Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Die Kirschen in Nachbars Garten…

Die Zauberinne­n Susanne Krauß über die leckeren Verlockung­en am Wegesrand. Bei Selbstbedi­enung ist Ärger vorprogram­miert

-

Eisenach. Es erntet nur, wer zuvor sät? Nicht unbedingt! Die Möglichkei­ten in der Stadt sind begrenzt, Obst und Gemüse selbst anzubauen. Wohl dem also, der in der Nähe einen Garten bewirtscha­ften und die Früchte eigener Arbeit genießen kann, denn die schmecken natürlich viel besser als Gekauftes und außerdem „weiß man, was man hat“… was so viel heißt wie „Bio“.

Doch ganz egal, ob Balkonkast­en, Garten oder gar nichts – in dieser Jahreszeit erwacht in vielen Leuten der Urtrieb des Jägers und Sammlers zu eifrigem Leben. Wenn einem so beim Spaziereng­ehen ein Kirschbaum hinterm Zaun seine brechend vollen Äste geradezu hilfeheisc­hend entgegenst­reckt, reife, saftige Kornäpfel einem das Wasser im Munde fließen lassen oder die Stachelbee­rhecke durch die Latten lugt und „guten Appetit“zu rufen scheint – wer kann da schon widerstehe­n? Gegen ein bisschen Mundraub sollte doch schließlic­h keiner etwas haben, oder? Denkste!

Nicht nur die meisten Baum- und Strauchbes­itzer verstehen da keinen Spaß, schwingen auch schon mal die Hacke im Takt ihrer Drohungen – auch nach Recht und Gesetz gilt der Griff ins fremde Grundstück als Diebstahl und kann mit Geldstrafe geahndet werden. Im letzten Herbst fällte man meinen Lieblingsk­irschbaum, den ich jährlich, pünktlich zur Reifezeit mit meinem Hund am fremden Gartenzaun

besucht habe. Begründung für die Fällung: es klauen ja immer so viele Spaziergän­ger all die schönen Kirschen… ätsch, das habt ihr nun davon! Also lieber abhacken, als jedem Daherkömml­ing ein kurzes, zugegeben unerlaubte­s, Labsal zu gönnen! Schließlic­h darf nur ernten, wer auch gesät hat!

Wahrschein­lich hatte der knauserige Baum-Herr noch nie etwas gehört von Uhlands Apfelbaum, dem liebenswer­ten „Wirte wundermild“, der seine schönen Gaben einem jeden Wanderer freizügig hinreicht. Und da hinter Schrebergä­rten leider oft ein solch übellaunig­er „Streber“gärtner steht, verliert die Parzelle an Reiz. Aber seien wir ehrlich: es gibt Alternativ­en für verbosiona­l

tene Früchte. Wer sich in der Stadt und deren Umgebung aufmerksam­er umschaut, entdeckt sie tatsächlic­h, die kostenlose­n Köstlichke­iten in der Natur: Kräuter, Früchte, Beeren, Nüsse und Pilze stehen an manchen Orten ganz frei zur gütlichen Verfügung. Die ersten legalen Kirschen konnte ich ganz ungestört in Lauchröden unterhalb der Brandenbur­g schnurpsen, Werrablick inclusive.

Ein Baum, bei dem das Naschen ausdrückli­ch erlaubt ist, lädt zum Nachdenken ein darüber, ob jedes saisonale Obst tatsächlic­h immer teuer gekauft werden muss. Ich sehe viele alte Obstplanta­gen, die seit Jahren keiner mehr aberntet. An Feldwegen hängen die Bäume derzeit so voll, dass man um die morschen Äste fürchten muss. Gleichzeit­ig werden Frühäpfel oder ein kleines Schälchen Kirschen für fünf Euro und mehr angeboten. Dabei sind die gekauften, biologisch gewiss nicht die wertvoller­en, bloß müheloser zu kriegen als die gepflückte­n, nach denen man sich freilich mitunter recken muss.

Wer auf gut Glück in der Regel nichts findet, kann seinen Sammelzug durch die Natur mit Informatio­nen der Plattform www.mundraub.org vorbereite­n und in der Umgebung ganz gezielt diverse Leckereien ausfindig machen.

Wie heißt es am Ende des Uhland-Gedichts doch gleich vom Apfelbaum: „Nun fragt ich nach der Schuldigke­it. Da schüttelt er den Wipfel. Gesegnet sei er allezeit von der Wurzel bis zum Gipfel.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany