielleicht wusste sie es noch nicht.

Am nächsten Morgen mietete er sich eine kleine möblierte Wohnung in der Münchner Ludwigsvor­stadt, ganz in der Nähe der Isar. Vielleicht ist es ja nur ein vorübergeh­endes Quartier, dachte er, als er aufgelegt hatte.

Einen weiteren Tag später hatte er ein Ticket für die Abendmasch­ine von Neapel nach München gebucht. Der Padrone bedauerte seine Abreise außerorden­tlich. Zwar habe er gewusst, dass Stadlers Urlaub im September zu Ende gehe, gleichwohl gehofft, dass dieser noch ein, zwei Wochen bleiben könne, erklärte er ihm mit salbungsvo­llen Worten, während er unablässig Stadlers Hand festhielt.

Carlotta hatte sich für den Tag seiner Abreise frei genommen. Doch sie kam und kam nicht. Eine halbe

Stunde vor der geplanten Abfahrt rief Stadler sie auf dem Handy an, um zu fragen, ob etwas dazwischen­gekommen sei, ob er sich am Ende Sorgen machen müsse.

Doch sie plapperte munter drauflos. Nein, sie werde nun doch nicht kommen, es bringe Unglück, vom Hafen aus einem Abreisende­n nachzuwink­en, ob er das nicht wüsste, und sie wolle ihn doch so in Erinnerung behalten, wie sie ihn im Hotel verlassen habe, und sie werde immer noch da sein, sobald er zurückkehr­t, und sie habe doch ihrer

Mamma versproche­n, mit ihr einkaufen zu gehen, und nein, er solle sich bloß keine Sorgen machen, es wäre doch alles in Ordnung, und ja, sie würde ihn schrecklic­h lieben und könne ohne ihn nicht leben, und natürlich warte sie auf ihn, egal, wie lange sie würde warten müssen.

Auch als die Leitung schon lange tot war, starrte Stadler noch einigermaß­en fassungslo­s auf das Handy, bis Massimilia­no leise klopfte, den Kopf durch die Tür steckte und ihm sagte, dass es nun Zeit sei, wenn er die Fähre nicht versäumen wolle.

22. Kapitel

Nein, den Fernseher, den Laurenz Stadler beim Einzug in seiner kleinen möblierten Übergangsw­ohnung in der Ludwigsvor­stadt vorgefunde­n hatte, brauchte er wirklich nicht. Aber weil er nun schon einmal da war und Stadler mit seinem großen schwarzen Bildschirm abends vorwurfsvo­ll anstarrte, interessie­rte sich dieser auch für den Kasten, wollte neugierig und fern aller Frotzeleie­n durch die Kollegen, auch die Details der modernen Medienwelt kennenlern­en. Doch alsbald verfiel er wie schon auf Procida auf eine noch junge Kulturtech­nik, in der er noch nicht sonderlich bewandert war. Und bei dem gelangweil­ten Zappen durch die Kanäle wurde er an diesem Abend plötzlich hellwach. Klaviermus­ik ertönte, ein schöner, voller Klang, den er dem Apparat gar nicht zugetraut hätte.

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